In einem Land ohne Referendariat...

Grundsätzliche Fragen zum Referendariat können hier gestellt werden
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tiger
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von tiger »

Der Vergleich mit dem Ausland ist insofern wichtig, als dass er geeignet ist, vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu enttarnen.

Interessant ist z. B. folgende Aussage:
Jméno hat geschrieben:Und wenn der Staat nur so tut, als würde er seine Leute bezahlen, tun die auch höchstens so, als würden sie volle Leistung erbringen.
Das habe ich in vielen südamerikanischen Ländern so erlebt, und es erklärt zumindest teilweise, warum Vieles dort nicht so funktioniert, wie man es aus Westeuropa kennt. Beispiel Brasilien: Ein Polizist verdient dort so wenig, dass er von seinem Gehalt unmöglich über die Runden kommen, geschweige denn eine Familie ernähren kann. Folglich hat er kein schlechtes Gewissen, wenn er Bestechungsgelder annimmt und ansonsten eine ruhige Kugel schiebt – er muss schließlich seine Kräfte schonen, damit er nach "Dienstschluss" seinem Zweitjob als Nachtwächter oder dergleichen nachgehen kann. Der traurige Witz ist, dass man für die gleiche Arbeit dreimal so viele Polizisten einstellen muss wie in Deutschland, aber keiner von denen von seiner Tätigkeit leben kann. Irre.

rissig21
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Registriert: 12.04.2017, 10:56:40

Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von rissig21 »

tiger hat geschrieben:Der Vergleich mit dem Ausland ist insofern wichtig, als dass er geeignet ist, vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu enttarnen.
Das stimmt natürlich schon. Vergleiche ansich sind ja nicht schlecht, aber man streckt oft schnell den Zeigefinger aus: "Wir haben das (z.B. tolle motivierende U-Einstiege) und ihr nicht!" So einfach ist es halt nicht.

Zitat aus einem aktuellen Artikel:

"Wer mehr begreifen will, der muss unter die Oberfläche schauen. "Uns ist heute bewusst, dass die leicht sichtbaren Eigenschaften der Schulen für das Lernen nicht so wichtig sind", sagt der Psychologe Olaf Köller, der das Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel leitet, und bezieht sich damit auf "die Schulform, die Größe der Klassen, Frontalunterricht oder Gruppenarbeit" – eben das, was die Besucher aus Deutschland wahrnahmen. Entscheidend sei das Unsichtbare im Unterricht, wie geistig anregend zum Beispiel die Aufgaben seien." (http://www.zeit.de/2017/11/finnland-bil ... er/seite-2)

Also: Man muss schon von der Oberfläche weg kommen und idealerweise am besten in die Köpfe (bzw. das Denken/Werten etc.) der Bewohner eines Landes reinschauen, wenn man ein ausgewogenes Urteil bilden möchte. Äußerlichkeiten zu bewerten führt schnell auf den Holzweg - siehe eben Finnland.

chilipaprika
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von chilipaprika »

aber jetzt unterstellst du jemandem, der seit Monaten in einem Land lebt, dass er einfach ein paar Platitüden geschrieben hat, die er nach 2 Beobachtungsstunden hätte schreiben können.
Es _kann_ sein, dass er sich nicht näher mit dem System beschäftigt hat. Ich hab im Ausland genug Deutsche oder generell Ausländer getroffen, die sich mit dem jeweiligen Land nie beschäftigt hatten und nach 6 Monaten Erasmus zum Beispiel kaum wussten, ob man in dem Land Studiengebühren bezahlt, oder dass es gerade einen Generalstreik gegeben hatte.
Allerdings sollte man auch an das Gute glauben und zumindest annehmen, dass die Beobachtungen reflektiert sind. So erscheint zum Beispiel der Bericht. Dass immer andere Faktoren -auch- mitwirken, sollte klar sein.

kecks
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von kecks »

ich denke mal, der threadstarter weiß schon, was eine anekdote ist. er hat nie behauptet, die natur des bildungssystems, das er da beschreibt, vollkommen und bis ins letzte duchdrungen zu haben. das sind keine wissenschaftlichen aussagen, sondern beobachtungen. diese sind aufschlussreich und vor allem spannend; nicht mehr, nicht weniger.

was das mit einem mathe-psycho-menschen, der über das finnische schulsystem forscht, zu tun hat, das weißt vermutlich nur du.

