Ich hasse Sie!

[reffinrw]

Ich glaube ich werde alt.

Kurzum hatte ich heute im Ausbildungsunterricht in der 5. Klasse Gymnasium verschiedene Schüler mehrfach angesprochen, aufhören zu quatschen und anfangen zu arbeiten. Es war die 6. Stunde und es war heiß, die sind schon ohne die Hitze zu dieser Zeit am Freitag nicht mehr zu gebrauchen. Im Grunde sind die aber ganz lieb, wenn man die ermahnt oder 3 Sekunden lang anguckt, dann merken die das ganz schnell und dann geht es wieder für die nächsten 5 Minuten.

Ich spreche also eine Reihe von Jungen an, als die gerade ein Arbeitsblatt bearbeiten sollen. Ein Schüler regte sich dann ziemlich auf, dass ich ihm gesagt habe, dass er sich umdrehen soll. "Boah man ja ey, was wollen Sie denn!?" Ich habe ihm einen Warnschuss gegeben und ihm gesagt, dass er auf seinen Ton achten soll. Ich weiß nicht, ob das nicht schon wieder die Beziehungsebene geöffnet hat für ihn?

Der redete weiter mit sich selbst, schaute mich aber an und entgegnete mir irgendwelche Beleidigungen (nach dem Motto: Was bilden Sie sich eigentlich ein, mich zum Arbeiten aufzufordern?!).

Daraufhin habe ich ihm gesagt, dass ich ihn nach der Stunde sehen möchte.
Er kam auch - schlurfend und augenrollend "Was hab ich jetzt schon wieder gemacht?"
[Ich habe den noch nie zu mir zitiert und ihn auch nicht "rausgepickt" beim Ermahnen usw.,wie dieser Satz implizieren könnte]
Ganz pädagogsich entgegnete ich: Das möchte ich gerne von dir wissen.

Ja, dann fing er an in die Luft zu gehen und ich kam gar nicht dazu, ihm klipp und klar zu machen, dass ich dieses Verhalten nicht toleriere. Und damit habe ich es ja toleriert.

Was lies er so von sich?
Ich hasse Sie (die Ausbildungslehrerin) und Sie (mich) kann ich auch nicht mehr besonders leiden! Sie (Ausbildungslehrerin) nehmen mich ja nur ran, wenn ich nichts weiß! Ich hasse das Fach! Was wollen Sie denn, lassen Sie mich doch in Ruhe ey!

Meine Fragen daher:
1. Wie macht man einem Schüler klar, dass es vollkommen egal ist, ob ER den Lehrer leiden kann?
2. Wenn der seine Tirade vom Stapel lässt - wie unterbricht man ihn? Wie reagiert man danach? Ich habe ihm gesagt, dass er sich mal überlegen soll, was er hier gerade vom Stapel lies, einfach weil ich diesen Ausbruch nicht erwartet hatte und den Schüler nicht ausreichend kannte um diese Reaktion zu erwarten. Ich hab ihm ja nichts getan, der hat nicht mal eine Note von mir bekommen - der dreht sich so sehr in die Abwärtsspirale, dass auch die Ausbildungslehrerin sagt, da ist kein Durchkommen mehr.
3. Keine 15 Minuten später gehe ich in der Pause an den Mädchen der Klasse vorbei und höre Getuschel und das Wort "hassen". Also lasse ich mir erzählen, worum es geht und der Schüler hat groß herausposaunt, dass er der Englischlehrerin gesagt hat, dass er sie hasst und das er zu der Referendarin gesagt hat, dass er sie nicht leiden kann! Ich habe den Mädchen dann gesagt, dass sie das Tratschen unterlassen sollten und nicht alles glauben sollten, was ihnen erzählt wird. Nun habe ich aber die Situation, dass dieser Schüler sich auch noch bestärkt fühlt und wahrscheinlich denkt, dass er jetzt ein ganz großer Macker ist, wenn ich das mal so übertreiben darf. Gut, da er sonst keine schulischen Erfolge aufweisen kann, kann ich das irgendwo nachvollziehen, aber es ändert nicht die Tatsache, dass ich mir die Butter habe vom Brot nehmen lassen.

