Eltern untersagen Familienanamnese / Amtsarzt

Amtsarzt
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Re: Eltern untersagen Familienanamnese / Amtsarzt

Beitrag von Amtsarzt »

Glückwunsch zu Ihren Eltern und einen schönen Gruß an selbige !!! Es gibt sie noch, selbständig denkende Wesen!
Schreiben Sie einfach, dass die Weitergabe der Informationen Ihnen datenschutzrechtlich untersagt wurde, und dass Renitenz (natürlich nur die Ihrer Eltern) aber Ihres Wissens nach nicht zu den vererblichen Leiden gehört, sondern überwiegend als Ausdruck mehr oder weniger gelungener gedanklicher Überlegungen zu interpretieren ist, und im Übrigen selbst die Verwertung gendiagnostischer Erkenntnisse nach dem Gendiagnostikgesetz nicht zulässig ist.
Leider halte ich so etwas nicht für einen Einzelfall. Es scheint tatsächlich so, dass in deutschen Behörden eine panische Angst herrscht, etwas unvollkommenes zu verändern, weil auf diese Weise u.U. das ganze System gefährdet sein könnte und man einfach unter Dummen als klug unangenehm auffallen könnte. Immerhin bleibt den nachfolgenden Generationen so die Grundlage für die hinlänglich bekannten Beamtenwitze erhalten !!! Die datenschutzrechtlichen Bedenken gegenüber der grundsätzlichen Verhältnismäßigkeit einer Verwendung einheitlicher Fragebögen bei Berufen unterschiedlicher Anforderungen lasse ich mal außen vor.
(Es handelt sich hier um eine persönliche Meinungsäußerung, die nicht unbedingt identisch sein muss mit der Auffassung meines Dienstherrn)

Michl
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Re: Eltern untersagen Familienanamnese / Amtsarzt

Beitrag von Michl »

kecks hat geschrieben: ad threadersteller: ich würde "nicht bekannt" hinschreiben, du weißt es ja nicht, weil deine eltern es dir nicht sagen wollen.
nrw31 hat geschrieben: Das würde ich immer so beantworten, selbst wenn es dir deine Eltern nicht untersagt hätten.
Mir geht es nicht (mehr) um die Dinge, die ich nicht (so genau) weiß. Da werde ich jetzt natürlich "nicht bekannt" hinschreiben.

Aber was ist (fiktiver Fall), wenn jemand seinem Hausarzt mal gesagt hat, dass ein Elternteil z.B. Diabetes hat und dieser sich das in seinem Computer notiert hat. Ist es dann problematisch, wenn derjenige dann beim Amtsarzt trotzdem "nicht bekannt" bei der Frage nach Diabetes hinschreibt? Kann das dann später nicht mal rauskommen, dass dem Amtsarzt die Unwahrheit gesagt wurde und entsprechende Konsequenzen haben?

Mein Termin ist nächste Woche. Ich würde mich sehr freuen, wenn mir bis dahin noch jemand antworten könnte.

Amtsarzt
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Re: Eltern untersagen Familienanamnese / Amtsarzt

Beitrag von Amtsarzt »

Was Hausärzte so notieren, ist nur mit Vorsicht zu genießen. Das ist keineswegs als Abqualifikation zu verstehen. Es ist nur so, dass die eigentliche ärztliche Tätigkeit gem. dem Stand der Wissenschaft nicht in Einklang zu bringen ist mit Budgetierungen von Leistungen, selbst dann, wenn diese geboten sein sollten.

