Weder ein/eine Mentor/in noch Referendar/in kann im Alleingang entscheiden, was sie nun aus dem Topf der Pädagogik zum gerade gültigen Ausbildungsstandard (für sich selbst) kürt. Wer so vorgeht, der wird höchstwahrscheinlich scheitern.
Du scheinst immer noch nicht zu begreifen, um welche Zielkategorien es geht. Da du anscheinend über keine einschlägige Fachliteratur verfügst, schreibe ich sie dir mal auf. Weinert hat noch kurz vor seinem Tod folgende Ziele für Schule formuliert:
- die Vermittlung fachlichen Wissens,
- die Vermittlung anwendungsbezogenen Wissens und Könnens,
- die systematische Unterstützung beim Erwerb lernmethodischer Kompetenzen zur Selbstregulation des eigenen Lernens,
- die systematische Unterstützung beim Erwerb sprachlicher und medialer Schlüsselqualifikationen,
- die systematische Unterstützung beim Erwerb sozialer Kompetenzen,
- die Persönlichkeitsbildung in der Auseinandersetzung mit den in Schule Gesellschaft (vor-)gelebten Werten.
Das kann man wohl kaum als "Topf der Pädagogik" diffamieren. Es ist Aufgabe der Forschung, zu untersuchen, wie solche Ziele möglichst gut erreicht werden können, und das wurde zu großen Teilen bereits getan.
Was deine einseitige Sicht auf Professionalität anbelangt, kann ich nur dazu sagen, dass die Lehrer der vor-empirischen Vergangenheit sicherlich nicht allesamt unprofessionell (oder gar verantwortungslos) ihren Schüler/innen gegenüber vorgegangen sind. Auch sie führten immer schon regelmäßig formative Evaluationen durch, das machen die Lehrpersonen an unserer Schule auch.
Ich möchte doch darauf hinweisen, dass es sich weder um eine einseitige noch um meine Sicht auf Professionalität handelt. Wie schon mehrfach gesagt: Du scheinst die Fachliteratur nicht zu kennen oder lebst in einem Paradies des lernwirksamen Unterrichts. Die Realität sieht an Schulen i.d.R. anders aus, sonst gäbe es weder die desolaten Ergebnisse bei Schulleistungsuntersuchungen noch so einen hohen Output an fundierter Fachliteratur zu diesem Thema. Ich kann natürlich nur auf eine überschaubare Stichprobe von ca. 15 Schulen blicken, die ich direkt oder über befreundete Kollegen kenne, aber überall gibt es z.B. einen doch recht erschreckenden Anteil von Lehrern, der von Classroom Management noch nie gehört hat und es normal findet, im Krach zu "unterrichten". Oder die "Kollegen", die gar keinen Unterricht mehr machen, sondern sich auf das Hineinwerfen von Material beschränken, sich ans Tischlein setzen und den "Lernbegleiter" spielen - und wenn die Schüler es nachher nicht können, sind diese praktischerweise selbst schuld.
Und ja, anhand meiner immer noch vorhandenen, umfangreichen Materialien und Mitschriften aus meiner eigenen Schulzeit bestätigt sich das, was ich schon als Schüler vermutet habe: Der meiste Unterricht, den ich "genießen" durfte, war unprofessionell. Von den o.g. Zielen hat man sich weitgehend auf das erste beschränkt und auch noch versucht, dies durch Vorlesungen oder Lehrer-Schüler-Ping-Pong zu erreichen.
Unterrichtsdiagnostik muss schließlich nicht anhand von mehr oder weniger praxistauglichen Fragebögen geschehen. Aus meiner Sicht stecken die neueren Methoden der Unterrichtsdiagnostik ohnehin noch in den Kinderschuhen, was natürlich kein Grund ist, sich davor zu verschließen oder sie zu verteufeln. Aber sie sind eben auch noch lange kein Allheilmittel.
Mal sehen: Es gibt diese Bögen als Kondensat jahrzehntelanger akribischer Forschung zur Frage nach lernwirksamem Unterricht. Die passende Forschung zur Wirksamkeit solcher Methoden zur Unterrichtsdiagnostik und -entwicklung gibt es auch schon.
