Zeitungsartikel: Gehalt zwingt junge Lehrer zu Zweitjob

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gosford
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Zeitungsartikel: Gehalt zwingt junge Lehrer zu Zweitjob

Beitrag von gosford »

Quelle: Berliner Morgenpost. 13.12.06

Gehalt zwingt junge Lehrer zum Zweitjob
Schlechte Arbeitsbedingungen, keine Perspektiven: Pädagogen verlassen Berlin. Derweil nimmt der Unterrichtsausfall zu
Von Christa Beckmann

Berufsschullehrer Cem Elit (l.) verdient mit einem Zweitjob im Fitness-Studio Geld für seine Familie dazu

Foto: Michael Herrmann
Unterrichtsausfall und kein Ende in Sicht: Jede Woche müssen an den Berliner Schulen Tausende von Stunden ersatzlos gestrichen werden, weil Lehrer fehlen. Noch weitaus mehr werden - größtenteils fachfremd - vertreten. Nun sollen die Schulen Geld erhalten, um sich Vertretungskräfte "einkaufen" zu können. Das wird nicht so einfach funktionieren, fürchtet die Lehrergewerkschaft GEW.

Denn schon heute ist das Bewerberangebot in vielen Fächern äußerst dünn. Für unattraktive Kurzzeitverträge werde die Auswahl noch einmal kleiner, warnt GEW-Chefin Rose-Marie Seggelke: "Das Land muss deshalb neu einstellen, solange noch Bewerber da sind." Die Schulen brauchten eine feste Personalreserve. Um Stundenausfall zu minimieren, fordern Bildungsexperten zudem einen zeitlich flexibleren Arbeitseinsatz von Lehrern.


Wie schwer es schon heute ist, Ersatz zu finden, zeigt das Beispiel Reinickendorf. Dort hatte die Verwaltung vor wenigen Tagen 40 Kandidaten von der Bewerberliste angeschrieben - für eine bis Ende Januar befristete Vertretungsstelle in einer Grundschule. "Zur Vorstellung gekommen sind ganze drei", sagt Christoph Kohlstedt, Vizevorsitzender des dortigen Lehrerpersonalrats. Viele der angeschriebenen Nachwuchslehrer hätten mittlerweile eine feste Stelle in einem anderen Bundesland, wo sie mehr verdienen.


"Berlin ist nicht attraktiv für Lehrer", sagt Kohlstedt. Denn in der Hauptstadt werden die Pädagogen nicht mehr verbeamtet, sondern nur noch als Angestellte mit anfänglichem Zwei-Drittel-Vertrag eingestellt, dazu ohne Weihnachts- und Urlaubsgeld.

Ein Beispiel dafür, was Lehrer in der Hauptstadt hinnehmen müssen, ist Cem Elit. Drei Sonntagabende im Monat, immer von 18 bis 23.30 Uhr, arbeitet der Lehrer in einem Fitness-Studio an der Hauptstraße in Schöneberg. 200 Euro bringt ihm das jeden Monat. Geld, das er dringend benötigt. Denn mit seinem Lehrergehalt käme der 33-Jährige, dessen Freundin noch studiert und im April ihr zweites Kind erwartet, kaum über die Runden, wie er sagt. 1729 Euro netto verdient er als Berufsschullehrer. 25 Stunden Wirtschaftslehre und Sport in der Woche gibt er dafür am Oberstufenzentrum Handel I in Kreuzberg. Seine Arbeitszeit ist doppelt so lang - inklusive Stundenplanungen, Konferenzen, Abiturvorbereitungen.

Elit hat seine Stelle 2004 angetreten und gehört damit schon zu der Lehrergeneration, die nur noch als Angestellte in den Landesdienst übernommen wurden, und das mit einem Zwei-Drittel-Vertrag. Erst nach zwei Jahren haben sie Anspruch auf eine volle Stelle.

Der Junglehrer will diese Situation nicht mehr länger hinnehmen. Vor zwei Wochen hat er sich deshalb in Baden-Württemberg beworben. Gut 600 Euro hätte er dort jeden Monat mehr in der Tasche, inklusive voller Beamtenstelle. "Gern würde ich in Berlin bleiben und hier etwas bewegen", sagt Elit, der die Sprache seiner türkischen Schüler spricht und mit ihrer Kultur vertraut ist. "Aber ich muss auch an meine Familie denken." Die Abwanderung junger Lehrer führt dazu, dass die Grundausstattung an vielen Schulen nicht mehr gewährleistet ist.
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Ein Vertretungsbudget ist aber nur sinnvoll als Ergänzung zu einer ordentlichen Grundausstattung", sagt GEW-Vorsitzende Rose-Marie Seggelke. Und diese Basis müsse deutlich größer sein als die 100 Prozent, mit denen der Senat die Schulen künftig ausstatten wolle.