Jméno
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von Jméno »

rissig21 hat geschrieben:Asien wird oft als negatives Beispiel des stumpfen Paukunterrichts hierzulande angeführt, ohne genau hinzuschauen, wie und warum man dort so und nicht anders unterrichtet. Die Schüler haben dort weniger Stress und gehen gerne in ihre Paukschule - die guten PISA-Ergebnisse kommen also nicht vom Zwang und Rohrstock, wie man gerne darstellt...
Woher weißt du, dass die „die Schüler“ in Asien weniger Stress haben und gerne in ihre Paukschule gehen? Ich meine, ein paar Belege und differenziertere Beobachtungen – die du mir ja im folgenden Absatz gleich mal vollmundig empfiehlst – wären ganz nett, sonst könnte man eher den Medienberichten glauben:

https://kurier.at/politik/ausland/suedk ... 39.571.953
https://www.welt.de/vermischtes/article ... uizid.html
http://www.spiegel.de/lebenundlernen/sc ... 48572.html
http://www.badische-zeitung.de/panorama ... 10065.html

Und bevor nun jemand mit „ja, ja, deutsche Lügenpresse“ kontert – das Problem ist einheimischen Medien ebenso bekannt:
Korea Herald hat geschrieben:Separate data revealed by Rep. Kang Eun-hee of Korea’s Saenuri Party showed that 17 students had committed suicide due to stress from school grades as of Aug. 17, accounting for roughly 23 percent of 61 students who took their own lives during the same period this year. The number of suicides from academic-induced stress in the first semester of this year has already surpassed the nine from 2014.
Quelle: http://www.koreaherald.com/view.php?ud=20150830000310
Und was dieses Land und seine Schulpolitik angeht: Ich bin – wie du vielleicht gesehen hast – als Landesprogrammlehrkraft tätig. Das heißt, ich sitze nicht im klimatisierten Lehrerzimmer der Deutschen Schule, sondern ich bin an einheimischen Schulen tätig mit einheimischen Kollegen und einheimischen Kindern. Ich habe, von 2-3 Ausnahmen abgesehen, hier nur Kontakte zu Einheimischen. Mich zu vergleichen mit einer GEW-Delegation, die nach Finnland reist, um ihr vorgefasstes Weltbild, die Gesamtschule sei die Rettung des Bildungswesens, bestätigt zu bekommen und nach drei Tagen Reinschnuppern in ausgewählte Klassen an ausgewählten Schulen auch, oh Wunder!, genau dieses Bild mit nach Hause nimmt, halte ich dann doch für ein kleines bisschen vermessen. Fühl dich aber dennoch herzlich eingeladen, genauer zu beschreiben, wie dieser dein Eindruck entstanden ist und wo du mehr weißt. Ich lerne ja gerne – und das nicht nur von meinen hiesigen Kollegen.
…он је метафора, начин живота, угао гледања на ствари!

rissig21
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Registriert: 12.04.2017, 10:56:40

Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von rissig21 »

Jméno hat geschrieben: Woher weißt du, dass die „die Schüler“ in Asien weniger Stress haben und gerne in ihre Paukschule gehen? Ich meine, ein paar Belege und differenziertere Beobachtungen – die du mir ja im folgenden Absatz gleich mal vollmundig empfiehlst – wären ganz nett, sonst könnte man eher den Medienberichten glauben:
Das hat Hilbert Meyer - der in Asien Schulen besuchte - gesagt und auch andere, habe jetzt keine konkreten Belege zur Hand, aber dürfte ja für einen Fachmann nicht allzu schwer sein, sich diesbezügl. schlau zu machen.