Stattdessen soll aus einer imaginären "Praxis" heraus besseres entwickelt werden? Das ist angesichts der (Über-)Komplexität der Situation der blanke Hohn.
Solche Aussagen wie diese machen es mir halt nach wie vor nicht leicht, dir zu glauben, dass du wirklich in der Schulpraxis und Lehrerausbildung tätig bist. Wer ernsthaft erwartet, dass ein/eine Referendar/in jeden Unterrichtsversuch wie ein UB vorbereitet und durchführt (also im Grunde nach Art und Weise einer Vorführstunde), dem ist offenbar nicht klar, dass dann viele andere Aspekte der Ausbildung zwangsläufig zu kurz kommen bzw. unter den Tisch fallen müssen.
Aha, vielleicht reden wir am Ende ja doch über dasselbe Problem. Natürlich macht man keinen Show-Unterricht, weder im UB noch sonstwann. Es geht mir um die Trias Planung-Durchführung-Evaluation und darum, dass man Referendare zumindest anfangs an die Hand nimmt und mit ihnen Stunden plant, und zwar nicht nach irgendwelchen fiktiven Show-Vorstellungen. Meine Stunden verlaufen doch recht häufig wie meine UBs, was daran liegen könnte, dass ich nie irgendwelche Show-Stunden oder Materialschlachten vorgeführt habe. Es stand immer das Lernen der Schüler im Mittelpunkt, und dafür braucht man kein Laminiergerät.
Ich wüsste allerdings nicht, welche Aspekte der Ausbildung dabei zu kurz kommen sollten - das zu erlernen ist das Ziel der Ausbildung.
Beispielsweise kann ich als Anfänger in solchen Settings, die mich nicht über Gebühr mit Unterrichtsstruktur und perfektem Material etc. belasten, viel besser auf die Lehrer-Schüler-Interaktion achten und andere wichtige Bereiche in den Blick nehmen. Später wird sowieso kaum eine Stunde mehr nach Art eines UBs oder einer Lehrprobe verlaufen. Jeder Praktiker weiß, dass das aber mal gar nichts über die Effektivität oder Qualität des Unterrichts aussagt.
Genau das ist die Aufgabe: Dem Referendar klarzumachen, dass es nicht auf das "perfekte" (ich nehme an, du meinst buntes / laminiertes / druckreif gelayoutetes) Material ankommt, sondern darauf, ob das Material geeignet an das Vorwissen der Schüler anknüpft, sie geeignet unterstützt und sie zum Nachdenken herausfordert, ohne sie dabei zu unter- oder zu sehr zu überfordern. Und ja, man muss auch lernen, sich geeignete Fragen zurechtzulegen und sich ebenso überlegen, was Schüler darauf antworten könnten.
Aber das sind alles erwiesenermaßen effektive Möglichkeiten über die eben nicht "jeder Praktiker" Bescheid weiß - ansonsten hätten wir wie gesagt all diese systemtisch verursachten Probleme nicht.
An meiner Schule gibt es Kollegen, da würden die Fachleiter/innen wahrscheinlich schreiend davon rennen, aber die Schüler/innen hängen den Lehrpersonen an den Lippen und es herrscht eine wertschätzende und produktive Atmosphäre. Darauf kommt es im Alltag an und nicht auf Diagnosebögen und steife Kriterienkataloge, mit denen man sich, seine Kollegen und die Schüler/innen traktiert.
Wenn dabei am Ende trotzdem nichts herauskommt, dann kommt es darauf eben auch nicht an. Es gibt aber - und da pflichte ich dir weiterhin bei - immer die Möglichkeit, die angesichts einer fehlenden Fachleiter-Ausbildung nicht ausgeschlossen werden kann: Wenn der Fachleiter keine Ahnung hat, dann könnte er auch bei qualitätsvollem Unterricht schreiend davonrennen, ohne dass das irgendeine Bedeutung hätte (außer, dass er falsch in seinem Job ist).
Im Übrigen kommen auch wertschätzender Umgang und "produktive Atmosphäre" in den Bögen vor - hast du die nicht gelesen?
Sorry für die evtl. etwas zu deutlichen Worte!
Das nennt man wissenschaftlichen Diskurs.