Umgang mit extremer Unruhe

Was tue ich, wenn ....?
Toastie
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Umgang mit extremer Unruhe

Beitrag von Toastie »

Hallo,

ich bin nun schon ziemlich lang im Ref und bisher ging es mir auch immer gut. Diese Woche habe ich allerdings eine siebte Klasse neu hinzubekommen und habe in dieser extrem mit Unruhe zu kämpfen. Bei anderen Klassen konnte ich das immer noch gut lenken, bei dieser war ich heute allerdings ganz schön am Verzweifeln und suche nun euren Rat.

Zur Situation:
Die Klasse habe ich wie gesagt neu übernommen und werde sie vermutlich bis zum Ende meines Referendariats behalten. Mit 28 Schülerinnen und Schülern eine sehr volle Klasse, der Unterrichtsraum besticht mit einer "exzellenten" U-Form. In der ersten Stunde haben wir gemeinsam einige Regeln geklärt und Erwartungen/Vorstellungen besprochen. Das gemeinsame Festlegen von Regeln (u.a. angenehme Arbeitsatmosphäre, Melden für Wortbeiträge statt reinreden, gegenseitiges Zuhören, ...) halte ich für wichtig, wobei sowohl die Schüler, als auch ich zu Wort kommen.
In den weiteren Stunden gestern und heute lief es komplett den Bach runter. Was in der Parallelklasse, die ich schon länger habe, gut klappt, geht bei dieser gar nicht. Ständiges Reinreden, blöde Kommentare, Abweichen von Unterrichtsinhalten, kein Melden mehr, alle reden durcheinander, Schüler stehen einfach mal auf und gehen zur Spüle, ...
Auf Ansprachen meinerseits folgen entweder nur dumme Kommentare oder es geht nur wenige Minuten gut, bevor das Spiel wieder von vorn beginnt.
Am Ende der heutigen Stunde habe ich dann den Fehler gemacht (vielleicht war es auch keiner) und bin persönlich geworden, mit den den folgenden Worten: "Es wird so nicht weiter gehen, dass 10% der Klasse zwar gerne etwas lernen und dem Unterricht folgen wollen würden, durch die restlichen 90% aber massiv gestört werden. Die Mehrheit eurer Klasse hält sich gerade nicht an die Regeln, die wir gemeinsam ausgehandelt haben. Ihr habt euch damit auf ein Level gebracht, von dem ihr nur schwer wieder wegkommen werdet. Eure Wünsche, dass wir viel Kreatives machen und viel in Gruppen arbeiten, würde ich gerne berücksichtigen. Das könnt ihr nun aber in der nächsten Zeit erst mal vergessen. Ich möchte, dass ihr bis zur nächsten Woche mal in euch reingeht und überlegt, ob das wirklich nötig ist, so wie ihr euch verhaltet. An die wenigen, die das nicht betrifft (und diejenigen wissen das): wir schaffen das!"
Eine etwas dumme Ansprache vielleicht und vielleicht war sie auch nicht ganz zielbringend. Aber egal. Die Worte sind gesagt.

Mich würde jetzt eher interessieren: Wie verfahre ich weiter? Wie gehe ich mit dieser Unruhe um?

Meine erste Maßnahme, neben dieser Ankündigung, war, die Schüler ein Gedicht bis nächste Woche auswändig lernen zu lassen. Für die strebsamen Schüler sowieso kein Problem und wohl eher die Chance auf eine sehr gute Note, für die anderen als Sanktion gedacht.
Meine erste Amtshandlung in der nächsten Stunde wird zudem ein neuer Sitzplan sein.

Wie gesagt, bisher hatte ich solche Probleme nicht. Ich bin für meine Lehrerperösnlichkeit gelobt worden, mache mir immr noch ausführliche Stundenplanungen, versuche mich an verschiedneen schülerorientierten Sozialformen und Methoden. Aber seit dieser Woche habe ich das Gefühl, mit meinen Idealen an einen Baum zu fahren ...

tiger
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Re: Umgang mit extremer Unruhe

Beitrag von tiger »

Wenn du die Schüler machen lässt, was sie wollen, dann werden sie den Unterricht so gestalten, wie er ihnen am angenehmsten ist. Lernwirksamkeit und Ähnliches genießen dabei natürlich eine sehr geringe Priorität.