Mindestanforderung eines Zeitungsartikels ist für mich immer, dass ein Fachmann vertreten ist und nicht nur von "vielleicht" und "wohl" etc. die Rede ist inkl. der üblichen Klischees (siehe die von dir wohl hastig zusammengesuchten Artikel).

So ist es z.B. schon besser:

http://www.tagesspiegel.de/weltspiegel/ ... 82210.html

Und wieviele Leute sich hierzulande wegen Prüfungsangst umbringen, weiß ich nicht, allerdings kenne ich einen persönlich, bzw. kannte ich, der hat sich nämlich wenige Wochen vor dem Examen vor den Zug geschmissen. Und nein: Er war kein Japaner oder Koreaner, sondern gebürtiger Deutscher.
Jméno hat geschrieben: Und was dieses Land und seine Schulpolitik angeht: Ich bin – wie du vielleicht gesehen hast – als Landesprogrammlehrkraft tätig. Das heißt, ich sitze nicht im klimatisierten Lehrerzimmer der Deutschen Schule, sondern ich bin an einheimischen Schulen tätig mit einheimischen Kollegen und einheimischen Kindern.
Das ist mir ehrlich gesagt ziemlich wurscht. Ich beziehe mich auf das von dir Geschriebene (dein erstes Posting) und dort stellst du das Land bzw. dessen Unterrichts eindeutig als Negativbeispiel dar, jedenfalls muss man es wohl so auffassen. Kein Einstieg, mangelhafte Klassenarbeiten, keine wie aus Deutschland gewohnte Struktur etc. und das Ref schafft hier angeblich Abhilfe und somit guten Unterricht. Das ist finde ich weder überzeugend argumentiert noch zeugt es von Verständnis für die Gegebenheiten vor Ort. Ob du nun Landesprogrammlehrkraft bist oder nicht...
Jméno hat geschrieben: Fühl dich aber dennoch herzlich eingeladen, genauer zu beschreiben, wie dieser dein Eindruck entstanden ist und wo du mehr weißt. Ich lerne ja gerne – und das nicht nur von meinen hiesigen Kollegen.
Ehrlich gesagt habe ich so meine Zweifel, ob du wirklich das meinst, was du schreibst - hört sich etwas arg sarkastisch an -, aber ist mir im Grunde auch egal. Ich weiß jedenfalls, wovon ich spreche und das genügt mir.

kecks
Beiträge: 1628
Registriert: 01.04.2009, 6:09:18

Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von kecks »

dein ernst? du zitierst die anekdote eines kollegen, der sich umgebracht hat (anekdote im wissenschaftlichen sinn, nicht im sinne von 'unwichtiges ereignis', das ist hoffentlich klar), um zu zeigen, dass die statistiken (!), die asien immer wieder die höchsten jugendselbstmordraten bescheinigen, falsch oder zumindest anzuzweifeln sind?

und das alles machst du, um die aussagekraft der beobachtungen des threaderstellers zu diskreditieren, die er nie als was anderes als anekdoten, eben individuellen beobachtungen, hier vorgestellt hat?

du kritisierst also etwas, was der threadersteller nie behauptet hat - das ist ja schon skurril genug -, machst aber denselben fehler, den du kritierst (anekdoten angeblich als wissenschaftliche aussagen ausgeben), indem du deinen toten kollegen (eine anekdote, einen einzelfall ohne wissenschaftliche aussagekraft!) als angebliche widerlegung der rekordmäßig viele selbstmorde produzierenden extremen form des bildungssystems in vielen asiatischen ländern anführst.

...vielleicht wäre es hilfreich, wenn du ein bisschen zu grundlagen der wissenschaftstheorie lesen gehst (tipp: hypothese, erklärung, anekdote, theorie, korrelation, kausalität, gesetz, sozialwissenschaften, empirie), und anschließend versuchst, den inhalt des gelesenen auf deine eigenen postings anzuwenden, wenn du schon hilbert meyer und co (aka "wissenschaft") zum maß aller dinge erheben möchtest. widerspruchsfreiheit und so ;).

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