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Grundsätzliche Fragen zum Referendariat können hier gestellt werden
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Servent
Beiträge: 78
Registriert: 23.07.2018, 20:17:19

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Beitrag von Servent »

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Zuletzt geändert von Servent am 22.09.2019, 10:37:37, insgesamt 1-mal geändert.

tiger
Beiträge: 424
Registriert: 12.02.2017, 2:21:44

Re: Notendurchschnitt (Oberschule)

Beitrag von tiger »

Tja, das bekannte Problem der Noteninflation. Sicherlich nicht spezifisch für bestimmte Schularten oder Bundesländer und sogar an Universitäten längst etabliert.

Lehrer sind eben lernfähig: Wer strikt nach den curricularen Vorgaben bewertet, muss "schlechte" Noten geben. Das zieht Beschwerden von den Schülern, Elterngespräche, die Wiederholung von Klassenarbeiten, Gespräche mit der Schulleitung und weitere Unannehmlichkeiten nach sich.

Hat ein Lehrer das ein paar Jahre mitgemacht, hat er gelernt: Das Leben ist viel leichter, wenn man so großzügig bewertet, dass fast niemand durchfällt, keine Klassenarbeit "unterm Strich" ist und alle sich selbst belügen können: Die Schüler halten ihre Leistungen für gut (stärkt das Selbstbewusstsein), deren Eltern können stolz auf die Leistungen ihrer schlauen Kinder sein, die Schulleitung freut sich, dass es keine Beschwerden gibt, und der Lehrer freut sich über seinen lernwirksamen Unterricht.

Das geht so lange gut, bis ein neuer Lehrer an die Schule kommt, der von diesem gegenseitigen Stillhalteabkommen nichts weiß und damit für Unfrieden sorgt.

Aber nun mal Zynismus beiseite: Die Mitte der Notenskala liegt bei 3,5. Auch die Note vier ("ausreichend") ist eine Leistung, die man sich hart erarbeiten muss. Die Note "sehr gut" steht für eine Ausnahmeleistung. Zumindest ist die Notenskala so gedacht.

Leider kommst du aus der Nummer nicht raus. Du kannst wie alle anderen zur Noteninflation beitragen und deine Nerven schonen, oder du kannst versuchen, dich an die Bewertungsrichtlinien zu halten und wirst bitter dafür bezahlen – siehe oben. Auseinandersetzungen mit Eltern, Kollegen und der Schulleitung kann man zwar eine zeitlang aushalten. Wenn aber die Schüler zu der Einschätzung kommen, bei dir hätten sie sowieso keine Chance auf eine "faire" Note, dann kannst du die Stimmung in der Klasse vergessen. Und das hält man auf Dauer eben nicht aus.

Fazit: Ja, das beschriebene Problem gibt es. Ja, mehr als 95 Prozent meiner Kollegen machen mit, weil es die Sache nicht Wert ist, dass man sich damit die Gesundheit ruiniert. Ja, es läuft darauf hinaus, dass wir ca. im Jahr 2040 eine Abiturientenquote von 85 Prozent haben werden, wie das in anderen Ländern mit dysfunktionalen Schulsystemen (z. B. USA) schon heute der Fall ist. Ja, die schulische Bildung wird damit entwertet. Nein, die Gesellschaft wird dadurch nicht untergehen. Es wird lediglich mehr soziale Ungleichheit, mehr Kriminalität usw. geben. Nein, man kann diesen Prozess als Einzelkämpfer nicht aufhalten.

cobalt8
Beiträge: 76
Registriert: 03.08.2015, 23:55:54

Re: Notendurchschnitt (Oberschule)

Beitrag von cobalt8 »

"Hat ein Lehrer das ein paar Jahre mitgemacht, hat er gelernt: Das Leben ist viel leichter, wenn man so großzügig bewertet, dass fast niemand durchfällt, ..."

Das stimmt, das machen einige Lehrer so, ist aber meiner Meinung nach eine engstirnige Milchmädchenrechnung, die Kollegen sind nämlich häufig auch die Kollegen, bei denen totale Disziplinprobleme herrschen. Man hat als Lehrer nur sehr kurzfristig etwas davon, wenn man sich um jeden Preis beliebt machen möchte.
Die meisten Schüler schätzen übrigens instinktiv eine starke Persönlichkeit, die ihre Standpunkte durchsetzt, sich dann auch bei Ungerechtigkeiten für die Schüler einsetzt, und ihnen vor allem klare und eindeutige Grenzen setzt. Das sind zwar in der Regel nicht die Schüler, die am lautesten schreien, dafür aber das große Mittel, was gerne mal untergeht.

Ich habe Notenschnitte von 2,4 bis 4,7 schon durch gehabt. Die schlechteren kommen dabei leider häufiger vor, als die wirklich guten. Die meisten Klassen haben einen Schnitt von 3,1 bis 3,9. Häufig wird der Schnitt nach einer sehr sehr guten Arbeit zunächst einmal schlechter und umgekehrt, ist halt eine Generation, die gerne das Nötigste macht :)

Den Schnitt bekommen meine Schüler auch immer gesagt, aber nicht mehr die Verteilung der Noten, da die Verteilung für die einzelne Note vollkommen unerheblich für die Schüler ist. Hat ein Schüler eine 5 ist es egal, wie viele 5en und 6en es sonst noch gab. dies spielt lediglich für mich eine Rolle, da ich schon regelmäßig mein eigenes Handeln kritisch hinterfrage und versuche die Ursachen zu ermitteln.

tignola
Beiträge: 28
Registriert: 10.05.2017, 23:21:30

Re: Notendurchschnitt (Oberschule)

Beitrag von tignola »

Bei uns sind die Notenschnitte teilweise fachabhängig: Während die Lehrer der Geisteswissenschaften tendenziell eher bessere Tests schreiben, sind Mathelehrer Schnitte zwischen 3,0 und 4,5 gewohnt. Ich habe mich anfangs auch nicht getraut, schlechte Noten zu geben, die Schüler taten mir richtiggehend leid. Ich habe regelmäßig beide Augen zugedrückt, hier und da noch einen Punkt gefunden, den Bewertungsmaßstab gesenkt.
Tatsache ist aber: Gebracht hat es niemandem etwas, nicht wenige SuS wurden dadurch faul. Klar, ihre Noten waren ja gut. Jetzt bleibe ich grundsätzlich beim Bewertungsmaßstab und korrigiere, indem ich erst dann den Punkeschlüssel aus der Tasche ziehe, wenn alle ihre Punkte unter den Arbeiten stehen haben. So werde ich nicht verführt, für besonders nette Schüler doch wieder mit dem Suchen von Punkten anzufangen, was ich dann der Fairness wegen für alle Schüler machen muss.

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