In einem Land ohne Referendariat...

Grundsätzliche Fragen zum Referendariat können hier gestellt werden
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Jméno
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In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von Jméno »

Disclaimer vorab: Ein Großteil meines eigenen Referendariats war miserabel – durch äußere Umstände (zwei Schulen, null Koordination), durch sprachlos machende Entscheidungen vor Ort („Sie müssen schon verstehen, dass wir sie nicht nur mit der vorgeschriebenen Höchststundenzahl einsetzen, Sie haben schließlich ein Mangelfach!“), durch eine Fachleiterin, mit der es menschlich überhaupt nicht funktionierte (lange Geschichte) und schlussendlich durch die Arbeit an einer Gesamtschule – wobei ich da erkannt habe, dass ich persönlich einfach besser an ein Gymnasium passe, insofern da und auch im Verlauf immer wieder durch meine eigenen Fehlentscheidungen.

Zurzeit arbeite ich als Lehrkraft im Ausland; ich betreue als Muttersprachler den Deutschunterricht an mehreren Schulen und sehe mithin, übern Daumen gepeilt, ein gutes dutzend Kolleginnen und Kollegen im Unterricht. Hierzulande gibt es kein Referendariat; man hat halt einen Abschluss in dem einen Fach, das man unterrichten möchte, und wird nach der Einstellung auf die Klassen losgelassen. Ohne Coaching. Ohne Praxissemester. Und mit soviel Didaktik und Pädagogik, wie man freiwillig eben an der Uni belegt hat.

Ich habe dementsprechend in dem knappen Jahr, das ich hier bin, nicht einmal einen Einstieg gesehen, der über „schlagt eure Bücher auf“ hinausging. Ich habe nicht einmal eine Klassenarbeit gesehen, die systematisch alle drei Anforderungsebenen abprüfen würde. Ich habe nur bei ganz wenigen Lehrkräften Unterrichtsmethoden gesehen, die über „ihr könnt das mit eurem Nachbarn zusammen machen“ hinausgehen. Und ich habe leider auch Menschen vor Schulklassen gesehen, die dort niemanden glücklich machen – weder die Klasse und schon gar nicht sich selbst. Natürlich sehe ich oft auch mitreißenden Unterricht, aber da kann oft genug die Lehrkraft selber kaum sagen, warum das so gut klappt, weil ja Unterricht niemals systematisch analysiert wurde.

In diesem Sinne ist es mir echt ein Anliegen, hier festzuhalten: Ja, das Referendariat ist oft alles andere als eine schöne Zeit und alle Reffis haben das Recht, sich über Druck, Stress, Kontrollgefühle, über sinnlose und überzogene Ansprüche aufzuregen – aber es schleift eben auch Minimalstrukturen (wie Einstieg, Erarbeitung, Überprüfung, Sicherung plus ggf. Vertiefung) ein, selbst wenn man sie nicht jedesmal bewusst plant und exzessiv gestaltet. Es gibt ferner jedem Lehrer einen Grundstock an Methodik in die Hand, um Unterricht variabel zu gestalten. Und ja, das Referendariat siebt diejenigen aus, die für die Arbeit im Schuldienst nicht gut geeignet sind. – Das alles macht das Referendariat zweifelsohne nicht in perfekter Weise. Aber unterm Strich ist eine Praxisausbildung trotzdem besser als keine Praxisausbildung.
…он је метафора, начин живота, угао гледања на ствари!

Jula13
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von Jula13 »

Sehr spannend, was Du berichtest! Danke!
Wie beurteilst Du die Ergebnisse, die diese "ungelernten" Lehrer bei ihren Schülern erzielen?
Ist eine wie auch immer geartete individuelle Förderung erwünscht und möglich?

Rets
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von Rets »

Insgesamt würde ich dem letzten Abschnitt von Jmeno zustimmen, einzig glaube ich, dass diese Art der Praxisausbildung schlecht ist. Zu viele Prüfungen für zu viele Dinge, die mehr auf Erfahrung oder didaktische Genialität als auf vernünftiges Handwerk triggern...
Zuletzt geändert von Rets am 14.04.2017, 18:01:10, insgesamt 1-mal geändert.

kecks
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von kecks »

darf man fragen, wo du denn gerade bist?

amerikanische expats hier in deutschland sind regelmäßig sehr erstaunt über die hefteinträge und arbeitsblätter, die es hier fast immer und in jeder stunde und in jedem fach in jeder schulform gibt. sicherungen scheinen wenig bekannt aus der eigenen schulzeit, und die meisten von denen waren an exzellten us-schulen nach eigenaussage. sie sprechen untereinander von "german schooling"... die differenzen müssen aus deren sicht sehr deutlich sein.

chilipaprika
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von chilipaprika »

und: wie gut sind die Schüler jetzt in Deutsch? Erreichen sie (schriftproduktiv/ sprachlich / kommunikativ...) ähnliche Niveaus wie unsere Schüler in Deutschland ?

