Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

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Valerianus
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Re: Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

Beitrag von Valerianus »

Ich find gerade online nur eine Präsentation von Baumert zum Thema und nur auf Mathematiklehrer bezogen (ab Folie 39):
https://www.emse-netzwerk.de/uploads/Ma ... 1-korr.pdf

Gymnasiallehrer sind von den Abiturnoten her nicht von anderen Studenten zu unterscheiden,
die anderen Lehrämter...deutlich...
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/w ... 70576.html

Wie es dann mit der fachlichen Kompetenz nach dem Studium steht hängt wohl auch wesentlich von den Studienordnungen ab. Im Staatsexamen war bei uns alles bis zur Zwischenprüfung fast 1:1 aus dem Diplomstudiengang (ein Tausch: Analysis III gegen Stochastik) übernommen, in Geschichte mussten wir mehr Leistungsnachweise erbringen als die Magisterstudenten. Im Bachelor hängt es stark vom Modell der Universität ab (ab 1. Semester Praxisschock vs. erst im Master wird differenziert).

Sonderpädagogik und Berufskolleg sind in den meisten Studien nicht mit drin, keine Ahnung wie es mit denen steht.
Non vitae, sed scholae discimus (Seneca)

tiger
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Re: Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

Beitrag von tiger »

Jula13 hat geschrieben:Wir haben doch nichts davon, wenn bei uns die Schüler reihenweise die Zulassung verfehlen oder durch die Abiturprüfungen rasseln.
Ob das passiert, hängt von der Notenvergabe an der Schule ab. Wenn man eine hohe Übertrittsquote in die Sekundarstufe II wünscht, weil es die Anmeldezahlen hochhält oder die Schule in gutem Licht erscheinen lässt, dann lassen sich fast nach Belieben die Anforderungen senken.

Ob ein Schüler in der Abiturprüfung schlecht abschneidet, ist dann gar nicht so wichtig, weil nach vielen Länderregelungen die Prüfungsnoten lediglich ein Drittel (oder sogar noch weniger) der Gesamtnote ausmachen. Sprich, ein Notenpunkt in der schriftlichen Mathematikprüfung muss nicht automatisch das Aus bedeuten, wenn vorher Kuschelnoten verteilt wurden.

Für die Gesamtschulen, die vielerorts mit anderen Schularten um die Schüler konkurrieren, bedeutet das: Schüler, kommt zu uns, wir bringen euch in die Oberstufe, während ihr von einem Gymnasium vielleicht nicht einmal aufgenommen würdet und auf der Realschule keine Aussicht aufs Abitur habt.

Dazu mag ein gewisser Kontrasteffekt kommen: Wenn ich an einer Schule unterrichte, an der ich auch sehr leistungsschwache Schüler habe, dann bin ich von den Leistungen der leistungsstarken mehr beeindruckt, als das an einem Gymnasium der Fall ist, wo wirklich leistungsschwache Schüler bald herausgefiltert werden.

Eine typische Gesamtschullehrer-Reaktion auf das oben Geschriebene wäre z. B.:
Jula13 hat geschrieben:Außerdem haben auch wir Ehre am Leib und weigern uns, Noten zu verschenken.
Dann frage ich mich allerdings, wieso Studien zeigen, dass Gesamtschüler im Mittel schlechtere Leistungen erbringen als Realschüler.

Jula13
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Re: Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

Beitrag von Jula13 »

Dann frage ich mich allerdings, wieso Studien zeigen, dass Gesamtschüler im Mittel schlechtere Leistungen erbringen als Realschüler.
Siehe den Anfang meines Postings vom 07.05.
Viele, vor allem neu eröffnete Gesamtschulen befinden sich in sozialen Brennpunkten und/oder haben die örtliche Hauptschule ersetzt. Das ist ein Trend, den ich nicht begrüße, denn er ruiniert den Ruf aller Gesamtschulen, wie man an Deinen Beiträgen erkennt.
Für die Gesamtschulen, die vielerorts mit anderen Schularten um die Schüler konkurrieren, bedeutet das: Schüler, kommt zu uns, wir bringen euch in die Oberstufe, während ihr von einem Gymnasium vielleicht nicht einmal aufgenommen würdet und auf der Realschule keine Aussicht aufs Abitur habt.
Wir werben nicht mit der Aussicht auf das Abitur. Das wäre höchst unseriös!
Im Gegenteil: Das Entsetzen ist auf Seiten der Eltern oft groß, wenn ihnen verkündet wird, dass ihr Kind die Qualifikation für die Oberstufe nicht erreichen wird, weil eben jenes Vorurteil herrscht, dass auf einer Gesamtschule jeder Abitur machen könne, und dem nicht so ist.
Diese Dramen fordern wir doch nicht noch heraus. Die sind ja auch für uns höchst unangenehm, zumal es Eltern gibt, die dann sehr anstrengend werden können.

Ich frage mich, woher Du Deine Meinung hast. Hast Du bereits an einer Gesamtschule unterrichtet?
Ich lade Dich gerne ein, bei uns zu hospitieren. Das geht problemlos, denn wir haben ohnehin sehr oft Gruppen im Haus.

