Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Konstruktive Kritik - das Referendariat muss reformiert werden! Eure Vorschläge...
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Fränzy
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Re: Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Beitrag von Fränzy »

Vorlesen finde ich auch ganz klasse und ohne zu wissen, dass es anscheinend wieder modern wird, wir machen das schon eine Weile. Ich selbst habe vor 5 Jahren eine "Vorleserunde" aufgezogen und die lief dann 2 Jahre lang. Beide Durchgänge waren sehr erfolgreich. Gegen Ende des Schuljahrs haben viele Schüler sogar selbst ihr erstes (freiwilliges) Buch zu Hause gelesen. Ich dachte manchmal, dass die Schüler es genießen, dass sich jemand die Zeit nimmt, um ihnen vorzulesen. Und still waren sie - das heißt etwas in dieser Schulart.

Nochwas zu den Bedingungen, die sind bei uns eigentlich gut. Wir haben ein Team, das gerne und schon lange zusammenarbeitet. Wir haben ein Konzept. Wir haben Entwicklungstage. Wir haben Sonder- und Sozialpädagogen. Wir machen viel Beziehungsarbeit. Wir haben einen Abteilungsleiter, der hinter uns steht und ein Schulleiter der ebenfalls an uns interessiert ist.

ABER: Wir haben seit Jahren nur Horrorklassen (ich mag dieses Wort nicht, die Schüler sind schwierig und die Klassen schwierig zusammengesetzt). Das sind keine Ausnahmeklassen. Die Schüler sind der Rest, der an anderen Schulen nicht tragbar war, frisch aus der Psychiatrie, aus verschiedenen Sonderschulen und sollen auf einmal in der Regelschule funktionieren. An einer Schule mit über 1500 Schülern und über 100 Kollegen, verteilt auf mehrere Häuser. Freiarbeit können sie nicht können, auch dann nicht, wenn sie es wollen. Sie sind damit vollkommen überfordert. Wir versuchen und versuchen. Haben Freiarbeitsmaterial für Mathe, das komplette Schuljahr. Der eine lernt etwas damit und viele nix. Das kanns auch nicht sein. Wir sind seit 2005 ein Team und wir haben vieles in den Griff bekommen, aber nicht die Freiarbeit und nicht die Inklusion/Differenzierung.

ich zieh mir nicht den Schuh an, dass wir hätten einfach noch mehr machen müssen, bzw. anders.

Außerdem kommen dann immer noch diese Querschläger dazwischen, wie:
- Neue Schularten
- Profil AC in fast allen Schularten
- Neue Zugangsvoraussetzungen
- Gemeinschaftsschule als extreme Konkurrenz zu unseren (guten) Bildungsgängen (Sinkende Schülerzahlen führen dann dazu, dass z.B. in der 2BF (Ziel MBA) nur Flachpfeifen sitzen, die sie in den WRS nicht mehr wollten. Und dann geht eine gute Sache den Bach herunter)
- Inklusion
- OES

Das macht alles Arbeit. Irgendwann kann man dann schlicht nicht mehr. Und: ich bin eine Vollblutpädagogin, wie meine Kollegen auch. Aber irgendwann merkt man einfach, dass nicht alles geht, was in der Fachliteratur hochgelobt bzw. im Studium propagiert wird. Immerhin, wir haben es ehrlich versucht und wir bleiben dran. Aber wir machen unser Ding und nicht unbedingt und nicht ausschließlich, das, was gerade als angesagt gilt - sondern, das, was funktioniert
שָׁלוֹם

hanse
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Re: Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Beitrag von hanse »

Gut, dass ich im Kernseminar mehr zu Unterrichtsstörungen gelernt habe und da mittlerweile ein gutes Repertoire an Methoden und Verhaltensweisen habe.

kecks
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Re: Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Beitrag von kecks »

Freidenker hat geschrieben:Handel ich mir hier im Forum Schläge ein, wenn ich mal behaupte, dass nicht jeder Lehramtsstudent, aus dem später ein guter Grund- oder Hauptschullehrer werden kann, das Studium des Gymnasiallehrers schaffen kann ?