Jméno
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von Jméno »

Jula13 hat geschrieben:Wie beurteilst Du die Ergebnisse, die diese "ungelernten" Lehrer bei ihren Schülern erzielen? Ist eine wie auch immer geartete individuelle Förderung erwünscht und möglich?
Die Ergebnisse sind halt so, wie man sie unter den Bedingungen erwarten kann: Es gibt Lehrer mit Talent für diesen Job (wie in Deutschland auch): Die individualisieren und variieren ihren Unterricht – und es gibt eben diejenigen, die mehr oder weniger im Nebel stochern. Dem Großteil davon täte eine Praxisschulung, was man machen kann, was gut läuft, wie sie vor der Klasse wirken usw. recht gut. Zugunsten meiner einheimischen Kollegen wirken sich zweierlei Dinge aus: Erstens eine relativ hohe Disziplinierung in der Grundschulphase, d.h. wenn der Lehrer spricht, ist im Normalfall auch echt Stille. Und daneben eine sehr hohe Toleranz der Verwaltung; wenn jemand schwänzt, schwänzt er halt. Sein Problem, nicht unseres.

Erwartet wird ansonsten hier recht wenig. Das liegt auch daran, dass meine einheimischen Kollegen mit umgerechnet weniger als 400 € netto im Monat nach Hause gehen, wenn sie eine volle Stelle zum Äquivalent einer Verbeamtung ergattert haben. Da muss dann ein Zweit- und oft auch ein Drittjob her (Firma, Übersetzung, Gerichtsdolmetscher...), sofern man nicht das Glück hat, reich zu heiraten. Und wenn der Staat nur so tut, als würde er seine Leute bezahlen, tun die auch höchstens so, als würden sie volle Leistung erbringen. Ich kann und mag das nicht verurteilen.
chilipaprika hat geschrieben:und: wie gut sind die Schüler jetzt in Deutsch? Erreichen sie (schriftproduktiv/ sprachlich / kommunikativ...) ähnliche Niveaus wie unsere Schüler in Deutschland ?
Unterschiedlich. Es gibt Grundschulen, die Deutsch als erste Fremdsprache anbieten und Gymnasien, die fünf Stunden pro Woche Deutsch unterrichten. Das ist der Optimalfall. Am Ende kommen oft tolle Ergebnisse heraus, wobei veraltetes Unterrichtsmaterial und ein wenig kommunikativer Deutschunterricht in der Grundschule (Fremdsprache = Grammatik pauken) dafür sorgen, dass nicht alle fließend Konversation betreiben können. In der schlechteren Kombination ist Deutsch zweite Fremdsprache und hat danach am Gymnasium zwei Wochenstunden. Dann ist's ein Glückspiel, ob man nach sieben Jahren Fremdsprachenunterricht B1 erreichen kann.

@kecks: Fragen darfst du immer. :mrgreen: Aber ich möchte es am liebsten bei „Großraum Osteuropa, ehemals sozialistisch“ belassen.

@Rets: Ja, da wäre ich durchaus dabei. Das Referendariat in seiner jetzigen Form ist sicherlich nicht das Nonplusultra – aber mir ging es auch erst einmal darum, einen Kontrapunkt zu setzen zu den Debatten, die allesamt nach demselben Strickmuster verlaufen: „Schafft das Ref ab, ich bin sowieso zu genial für diese Welt“, wenn ich's mal böse zuspitze. Selbst wenn das mit der selbst gefühlten Genialität stimmt, kommt halt am Ende durchaus sowas bei raus.
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rissig21
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Re: In einem Land ohne Referendariat...

Beitrag von rissig21 »

Jméno hat geschrieben: Und ja, das Referendariat siebt diejenigen aus, die für die Arbeit im Schuldienst nicht gut geeignet sind. – Das alles macht das Referendariat zweifelsohne nicht in perfekter Weise. Aber unterm Strich ist eine Praxisausbildung trotzdem besser als keine Praxisausbildung.
Nö. Das Ref - sorry aber das ist nunmal so - siebt offensichtlich verhaltensgestörte Menschen aus, ansonsten wird halt hier und da gesiebt und nicht selten kapiert man nicht wirklich, was an der Person jetzt eigentlich so schlimm oder unpassend gewesen sein sollte oder weshalb die schräge Type besteht, der nächste dann aber wieder nicht durchkommt, obwohl eig. charakterlich ganz in Ordnung... ich sehe da wenig System dahinter.

Ansonsten ist es halt immer schwierig mit dem Ausland als Beispiel zu kommen. Heute weiß man z.B., dass Finnland nur deshalb in PISA so gut war, weil früher dort sehr autoritär unterrichtet wurde (ups - peinlich peinlich, wie konnte man das nur übersehen? Ganz einfach deshalb, weil man häufig eben nur das sieht, was man sehen möchte...).

Asien wird oft als negatives Beispiel des stumpfen Paukunterrichts hierzulande angeführt, ohne genau hinzuschauen, wie und warum man dort so und nicht anders unterrichtet. Die Schüler haben dort weniger Stress und gehen gerne in ihre Paukschule - die guten PISA-Ergebnisse kommen also nicht vom Zwang und Rohrstock, wie man gerne darstellt...

Also lieber etwas langsam mit dem Auslandsvergleich... das führt oft auf den Holzweg, wenn man nur einseitig mit dem eigenen Land vergleicht. Nutz doch die Zeit, um mal etwas differenzierter zu beobachten!

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