Auch Harald Mier von der Berliner Vereinigung der Oberstudiendirektoren hat "Bedenken, gleich 800 Berliner Schulen auf den Markt zu schicken, um dort Vertretungen einzukaufen". Die Budgets sollten schrittweise und vorerst auf freiwilliger Basis eingeführt werden. Um Unterrichtsausfall zu verringern, hält der Chef des Gymnasialleiterverbandes nicht nur mindestens eine 102-prozentige Grundversorgung der Schulen mit festem Personal für notwendig. Auch die starr vorgegebenen Arbeitszeitregelungen müssten aufgeweicht werden. Statt jede Woche regelmäßig 26 Unterrichtsstunden erteilen zu müssen, sollte der Arbeitseinsatz beispielsweise eines Gymnasiallehrers je nach Bedarf zwischen 24 und 28 Stunden schwanken dürfen, schlägt Mier vor: "Das ist in anderen Berufen auch möglich."

Fränzy
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Beitrag von Fränzy »

ich finde den Verdienst nicht schlecht . Ich verdiene als Diplpäd auf einer 100% Stelle weniger, obwohl ich einen akademischen Grad habe, der dem Gymnasiallehramt entspricht. In der BBS sind ja oft auch Lehrer, die "nur" Fachlehrer ohne akad. Ausbildung sind. Ich arbeite ja in einer BBS und ich fände es schon ziemlich merkwürdig, wenn jeder der Farbtechniklehrer o.ä. DEUTLICH mehr als ich verdienen würden.
Ich denke, wenn nur einer in der Familie verdient, ist es immer etwas knapp, nicht nur bei Lehrern.

Es handelt sich wahrscheinlich auch um das Nettogehalt...

gosford
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Beitrag von gosford »

Hallo Fränzy

Der Lehrer, von dem hier die Rede ist, hat bereits eine volle Stelle (100%). Die 1700€ sind natürlich netto.

Bei der in Berlin üblichen 2/3-Anstellung hat der allerdings 2 Jahre lang lediglich ca. 1250 € netto bekommen.


Gruß
gosford

bianquita
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Beitrag von bianquita »

ich denke, dass man den artikel nicht nur auf junge lehrer auslegen kann, sondern auf alle anderen berufsgruppen. 1700 € sind nun nicht soooo wenig für eine (fast) vierköpfige familie. es gibt elektriker, andere handwerker oder eben auch akademiker, die mit weit weniger auskommen müssen (kindergeld noch gar nicht beigerechnet).
das problem der zweitjobs wird es in zukunft wohl öfter geben, es sei denn, die frau geht irgendwann wieder arbeiten.
was ich ungerecht finde an der sache: angestellte lehrer verdienen im vergleich zu verbeamteten lehrer viel weniger, ohne familienzuschläge (was bei verheirateten mit kindern ja bis 500 € ausmachen kann!!!) und machen die gleiche arbeit!!!!
hat man die möglichkeit, bewirbt man sich dort, wo es noch beamten-stellen gibt. da muss eben die familie mitziehen.

Lysander

Beitrag von Lysander »

Also wenn man ein Extrembeispiel nimmt, wundert mich das nicht.
Alleine würde der Mann über die Runden kommen. Jetzt hat er aber eine studierende Freundin (also kein Zweiteinkommen und sie benötigt finanzielle Unterstützung), die ihr zweites Kind bekommt.

Das ist eine denkbar ungünstige Konstellation, die man aber ändern könnte.
Würde er beispielsweise seine Freundin heiraten, hätte er eine günstigere Steuerklasse und die beiden Ehepartner würden gemeinsam veranlagt werden - ferner flösse das Kindergeld für zwei Kinder in die gemeinsame Kasse.
(Was ich damit nicht sagen will, ist, dass dies einen Grund darstellen sollte zu heiraten).

Somit KÖNNTE diese Familie theoretisch deutlich mehr Geld in der Tasche haben.

Ich finde dieses Beispiel etwas unseriös, weil es augenscheinlich bewusst eine Extremsituation als Beispiel für vermeintlich ungünstige Verhältnisse in Berlin verwendet - was nicht heißen soll, dass die Situation in Berlin jetzt schöngeredet werden soll.

Gruß
Lysander

Knochenhund
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Beitrag von Knochenhund »

** Es geht ja darum, daß er als Beamter für die gleiche Arbeit ca 600€ /Monat mehr bekommen würde.

Ich würde nicht sagen, dass 1800€ für einen Akademiker viel sind.

Im öff. Dienst bekommt eben (fast) jeder das gleiche (höh Dienst), egal wo er wohnt, und egal was er studiert hat........

Piccola
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Beitrag von Piccola »

Hm, das hört sich echt nicht gut an...

Die Nebenjobs muss man ja auch noch genehmigen lassen.

Um eine Familie alleine zu finanzieren, reicht ja leider heutzutage kaum mehr ein Gehalt...

Aber ich denke, dass der in dem Artikel beschriebene Fall ein Extremfall ist, oder?

1800 Euro netto sind für eine Person okay, aber für den langen Ausbildungsweg bzw. für ganze Familien schon recht wenig...
stimmt schon...

Piccola

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