Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschichten

Grundsätzliche Fragen zum Referendariat können hier gestellt werden
Montecruz
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Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschichten

Beitrag von Montecruz »

Liebe Mitforistinnen und -foristen.

Das Referendariat wird in diesem Forum ganz unterschiedlich beurteilt und bewertet. Ich möchte etwas zu dieser Diskussion beitragen. Ich habe mich entschieden, dies in Form zweier kleiner Geschichten zu machen. Hierbei verwende ich die Terminologie eines norddeutschen Bundeslandes ("Mentoren" sind die betreuenden Lehrer an der Schule, die externen Ausbilder und Prüfer sind die "Studienleiter").

Viel Spaß beim Lesen :)


***


1. Studienreferendar Tranquillus beherrscht seinen Unterrichtsstoff fachlich sicher. Er hat Lebens- und Berufserfahrung. Vor dem Eintritt in das Referendariat war er ein Jahr Vertretungslehrer und hat sich dort einen Grundstock an Materialien und Methoden zurechtgelegt, die in vielen Fällen funktionieren. Er arbeitet effektiv und ist dem Lehrerberuf als Persönlichkeit gewachsen. Die Rückmeldungen von Schülern, Eltern und Schulleitung während seiner Zeit als Vertretungslehrer waren positiv.

Die ersten Unterrichtsbesuche von Tranquillus werden von den Studienleitern sehr kritisch bewertet: Tranquillus' Methoden entsprechen nicht den am Seminar einflußreichen didaktischen Theorien bzw. nicht den persönlichen Überzeugungen der Studienleiter. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass einer von Tranquillus' Studienleitern sich vor zunehmend belastenden Unterrichtssituationen in die Lehrerausbildung geflüchtet hat und den Referendar unbewusst um sein selbstbewusstes und unbefangenes Auftreten und das daraus hervorgehende gute Lehrer-Schüler-Verhältnis beneidet.

Tranquillus ist von den sehr kritischen Rückmeldungen, die teilweise bis ins Persönliche gehen ("Sie machen schlechten Unterricht") überrascht und verunsichert. Er ist sich sicher, dass die von den Studienleitern (spärlich und auf Nachfrage) genannten didaktischen und methodischen Alternativen bei den jeweiligen Lerngruppen nicht funktionieren würden. Dies führt zu sehr belastenden Gesprächssituationen bei der Nachbereitung der Unterrichtsbesuche. Zudem gewinnt Tranquillus den Eindruck, dass man während der Ausbildungstage am Studienseminar wenig Verwertbares lernt.

Tranquillus fühlt sich überlastet, da er seinen Vorbereitungsaufwand für die Unterrichtsbesuche und Methodenstunden stark erhöht, um sich zu verbessern. Er empfindet die Situation auch als psychisch belastend, denkt an den Abbruch seines Referendariats, doch Kollegen, Mentoren und die Schulleitung bestärken ihn darin, weiterzumachen. Aus Freude am Unterrichten und aus Überzeugung für den Lehrerberuf entscheidet er sich, das Referendariat "durchzuziehen". Tranquillus besteht die Staatsprüfung mit einer befriedigenden Note und erhält zunächst mehrere befristete Stellen als Vertretungslehrer, bevor er aufgrund des positiven Eindrucks, den er hinterlässt, eine feste Anstellung erhält. Nach dem Referendariat hat Tranquillus nach seinem eigenen Eindruck eher mehr Zeit für Hobbies, da er den Arbeitsaufwand einer vollen Stelle als besser kalkulierbar und psychisch weniger belastend erlebt als seine Ausbildungssituation.

Heute ist Tranquillus Oberstudienrat und Familienvater. Er empfindet Freude an seinem Beruf. Neben dem Unterricht, den er nach wie vor gerne (und meistens wohl auch gut) macht, engagiert er sich als Vertretungsplaner und Assistent des stellvertretenden Schulleiters. Schüler und Eltern nehmen Tranquillus' Unterricht als kompetenzsteigernd wahr. In der Schulgemeinschaft ist er anerkannt und beliebt und wird oft von Eltern um Rat gefragt und viele Klassen fragen an, ob er sie auf Wandertagen, Klassenfahrten usw. begleiten kann. Trotz gelegentlicher Belastungsspitzen hat Tranquillus den Unterrichtsalltag gut im Griff und fühlt sich auch mit einer vollen Stelle nicht überarbeitet.