In deinem Beitrag scheint viel Wohlfühlpädagogik durch ("gemeinsames Festlegen von Regeln", selten so gelacht), aber ich lese nichts über Erziehungsmaßnahmen. Ist dir nicht klar, dass die Schüler sich völlig nachvollziehbar verhalten, indem sie sich über deine Wünsche hinwegsetzen, sofern es dafür keine Konsequenzen gibt?

Toastie
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Re: Umgang mit extremer Unruhe

Beitrag von Toastie »

Ich halte das gemeinsame Festlegen von Regeln nicht für "Wohlfühlpädaogik". Ich hatte damit bisher gute Erfahrungen, v.a. bezüglich der Lehrer-Schüler-Beziehung. Konsequenzen wurden natürlich im selben Atemzug festgelegt (Ordnungsdienste, Extraaufgaben, unangekündigte Tests, spontane mündliche Leistungskontrollen, Tadel, ...).
Einzelne Schüler greif ich mir natürlich auch raus, auch heute bei der Klasse. Die müssen teilweise mit Extradiensten bzw Extraaufgaben rechnen. Meine Maßnahmen für Einzelschüler kann ich jedoch nur schwer walten lassen bei 90% der Klasse, weshalb ich gerne Vorschläge für umfassendere Maßnahmen hätte, die ich nicht in Richtung "Kollektivstrafe" gehen.

Plan war es heute, kreativ an einem Gedicht zu arbeiten. Da ich das verwerfen musste, ist das Gedicht nun auswendig zu lernen bis Montag. Dabei wurde schon geschluckt - der Effekt hielt jedoch nur kurz an.

Hubselzwerg
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Re: Umgang mit extremer Unruhe

Beitrag von Hubselzwerg »

Das "gemeonsame Festlegen von Regeln" ist doch eine große Mogelpackung.

Alle Beteiligten wissen, was am Ende rauskommen soll. Die Schüler wissen sehr genau, was sie sich "wünschen" sollen. Da kommt einfach nichts raus, was nicht eh schon feststeht.
Das ist verdödelte Zeit. Und sendet den Schülern schlimmstenfalls das Signal "Den da vorne nicht allzu ernst nehmen, der hält uns für blöd".
Bei Klassen, in denen ich nur Fachunterricht habe, sage ich die Regeln an. MEINE Regeln!
Die sich natürlich kaum von üblichen Unterrichtsregeln unterscheiden. Je nach Jahrgang oder Klasse aber unteschiedlich sind.

Mit einer eigenen neuen Klasse würde ich die Regeln besprechen. (Warum soll man x tun und y lassen).

Lass dieses Wischiwasch sein. Überlege dir Konsequenzen. Und sage nächstes mal deutlich an, was passiert, wenn sich nicht an Regeln gehalten wird.
Dabei darfst du anfangs auch gefühlt "zu streng sein".
Wenn du zum Beispiel ansagst, dass der nächste der aufsteht im Nebenraum eine Zusatzarbeit macht, dann ist der Nächste dran. Auch dann, wenn das zufällig den bravsten Schüler der Klasse erwischt.

Und kein "der hat aber vorher...". ICH entscheide, durch wen oder was ich mich gestört fühle.
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tiger
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Re: Umgang mit extremer Unruhe

Beitrag von tiger »

Danke, Hubselzwerg. Du hast es schön deutlich gesagt.