Schuster bleib bei Deinen Leisten ! Ein (guter) Hauptschullehrer sollte eher ein guter Pädagoge sein, der Gymnasiallehrer eher der spezialisierte und hochqualifizierte Fachlehrer. Warum dann diese o.g. pädagogische Gleichschaltung ?8)
weil wir alle doch gleich viel wert sind. und deshalb automatisch auch alle zusammen ganz toll lernen können, auch wenn wir eigentlich ganz unterschiedlich sind. und das kann alles derselbe lehrer oder eben ein team (alle zusammen! toll!) von unterschiedlichen, aber gleich berechtigten lehrern regeln. und billiger ist es auch noch. und die eltern finden es teils auch toll (fritzchen muss nicht an die böse, böse sonderschule! alle dürfen ans gymnasium! alle sind hochbegabt! und kompetent! juchhei!). fachsystematik - braucht keiner, führt nur zu "totem wissen". "stoff" - hey, viel zu schwer, und nicht motivierend; kann doch das kind so wundervoll "problmelösend denken", da es ja seine begründete meinung in bereich III abgeben kann. dass dafür der altmodische echte transfer (neue gebiete selbstständig mit bekanntem handwerkszeug erschließen, wenn man es mal banal sagen möchte) einfach nicht mehr statt findet - pst, nicht verraten. ist ja auch doof, so ein transfer, weil dabei ja dann doch rauskommen könnte, dass sehr viele schüler kognitiv schlicht nicht in der lage sind, von a zu b zu kommen, und wenn sie das schaffen, bei der folgerung von c a bereits wieder vergessen haben... und nein, das liegt nicht an mangelnder förderung dieser schüler oder selektion nach unten oder sonstwas, sondern daran, dass jeder andere talente hat. ebenfalls sehr banal ausgedrückt: der eine ist gut im wände anstreichen, der andere im interpretieren von historischen quellen und wieder ein anderer versteht sich hervorragend auf computersprachen. und wieder andere basteln begeistert organsatorische abläufe in 'nem büro. alle zusammen für immer bereitet auf diese lebenswege eben gerade *nicht* ausreichend vor. aber ist halt so schön pc *und* billig *und* entspricht dem elternwillen *und* macht mehr "akademiker" (die dann keine mehr sind, aber who cares). muss ja toll sein.

krabappel
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Re: Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Beitrag von krabappel »

LatinaTeacharin hat geschrieben: Oder drehen wir den Spieß doch mal in eine andere Richtung um: an Gymnasien fangen eindeutig zu viele und die falschen (!) Schüler an. Überlasst diese Schulart einfach den Kindern (und Lehrern), die dort richtig sind.
"Richtig" heißt in diesem Falle was? anspruchslos? pflegeleicht? behütet? durchschnittlich? mittelmäßig? wenn man nach unten aussortiert, müsste man auch nach oben aussortieren. Denn die Kinder mit überdurchschnittlichem IQ haben dieselbe berechtigte Forderung nach angemessener Förderung. Wieso sollen die sich im Frontalunterricht rumlangweilen?

Es ist doch bequem und naiv zu glauben, man hätte für jedes Kind den richtigen Schultyp geschaffen.

LatinaTeacharin
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Re: Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Beitrag von LatinaTeacharin »

Es ist doch bequem und naiv zu glauben, man hätte für jedes Kind den richtigen Schultyp geschaffen.
Es gibt aktuell wenigstens mehrere Schultypen. Reduziert man das bestehende System auf einen Schultypus, dann verschärft man das Problem, anstatt es zu entschärfen, denn auch Binnendifferenzierung kann in einer Klasse mit 30 Schülern es nicht erreichen, dass (mindestens!) drei Niveaustufen garantiert werden können.

Und zum "richtigen" Schüler am Gymnasium: er muss - vereinfacht ausgedrückt - in der Lage sein, die intellektuellen Anforderungen zu erfüllen.

Ich würde hier das Fass der Hochbegabung nicht auch noch aufmachen. Auch wenn du in der Sache recht hast, dann ist das Feld der Hochbegabtenförderung ein weitaus kleineres und es gibt hier Möglichkeiten. Tatsächlich ist die größere Bedrohung (sic!) für das Gymnasium der Pöbel, der meint, in Ligen mitmischen zu müssen, in denen er intellektuell aber nicht mitspielen kann. Und Förderung kann nicht alles richten...

cyhyryiys
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Re: Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Beitrag von cyhyryiys »