2. Studienreferendar Gorgonus hat unmittelbar nach dem Abitur ein Lehramtsstudium begonnen. Er hat ein sehr gutes erstes Examen gemacht und ist unmittelbar danach in das Referendariat eingetrten. Gorgonus zeichnet sich im Referendariat, wie auch schon während des Studiums, durch eine große Bereitschaft aus, sich die von den Studienleitern (bzw. damals den Professoren) favorisierten didaktischen Ansätze anzueignen und die dazugehörigen Methoden anzuwenden. Hilfreich ist für Gorgonus auch, dass er bereits an der Universität mit einem Studienleiter Kontakt hatte und dessen fachdidaktisches Seminar belegt hat.

Die Unterrichtsbesuche bei Gorgonus laufen dementsprechend fast durchgehend positiv. Dazu trägt auch bei, dass sich Studienleiter und Referendar menschlich gut verstehen und die Studienleiter aufgrund des aus ihrer Sicht guten Ausbildungsstandes von Gorgonus präzise und konstruktive Rückmeldungen geben können. Nur dem Schulleiter fällt während seiner zusätzlichen Hospitationen auf, dass Gorgonus (der auch höhere Fehlzeiten hat als Tranquillus) in überraschenden oder belastenden Unterrichtssituationen mitunter überfordert ist, dann Anzeichen von Stress zeigt und unwirsch, ja im Einzelfall sogar verletzend auf Schüleraussagen reagiert, während Tranquillus derlei Situationen in der Regel durch einen Scherz entschärfen kann. Der Schulleiter führt dies jedoch auf Gorgonus' Unerfahrenheit zurück. Er bemerkt nicht, dass Gorgonus, der präzise, aber langsam arbeitet, aufgrund seines Kenntnisstands der vom Studienleiter verlangten Methoden in vorbereiteten Situationen besser als Tranquillus abschneidet, dass ihm aber die pädagogische und persönliche Sicherheit fehlt, in unbekannten oder überraschenden Situationen angemessen reagieren zu können.

Abgesehen von diesen Situationen empfindet Gorgonus das Referendariat zwar als zeitlich anspruchsvoll, insgesamt aber nicht als besonders anstrengend. In der zweiten Staatsprüfung kommen die Studienleiter zu dem Schluss, dass Gorgonus eine hervorragende Entwicklung durchgemacht hat. Der Schulleiter schließt sich unter Zurückstellung gewisser Bedenken dieser Beurteilung an. Gorgonus besteht die Staatsprüfung mit Auszeichnung und wird sofort Studienrat auf Probe an einem Gymnasium. Drei Jahre später wird er Lebenszeitbeamter. Immer wieder gelingen ihm - auch nach strenger objektiver Bewertung - hervorragende Unterrichtsstunden mit einem großen Lernfortschritt der Klasse.

Heute ist Gorgonus aber oft frustriert und fühlt sich mitunter ausgebrannt. Die von ihm im Unterricht verwendeten Methoden werden, so sieht er es, von einigen Lerngruppen mangelhaft erlernt und angewandt. Diese Lerngruppen erzielen nicht den Lernfortschritt, den er sich vorstellt. Das wird auch in den Elterngesprächen so gespiegelt. Oft empfindet er Schüleraussagen als unhöflich und frech. Zudem fühlt Gorgonus sich stark überarbeitet. Der Wechsel vom Referendariat zu einer vollen Stelle war für ihn - im Unterschied zu Tranquillus - mit einer erheblich gesteigerten zeitlichen Belastung verbunden.

Insgesamt ist Gorgonus' Berufs- und Lebenszufriedenheit gering. Als eigentlich vorbildlicher Beamter mit Prädikatsexamen fühlt sich Gorgonus zunehmend "an der Front verschlissen" und denkt immer häufiger über einen Wechsel in die Lehrerausbildung nach. Um sich hierfür zu empfehlen, übernimmt er unter anderem als Mentor die Betreuung von Referendaren. Dabei achtet er auf höchste Genauigkeit und spricht auch kleine Mängel schonungslos an.


***


Schlusswort des Verfassers: Klar ist, dass Tranquillus und Gorgonus im Rückblick das Referendariat unterschiedlich beurteilen werden. Bildet euch eure Meinung dazu und teilt gerne eure Rückmeldungen mit dem Forum.