Der miese Punktwert für die Bewertung einer Leistung führt dazu, dass die Leistung häufiger angeboten wird, um ein angemessenes Einkommen zu gewährleisten. Das führt zu immer weiterer Absenkung des Punktwertes. Die Leistung kann auch bei "großzügiger Indikationsstellung" nicht unbegrenzt angeboten werden. Das führt zu dem Konflikt, entweder zu fuschen oder für ein akzeptables Einkommen Tag und Nacht arbeiten zu müssen. Der Staat regelt durch Budgetierung von Leistungen der großzügigen Indikationsstellung mit Erhöhung der Leistungserbringungszahlen entgegen. So etwas begünstigt natürlich, dass immer weniger Ärzte sich niederlassen möchten und immer mehr Ärzte sich in den von den großen Klinikbetreibern betriebenen MVZ`s anstellen lassen. Ohne weiter auf damit verbundene Nachteile für eine ordentliche Versorgung nicht privat versicherter Patienten eingehen zu wollen, so suchen doch alle Ärzte Wege, um dieser Budgetierung zu entgehen. Der eine wird Amtsarzt, der zweite wandert nach Skandinavien oder der Schweiz aus, der dritte wird religiös und erhofft sich nen Platz im Himmelreich und der vierte nutzt Schlupflöcher dieses insuffizienten Abrechnungssystems: Da der öffentliche Aufruhr beim alle 4 Jahren wertgeschätzten Stimmvieh doch zu groß würde, wenn bei wirklich schwereren Leiden eine Behandlung aus Budgetgründen verweigert würde (warum schließen wohl so viele Arztpraxen am Ende des Quartals?), gibt es nach meiner Kenntnis bei bestimmten Diagnosen wohl Ausnahmen. Also werden die Computersysteme der Arztpraxen mit derartigen Diagnosen vollgeballert.
Mag ja sein, dass bei Gesundheitsämtern nicht unbedingt die Intelligentesten ihrer Zunft arbeiten, eine gewisse Distanz gegenüber "Computerdiagnosen" dürfen Sie aber bei Amtsärzten dennoch voraussetzen.
Das Grundübel ist, dass die wirtschaftliche Beziehung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer vielleicht noch eingeschränkt bei Verbrauchern und Handwerkern möglich sein wird (allerdings auch immer weniger durch den Fortschritt der Technik), aber zwischen Arzt und Patient nicht funktioniert. Jeder würde einen Handwerker aus dem Hause jagen, würde dieser unsinnige Arbeiten verrichten wollte. Zwischen Arzt und Patienten ist aber der Wissensunterschied so groß, dass hier die Beziehung von Vertrauen notwendigerweise abhängig ist. Das ist unvereinbar mit der direkten wirtschaftlichen Beziehung.
Und wenn das System der Regelwirtschaft nicht vollends an die Wand gefahren wurde, werden wir noch in 100 Jahren mit immer neuen Regelungen so weitermurkeln wie bisher. Glücklicherweise bin ich in 100 Jahren bereits Humus.
(Es handelt sich hier um eine persönliche Meinungsäußerung, die nicht unbedingt identisch sein muss mit der Auffassung meines Dienstherrn)

kecks
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Re: Eltern untersagen Familienanamnese / Amtsarzt

Beitrag von kecks »

wer ernsthaft glaubt, medizin sei eine dienstleistung, der hat was ganz grundlegendes nicht verstanden. genauso wie altenpflege, pädagogische berufe, kunst... das sind keine dienstleistungen. außer man betrachtet sie durch die augen eines ideologischen kapitalisten ("der markt, der heilige markt regelt alles zum besten für alle, wenn man ihn nur machen lässt!"), dann ist das freilich voll toll, so ein durchkapitalisiertes gesundheitssystem.

grüße aus einer notaufnahme in einer bayerischen großstadt, wo ich seit zwei stunden wartend versuche, einen freund (assistenzarzt) zum bier abzuholen, bisher ohne erfolg, weil ständig neue leute reinschneien (vorzugsweise aus meiner laien-sicht primär erkältet oder so, eher nicht schwer krank) und ihn vom dienstende abhalten.
Zuletzt geändert von kecks am 14.12.2017, 15:06:49, insgesamt 1-mal geändert.

Amtsarzt
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Re: Eltern untersagen Familienanamnese / Amtsarzt

Beitrag von Amtsarzt »

Hallo Kecks,
Ob kapitalistisch, sozialistisch oder was auch immer die treffendste Bezeichnung ist, weiß ich auch nicht. Ich las einen Bericht, der die Spitze des Eisbergs markiert. Mangels Kostenträgerschaft einer Versicherung müssen (mussten?) in den USA arme Menschen die Notfallambulanz nutzen bzw. missbrauchen. Das führt bei privaten kapitalistisch-marktwirtschaftlich arbeitenden Krankenhäusern in sozial schwachen Regionen zu die eigene Existenz gefährdenden finanziellen Bedingungen. Nach dem Bericht sollen wohl im Überlebenskampf eines Hauses einfach demente Patienten mit dem Taxi irgendwo ausgesetzt worden sein. Das mag (falls überhaupt wahr) ein Einzelfall gewesen sein. Die tägliche Praxis in Deutschland wurde dieses Jahr beeindruckend
im Deutschen Ärzteblatt dargestellt:
https://www.aerzteblatt.de/archiv/19356 ... r-Ambulanz

Das ist schon harter Toback. So richtig unter die Haut gegangen, ist mir (und insbesondere jedem politisch denkenden Menschen mit einem Rest von Herz) eine apokalyptisch-bedrückende aber nach meiner Erfahrung durchaus glaubhafte jedem als Lektüre zu empfehlende Nahaufnahme einer Notaufnahme im Deutschen Ärzteblatt aus 2013: "Notaufnahme: Gleicher als die anderen" (Deutsches Ärzteblatt 2013)
https://www.aerzteblatt.de/archiv/14342 ... ie-anderen

Mehr möchte ich nicht ausführen, da ich eigentlich hier thematisch abschweife.
(Es handelt sich hier um eine persönliche Meinungsäußerung, die nicht unbedingt identisch sein muss mit der Auffassung meines Dienstherrn)

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