Klar ist, dass die dreigliedrige Einteilung bezogen auf den Bildungsweg der Heterogenität heutiger Schüler so nicht mehr gerecht werden kann. Vergleicht man die Voraussetzungen der Schüler an den Schulformen heute mit denen von vor 10, 20 und 30 Jahren wird man feststellen, dass sich diese in einem stetigen Wandel befinden.
Es gibt aktuell wenigstens mehrere Schultypen. Reduziert man das bestehende System auf einen Schultypus, dann verschärft man das Problem, anstatt es zu entschärfen, denn auch Binnendifferenzierung kann in einer Klasse mit 30 Schülern es nicht erreichen, dass (mindestens!) drei Niveaustufen garantiert werden können.
diese Vorstellung einer zukünftigen Schullandschaft halte ich für eine Utopie, gleich wie die Lehrerausbildung zukünftig gestaltet ist. Eltern (=Wähler) sehen es eher als weitere Wahlmöglichkeit und Bereicherung an. Ein Abschaffen tradierter Schulsysteme ist politisch nicht durchsetzbar, zumindest was Realschulen und Gymnasien betrifft. Allerdings wird die Schullandschaft zukünftig mit ihren Konzepten und ihren Qualitäten stärker miteinander konkurrieren. In einer marktwirtschaftlichen Gesellschaft kann so etwas jedoch nur wünschenswert sein.
Tatsächlich ist die größere Bedrohung (sic!) für das Gymnasium der Pöbel, der meint, in Ligen mitmischen zu müssen, in denen er intellektuell aber nicht mitspielen kann. Und Förderung kann nicht alles richten...
Im Grunde müsste diese Denkweise eine alternative Schulform für Kinder mit Gymnasialempfehlung begünstigen - dank bequemen Verweis auf eine "passendere" Schule. Bislang erlebe ich es jedoch so, dass sich selbst manche Gymnasien ("Partner des gegliederten Schulsystems") plötzlich nicht mehr zu schade sind, selbst mit Werbeanzeigen um jede Schüleranmeldung zu buhlen. Hier erweckt es den Eindruck, dass dann auch gerne mal in den Apfel gebissen wird und man aktiv und gewollt nun mittelmäßige Realschulkinder aufnimmt, statt diese im Vorfeld in einem Beratungsgespräch an eine Schulform mit spezifischerer Förderung zu verweisen.

krabappel
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Re: Alle Lehrer zukünftig auf Gymnasialniveau ausbilden?

Beitrag von krabappel »

Fränzy hat geschrieben:Ich selbst habe vor 5 Jahren eine "Vorleserunde" aufgezogen und die lief dann 2 Jahre lang. Beide Durchgänge waren sehr erfolgreich. Gegen Ende des Schuljahrs haben viele Schüler sogar selbst ihr erstes (freiwilliges) Buch zu Hause gelesen.


cool :-)
Fränzy hat geschrieben: Das sind keine Ausnahmeklassen. Die Schüler sind der Rest, der an anderen Schulen nicht tragbar war, frisch aus der Psychiatrie, aus verschiedenen Sonderschulen und sollen auf einmal in der Regelschule funktionieren.
Also habt ihr praktisch eine Förderschule. Es gibt niemanden zu "inkludieren", es sind ja ausschließlich Integrationsschüler. Und: es sind junge Erwachsene, die bereits eine verbockte Schulkarriere hinter sich haben. Das bedeutet aber nicht, dass eine "Schule für alle" nicht funktionieren kann.

Man siehe z.B. hier:

http://www.fgs-freiberg.de/

Aber wir werden uns hier wohl nie einig werden :mrgreen:

Und, um zur Ausgangsfrage zurückzukommen, ich kann mir eine Gesamtschule bis zur 9. Kl. vorstellen mit einer getrennten Oberstufe, die gezielt auf das Studium vorbereitet. Aber auch da braucht es Formen des individuellen und selbständigen Arbeitens.

Die Vereinfachung, den Schulerfolg allein auf den Intellekt zurückzuführen halte ich für verfehlt, LatinaTeacharin. Jeder kennt doch "schlaue Leute", die 15 Semester Ethnologie studieren. Wer hat sie auf Selbständigkeit, Entscheidungsfindung, Zielstrebigkeit, Interessenerkundung, Konzentrationsfähigkeit vorbereitet?

Dass das alles bei 30 Schülern nicht realistisch ist, mag traurige Wahrheit bleiben.

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