Viele Grüße
Montecruz

Jméno
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Re: Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschic

Beitrag von Jméno »

Sicherlich gibt es diese Typen (und ja, ich kenne sowohl den einen als auch den anderen), aber wieso denn eigentlich „Tranquillus“ und „Gorgonus“, warum nicht stattdessen „Weiß“ und „Schwarz“ – also quasi passend zu der monochromen Darstellung?
…он је метафора, начин живота, угао гледања на ствари!

tiger
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Re: Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschic

Beitrag von tiger »

Sätze wie "dass einer von Tranquillus' Studienleitern sich (...) in die Lehrerausbildung geflüchtet hat und den Referendar unbewusst (...) beneidet" sind doch genau jener Unsinn, der hier im Forum von durchgefallenen oder sich zu Unrecht schlecht bewertet fühlenden, überall Verschwörung und Intrige witternden und das Referendariat auf die Verhinderung des Bestehens der zweiten Staatsprüfung ausgerichtet sehenden Referendaren verbreitet wird, die die Ursache ihres Scheiterns unermüdlich bei jedem suchen, nur nicht bei sich selbst.

Wenn jemand durch die Fahrprüfung fällt, dann würde man doch auch zunächst vermuten, dass er entweder nicht fahren kann oder nicht für die theoretische Prüfung gelernt hat, und nicht, dass da ein abgekartetes Spiel gegen ihn läuft oder der Fahrlehrer ihn um sein Fahrkönnen beneidet und deshalb ungerecht bewertet.

rissig21
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Re: Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschic

Beitrag von rissig21 »

Montecruz hat geschrieben: Viel Spaß beim Lesen :)
Danke für die Mühe - war echt unterhaltsam und das Ende hat auch was! :D

Da es aber kritisch klingt, wird es hier natürlich abgelehnt. Hier im Forum mag man Kritik nicht gern leiden, weil die ist immer so böse und gemein, will alles schlecht machen und beruht sowieso nur auf dummen Leuten, die nicht selbstkritisch und im Leben gescheitert sind.

Überhaupt: Das Ref "bewerten" wollen - wie kann man nur!!! Das ist doch gar nicht denkmöglich! :o

Kapartia
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Re: Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschic

Beitrag von Kapartia »

tiger hat geschrieben:Sätze wie "dass einer von Tranquillus' Studienleitern sich (...) in die Lehrerausbildung geflüchtet hat und den Referendar unbewusst (...) beneidet" sind doch genau jener Unsinn, der hier im Forum von durchgefallenen oder sich zu Unrecht schlecht bewertet fühlenden, überall Verschwörung und Intrige witternden und das Referendariat auf die Verhinderung des Bestehens der zweiten Staatsprüfung ausgerichtet sehenden Referendaren verbreitet wird, die die Ursache ihres Scheiterns unermüdlich bei jedem suchen, nur nicht bei sich selbst.

Und Sätze wie "[...] jener Unsinn, der hier im Forum von durchgefallenen [...] überall Verschwörung und Intrige witternden [...]" und "[...] unermüdlich bei jedem suchen, nur nicht bei sich selbst." sind natürlich um Einiges besser und vor allem weniger pauschalisierend.

Ist dir vielleicht mal in den Sinn gekommen, dass es eben nicht immer die dussligen Referendare sind, die im Unrecht sind? Ich kenne beide Seiten:

Bin sogar 2x im Staatsexamen gescheitert. Lustigerweise hat das Gericht aber anerkannt, dass die Äußerungen der Seminarleiter und das Verhalten der Seminarleiter in den Prüfungen so gar nicht konform gingen mit den Regeln und dort gegen geltenes Recht verstoßen wurde und unsachlich sowie unprofessionell benotet wurde.
Davon gibt es ein paar mehr Fälle, tritt nämlich leider nicht so selten auf wie du hier darzustellen versuchst.
Andererseits gibt es natürlich auch die Referendare, die du hier ansprichst. Kenne ich auch Einige von.