Der Junge wird aller Wahrscheinlichkeit nach im nächsten Schuljahr nach unten auf die Gesamtschule durchgereicht. Das weiß er auch. Ich hatte ihm gesagt, dass ich trotzdem erwarte, dass er mitarbeitet bis das Schuljahr zu Ende ist.
Da fing er an zu diskutieren, dass es ja nur noch 2 Stunden wären, die er bei mir hätte. Was auch stimmt.... .

Die Ausbildungslehrerin will nichts unternehmen, eben weil er bald nicht mehr ihr Problem ist.
Ich überlege, ob ich am Montag nochmal eine Ansprache in der Klasse mache - wobei da dann die Gefahr besteht, dass ich den Schüler vorführe oder, dass der sich mal vor der Klasse so ausfallend äußert und dann bin ich gezwungen zu Handeln und weiß nicht wie.

Mich nervt, dass ich ihn damit habe durchkommen lassen und mich auf eine Diskussion eines nicht zu diskutierenden Themas eingelassen habe.

Meinungen?

[Agrippina]

Hmmm... Da der Gute ja in zwei Wochen die Schule verlässt, kann ich nachvollziehen, dass er meint, er müsste sich von euch nichts mehr sagen lassen. Ich glaube auch, dass dir deshalb die Mittel fehlen, mit ihm angemessen umzugehen.
Dass du versucht hast mit ihm zu reden, finde ich richtig. Ich denke auch nicht, dass du dir die Butter vom Brot hast nehmen lassen (ich war natürlich nicht dabei), denn er ist ja ausgerastet, nicht du.
Ich denke aber nicht, dass irgendjemandem damit geholfen ist, wenn du das ganze nochmal ansprichst. Es wird ihm aus oben genannten Gründen sowieso egal sein und den anderen hilfst du damit auch nicht. Es wäre bestimmt schöner, wenn du innerhalb von zwei Wochen was bei ihm bewegen könntest, das halte ich aber für unmöglich.

LG Agrippina

[reffinrw]

Ja er ist ausgerastet, und ich habe mich diese Hasstirade gefallen lassen. Ich hätte das gar nicht mit ihm diskutieren sollen. Ich hätte gleich sagen sollen: Dieses Verhalten wird in meinem Unterricht nicht nochmal stattfinden.
Also gibt es nicht irgendeine Möglichkeit, außer ihm seinen Wunsch zu erfüllen und nicht mehr ranzunehmen aber die anderen ablenken lassen, wie ich ihn zu "professioneller Mitarbeit" bewegen kann? Das heißt in seinem Fall: die anderen nicht ablenken und etwas aufschreiben/ eine Aufgabe erledigen, wenn der Lehrer es sagt.

Der versteht ja nicht das Grundprinzip, dass es nicht um seine Person geht, sondern um sein Verhalten.

[sabbel]

Mmmh... ich frage mich gerade, was der Satz " Ich weiß nicht, ob das nicht schon wieder die Beziehungsebene geöffnet hat für ihn?" für Dich bedeutet. Ich habe fast ausschließlich auf "Beziehungsebene" mit meinen Schülern. Gefrustete, sozial vernachlässigte oder wie auch immer Schüler bekommt man nämlich in der Regel nur darüber. Genau damit verdiene ich mein Geld...
Du beschreibst, dass der Schüler "nach unten" an die Gesamtschule "durchgereicht" wird. Könnte das evtl. seine Wut, sein Verhalten, seine Aggression erklären. Ist es nicht eigentlich das, womit Du arbeiten solltest? Bzw. nicht unbedingt Du als Referendarin, sondern die Lehrer. ob es Deine Aufgabe ist, mag ich nicht beurteilen.

Im Übrigen: Schüler dürfen mich hassen. Das dürfen sie sogar aussprechen. Solange sie dabei nicht beleidigend sind. In der Regel ist es Frust oder ein besondere Form von Beziehungsangebot.
Du schreibst es ja selbst in Deiner ersten Frage: es ist egal und unwichtig, ob der Schüler Dich leiden kann. Aber sei froh, dass er es Dir mitteilt, damit kann man umgehen.