Toastie
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Re: Umgang mit extremer Unruhe

Beitrag von Toastie »

Wahrscheinlich habe ich es auch falsch ausgedrückt. Natürlich gebe ich die Regeln vor, vor allem in einer siebten Klasse. Es geht mir eher darum, zusätzlich auch Bedürfnisse und Wünsche der Lerngruppe zu erfassen, um damit meine Unterrichtsplanung auch ein wenig individueller abzustimmen. Aus meiner bisherigen Erfahrung entsteht eher das Signal "Der da vorne nimmt uns ernst" als "Den da vorner bloß nicht zu ernst nehmen". Abgesehen davon, dass meine Frage eine andere war, halte ich das für ein sinnvolles Konzept, was sich zumindest bei mir bisher ausgezahlt hat - bis eben auf diese eine Klasse, den Fehler habe ich nun selbst eingesehen.

Hilfreicher wären Vorschläge für die weitere Vorgehensweise.

Die von mir bereits genannten Dinge stehen. Was ich angekündigt habe, werde ich wohl durchsetzen müssen: mehr Einzelarbeit, unangekündigte Tests, ... Außerdem werde ich wohl einfach etwas anfälliger werden müssen und einfach mal jede Störung (bzw. jede Verletzung der Regeln) aufgreifen und mir die einzelnen Personen ranholen, auch wenn das 20 von 25 Schülern betreffen sollte.

Es wird interessant sein, das Ganze weiter zu "beobachten" und mit den Enwicklungen in der Parallelklasse zu vergleichen. Das Gedicht, das die Störgruppe nun auswendig lernen muss, wollte die gesamte andere Klasse freiwillig lernen - eine Schülergruppe kam sogar mit der Frage, zusätzlich einen Kurzfilm dazu drehen zu wollen. So unterschiedlich kann es laufen ...

Danke übrigens für eure Antworten. Mir würden nur konstruktive Beiträge für den weiteren Umgang mehr helfen als "Das Konzept ist meiner Meinung nach völliger Schwachsinn, hör auf mit dem Wischiwasch". ;)

kecks
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Re: Umgang mit extremer Unruhe

Beitrag von kecks »

ach, wird schon. ich würde weniger reden und mehr handeln, dein tun hast du ja nun erklärt. wenn einer stört - warnung, beim zweiten verstoß in der stunde in die auszeit/trainingsraum/"nach der stunde kommst du zu mir". da dann reflektierendes einzelgespräch und konsequenz. bitte keine gedichte lernen lassen, das sollte eine freudbesetzte kunsterfahrung sein, keine strafe! übliche konsequenzen sind je nach schule verschieden, bei uns würde sozialdienst anfallen, wenn sich das häuft (hausmeister helfen), vorher halt anruf zuhause, schriftlicher hinweis nach hause, extraaufgaben als individuelle fördermaßnahmen - da kannst du kreativ werden, die kinder können dir ein gedicht schreiben über ihr fehlverhalten, einen comic zeichnen, was weiß ich, gerne mit vorstellung des produkts in der klasse und lob dafür usw.

wenig hilfreich sind meist die üblichen schulstrafen, bei uns v.a. verweis und verschärfter verweis. diese würde ich nur in extremfällen nutzen, wenn du schulrechtlich die sache schritt für schritt eskalieren musst, um den schüler irgendwie loszuwerden/schaden von allen beteiligten abzuwenden/m. als refi solltest du in diesen seltenen fällen unbedingt deine mentoren, seminarlehrer etc. einbeziehen.

wichtig ist auch ein schneller, straffer und arg aktivierender unterricht, z.b. stark strukturierte partnerarbeiten, die dann vorgestellt werden müssen, damit dann alle mit den ergebnissen weiterarbeiten können, viel schreiben lassen, notfalls auch mit notendruck rangehen, je nach klientel. die kinder müssen unbedingt merken, dass mna bei dir eine menge lernen kann und dass es spaß macht, sobald man mittut.

hol die eltern ins boot. sei konsequent und transparent und zuverlässig, d.h. zieh durch, egal ob bei konseuqenzen oder bei entschuldigungen, wenn du etwas verbockt hast gegenüber den schülern.

und vor allem: hab sie gern, sei wertschätzend, sieh sie als mensch. dann wird das schon. nur mut!

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