Drops
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Re: Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

Beitrag von Drops »

kecks hat geschrieben:aus interesse, jule, drops: habt ihr auch die ganz starken, d.h. die zwanzig prozent oder so, die auch schon vor zwanzig jahren auf dem gym gewesen wären? gibt es die an gs? oder wandern die ab?
Bei uns in der Region wandern sie nicht ab, obwohl wir umgeben sind von Gymnasien. Die Eltern schicken oftmals ihr Kind sehr bewusst zu uns an die Schule, gerade wenn es ein Gymnasialkind ist.

Und nein, wir hieven keine Schüler zum Abitur. RLP mag in Sachen Zentralabitur irgendwie nur halbe Sachen (wenn überhaupt machen), doch auch bei uns gibt es Qualifikationen zu erreichen und unsere Schule muss sich mit den sie umgebenden Gymnasien messen. Nach der 10 haben wir mittlerweile wirklich viele Schüler, die lieber vom Gymnasium zu uns wechseln. Nicht, weil es bei uns einfacher wäre - der Zahn wird jedem schnell gezogen - sondern weil wir ein überzeugendes pädagogisches Konzept haben, auch in der Oberstufe.

Übrigens bin ich doch immer wieder echt erstaunt darüber, wie andere Gymnasiallehrer auf die Arbeit ihrer Gymnasialkollegen an IGS reagieren. Anscheinend geben wir für sie unsere Kompetenzen und unsere Ansprüche, guten und anspruchsvollen Unterricht zu halten, bei Planstellenantritt an einer IGS ab. Wir machen exakt dieselbe Arbeit in den Klassen wie ihr. Wir schreiben dieselben Abiture wie ihr. Wir lesen dieselben Lektüren und müssen uns an denselben Lehrplan halten.

Was genau macht euch denn Sorgen? Wenn ich lese, wie bspw. Du, tiger, hier argumentierst, bin ich doch verblüfft. Was genau willst Du mir denn sagen, der ich an einer IGS unterrichte? Dass ich mein Niveau heruntergeschraubt habe? Dass ich unintelligentere Gymnasiasten unterrichte, nur weil die nicht am Gymnasium, sondern in der Oberstufe einer IGS sind? Denkst Du denn, ich singe und klatsche nur mit denen und tanze im Abitur ihren Namen, um sie danach mit selbstgebackenen Butterkeksen vollzustopfen?

Soooo viel elitäres Denken für nichts und wieder nichts.

kecks
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Re: Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

Beitrag von kecks »

äh, lies bitte nochmal meine posts. ich bin nicht der tiger und glaube nicht, dass ihr irgendwie die schlechteren gymnasien seid. war wirklich eine rein interessierte nachfrage, weil es hier so ist, dass begabte kinder (die 'echten' gymnasiasten, die sich leicht tun und in jeder schulform gut bis sehr gut wären) zumindest von bildungsnahen elternhäuser (die, wo die eltern selber lehrer, professoren, journalisten, ingenieure etc. sind - nicht so sehr die bwler, selbstständige blabla) fast immer an den kleinen, elitären, extrem anspruchsvollen humanistischen traditionsgymnasien abgegeben werden. da sind selbst schon die großen staatlichen 'normalen' gymnasien zu anspruchslos (was auch stimmt, vergleicht man die geistige beweglichkeit - abstraktionsvermögen, transferfähigkeit, freilich auch frusttoleranz, lernverhalten, vorbildung - der kinder) - was sich aus der übertrittsquote von bis zu neunzig prozent erklärt, während an den humanistsichen wirklich nur so die top zwanzig bis eher noch weniger eines jahrgangs überhaupt starten.

tiger
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Re: Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

Beitrag von tiger »

Drops hat geschrieben:Wir machen exakt dieselbe Arbeit in den Klassen wie ihr.
Das glaube ich nicht. Wenn die Arbeit an den Gesamtschulen konzeptionell nicht von denen der übrigen Schulen abweichen würde, hätte diese Schulform doch überhaupt keine Legitimation mehr.

Im Übrigen schreibst du doch selbst, dass ihr "ein überzeugendes pädagogisches Konzept" hättet. Irgendwie passt das nicht zusammen.

Zu den Noten siehe hier:
http://www.abendblatt.de/hamburg/kommun ... hulen.html
Zuletzt geändert von tiger am 09.05.2017, 21:07:20, insgesamt 1-mal geändert.

tiger
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Re: Als Gymnasiallehrer an die Gesamtschule

Beitrag von tiger »

Jula13 hat geschrieben:Viele, vor allem neu eröffnete Gesamtschulen befinden sich in sozialen Brennpunkten und/oder haben die örtliche Hauptschule ersetzt.
Das spricht doch dafür, dass Gesamtschulen für leistungsorientierte und leistungsfähige Schüler keine Alternative zum Gymnasium darstellen. Vor der Eröffnung einer Gesamtschule an sozialen Brennpunkten oder als Ersatz einer Haupt- oder Realschule hätte doch vermutlich kaum ein Kind mit Gymnasialempfehlung diese Schulen besucht.

Was ich mich als Gymnasiallehrer immer frage: Das Gesamtschulkonzept beruht anscheinend auf einer leistungsmäßigen Durchmischung der Schüler. Warum aber sollten Eltern ein Kind mit Gymnasialempfehlung denn auf eine Gesamtschule schicken, wenn ganz klar und aus vielen Alltagssituationen bekannt ist, dass leistungshomogene Gruppen viel besser geeignet sind, jeden Schüler nach seinen Fähigkeiten zu fördern, als leistungsheterogene Gruppen?

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