Geht es Dir um eine Lösung bei dem einzelnen Schüler oder um ein generelles Handeln in solchen Situationen?
Ihm würde ich seinen Frust lassen... Er ist wahrscheinlich in der Pubertät und gerade "gescheitert"... ob ich da so glücklich wäre, wage ich zu bezweifeln.

[reffinrw]

Mmmh... ich frage mich gerade, was der Satz " Ich weiß nicht, ob das nicht schon wieder die Beziehungsebene geöffnet hat für ihn?" für Dich bedeutet.

Damit meine ich, dass ich mich da auf eine persönliche und nicht auf eine professionelle Beziehungsebene herunter gelassen habe? Klar läuft bei jungen Schülern viel über Beziehungsarbeit, aber es sollte halt nicht persönlich werden im Sinne von "Der Lehrer kann mich nicht leiden".

[krabappel]

schlurfend und augenrollend "Was hab ich jetzt schon wieder gemacht?"
[Ich habe den noch nie zu mir zitiert und ihn auch nicht "rausgepickt" beim Ermahnen usw.,wie dieser Satz implizieren könnte]

wieso rechtfertigst du dich?

Ich hab ihm ja nichts getan, der hat nicht mal eine Note von mir bekommen -

wieso rechtfertigst du dich erneut?

gehe ich in der Pause an den Mädchen der Klasse vorbei und höre Getuschel und das Wort "hassen". Also lasse ich mir erzählen, worum es geht

und wieso rechtfertigst du dich hier nochmal??


Wenn du die Möglichkeit hast, film dich mal im Unterricht selbst. Das ist wirklich hilfreich!
Der Junge hat gerade massive (nichtschulische) Probleme und du wirst ihn noch 2 mal sehen, in diesem Fall brauchst du überhaupt keine Pläne mehr schmieden. Aber deine Lehrerhaltung, die kannst du möglicherweise mit Filmaufnahmen gut reflektieren.

[Lenya]

Ich finde nicht, dass es bei einem solchen Machtkampf zwischen Lehrer und Schüler einen "Gewinner" gibt (als den du den Schüler hier offenbar siehst).
Es kommt durchaus mal vor, dass man von einem Schüler angefahren wird. Ich nehme das generell nicht persönlich (das nicht zu tun ist ein Lernprozess, im ersten Jahr habe ich so was auch persönlich genommen). Du weißt nicht, was vorher passiert ist, vielleicht hatte er in der Pause oder in der Stunde davor mit jemandem (Lehrer oder Mitschüler) Ärger, vielleicht ist auch zu Hause etwas nicht in Ordnung etc. etc.
Grundsätzlich hauen Schüler ein "Ich hasse Sie" oder "Ich kann sie eh nicht leiden" schnell mal raus, das muss sich jeder Lehrer anhören. Aber die Kinder drücken damit eigentlich nur eine momentane Stimmung aus, nicht das, was wir unter Hass verstehen.

Bei mir hilft es unheimlich, wenn ich selbst in solchen Momenten ruhig bleibe. Zunächst mal ist es gut, dass du es mit ihm allein geklärt hast, nicht vor der ganzen Klasse. Nur bringen Belehrungen in dem Moment absolut nichts, wie du gemerkt hast. Ich versuche, durch einen ganz ruhigen Ton mit so einem Schüler zu reden und weise ihn gern darauf hin, dass ich das tue ("Ich rede ganz normal mit dir, warum schnauzt du mich denn so an?"). daraufhin beruhigen sie sich normalerweise so weit, dass man dann in Ruhe über das Problem reden kann.

Auch als sehr hilfreich empfinde ich tatsächlich, in so einem Gespräch auf die positiven Dinge hinzuarbeiten, statt die schlechten zu kritisieren. Positives verstärken statt Negatives. Funktioniert wirklich. Wobei meine Grundeinstellung aber auch die ist, dass kein Schüler zu dumm ist, um etwas aus sich zu machen.

Eine Aussprache macht man NIE vor der ganzen Klasse!