Fakt ist jedoch, das es leider in gewissen Bundesländern eine höhere Zahl derer SL gibt, die tatsächlich ein wenig überfordert sind mit dem normalen Schuldienst und daher lieber Refis zur Brust nehmen und am eigenen Wunschbild messen ohne selbst jemals da ran zu kommen.
Da gibts auch wunderbare Beispiele, nehmen wir doch mal das hier:
Seminarleitung, die aufgrund familiärer Verbindung an die Schule gekommen ist. Planung von Unterricht gelingt nicht, weil man sich (aus welchen Gründen auch immer) nicht organisiert bekommt. Schüler machen was sie wollen und es erfolgen keine Konsequenzen. Fachlich merken die Kollegen im Gespräch, das da auch nicht viel hinter ist. Dann bewirbt man sich halt als Seminarleitung. Bekommt die Stelle, weils kein Anderer machen will und wird seit dem auf Refis losgelassen. Refis bekommen in Vorzeigestunden der Seminarleitung mit, dass
a) der Unterricht 45 Minuten gehen soll, auf dem Verlauf mit 50 Minuten geplant ist und der Unterricht in Realität erst nach 55 Minuten endet
b)Fehler gemacht werden, die unmittelbar vor der gezeigten Stunde bei Refis auf Schärfste kritisiert wurden
c) Arbeitsmaterial für die Schüler voller fachlicher Fehler strotzen.
Refis bekommen dann mit, dass mit einer Regelmäßigkeit Seminare ausfallen und häufig zu Unterrichtsbesuchen zu spät gekommen wird. In Unterrichtsbesuchen wird sich dann von der Seminarleitung nicht an grundlegende Verhaltensregeln (Schnarchen im Unterricht, Dazwischenreden, Zeitung lesen/sich mit anderen Dingen beschäftigen wie z.B: eigene Unterrichtsplanung etc.) gehalten, nur um dann in der Auswertung trotz der 10-20 Minuten Verspätung zur Hospitation zu meinen, das die Stunde "scheiße" war, da man ja keinen Einstieg als Seminarleiter gesehen hat.
Wenn die Refis dann mitbekommen, das sie als Seminar zunächst das Gespräch mit der Seminarleitung suchen und um bessere Bedingungen betteln, nach Wochen dann immer noch keine Änderungen stattgefunden haben und man sich entschließt, die nächst höhere Stelle (Hauptseminar) auf die eklatanten Mängel anzusprechen und man als Seminar dann in die Pfanne gehauen wird von der Hauptseminarleitung (nämlich so, dass die Seminarsprecher zum Abschuss an die Fachseminarleitung frei gegeben werden um den Refis zu zeigen, dass man keinen "anscheißt, da das kollegenschweinerei ist"), dann kann man sich wohl vorstellen, dass das für nicht Wenige unverständlich ist.

Jméno
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Re: Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschic

Beitrag von Jméno »

Kapartia hat geschrieben:Fakt ist jedoch, das es leider in gewissen Bundesländern eine höhere Zahl derer SL gibt, die tatsächlich ein wenig überfordert sind mit dem normalen Schuldienst und daher lieber Refis zur Brust nehmen und am eigenen Wunschbild messen ohne selbst jemals da ran zu kommen.
Da gibts auch wunderbare Beispiele, nehmen wir doch mal das hier:
Tatsache ist und bleibt doch aber einerseits, dass zwar jedes dieser Negativbeispiele eines zu viel ist – wir aber andererseits eben keinerlei belastbare Evaluation oder Forschungslage haben, wie viele Ausbilder tatsächlich „gut“ sind und wie viele nicht. Insofern könnte nun jeder als Antwort auf dein Beispiel eines posten, wo ein Ausbilder menschlich und fachlich überdurchschnittlich gut war; das bringt uns aber genauso wenig weiter wie die Schwarzweißmalerei, die hier auch immer wieder stattfindet.
…он је метафора, начин живота, угао гледања на ствари!

rossi87
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Re: Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschic

Beitrag von rossi87 »

Die Akkumulation der sich unfair behandelt fühlenden Referendare auf dieser Seite lässt sich freilich damit erklären, dass zufriedene (bzw. beim Thema Medizin: gesunde) Menschen selten in Foren posten. Der Großteil wird vermutlich gute Seminarleiter haben.

Wie ein bereits berufserfahrener, tatsächlich guter (und damit i.d.R. auch effizient arbeitender) Lehrer beim Wechsel vom Job ins Referendariat zu einer Überbelastung gerät, will mir nicht so ganz einleuchten. Es mag ja phasenweise minutiös, stumpfsinnig oder was auch immer sein, aber die kontinuierliche Arbeitsbelastung einer vollen Stelle ist m.E. nun wirklich spürbar höher als die je nach Bundesland 10-16h.

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