Ich habe abgebrochen .... und lebe immer noch!

Du hast positive Erfahrungen mit dem Referendariat? Du hast es endlich geschafft und weißt nun, dass sich das Durchhalten gelohnt hat? Erzähl davon!
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ewme
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Registriert: 01.10.2009, 19:02:21

Ich habe abgebrochen .... und lebe immer noch!

Beitrag von ewme »

Vor kurzem überhörte ich in der Straßenbahn zwei junge Menschen wie suboptimal doch ihr Referendariat wäre. In dem recht langen Dialog waren nicht nur ein Haufen Beschimpfungen auf Seminarleiter, Mitreferendare und Schüler (O-Ton "denen hat mal wohl ins Hirn geschi**en") enthalten, sondern auch der Verweis auf dieses Forum....

Ich möchte nach einer Stunde stirnrunzelnden Lesens diesen Faden mal nutzen, um ein kleines Zeichen der Hoffnung zu geben für alle die abbrechen wollen oder abbrechen müssen.

Ich habe abgebrochen, lebe immer noch und ich bin heute glücklich! Ja es soll ein Leben außerhalb des Lehrerberufs geben und ich berichte etwas darüber :wink: Ich hoffe es schließen sich eventuell einige Mittäter an...

Hier mal kurz einige Antworten im Rahmen eines Fragebogens....

Wann hast du dein Referendariat gemacht?

Ich war 2005 Referendar im beruflichen Schulwesen in Hessen in einer Großstadt.

Wie lange hast du dein Referendariat gemacht?

Ich habe mich nach dem ersten Schulhalbjahr verabschiedet.

Warum hast du dein Referendariat beendet?

Die berühmte Gretchenfrage kann ich ganz einfach beantworten: Weil es mir keinen Spaß gemacht hat und ich mit der Arbeit schlicht und einfach unglücklich war. Ich ging morgens demotiviert aus dem Haus und kam abends demotiviert heim. Das lag auch daran, dass ich es mit relativ leistungsschwachen Schülern zu tun hatte, wo in erster Linie die soziale und erzieherische Arbeit im Vordergrund stand. Ich möchte auf keinen Fall etwas gegen diese Menschen sagen, welche durch ihre Sozialisation maßgeblich geprägt wurden und sich in einer schwierigen Phase ihres Lebens befinden, aber ganz ergreifend ehrlich: Ich muss sie dabei nicht unbedingt als täglichen Bestandteil meines Lebens haben.

Wie hast du das nach außen kommuniziert?

Ich habe relativ früh meinen Mentoren signalisiert, dass ich mir Gedanken mache und bekam nach meiner Entscheidung, die ich Ihnen 2 Monate vor dem Schulhalbjahr mitgeteilt habe allgemein nur positives Feedback und viel Verständnis. Lag vielleicht auch daran, dass ich mich mit meinen Mentoren gut verstand und offen redete. Zudem waren die Unterrichtsbesuche zwar alles andere als hervorragend, aber einigermaßen verträglich gelaufen. Allerdings hat nicht jeder meine Entscheidung verstanden. Ich habe einige alte Studienfreunde verloren.

Was machst du heute?

Direkt als mir klar wurde, dass diese Laufbahn für mich nichts ist habe ich mich im Bereich Marketing umgeschaut. Ich hatte während des Studiums einige Praktika in diesem Bereich gemacht, die mir große Freude bereiteten. Dank meiner Zeugnisse gelang es mir sehr schnell eine neue Stelle in diesem Bereich zu finden und ich war genau 20 Tage als Übergangszeit arbeitslos. Nach fast vier Jahren Arbeit bin ich nach wie vor mittendrin.... genauer gesagt so voll von Arbeit, dass ich immer noch im Büro sitze während ich diese Zeilen schreibe ;-)


Bereust du deinen Ausstieg?

Nein, um Himmels Willen nein. Es ist nicht so, dass ich auf Lehrer hinabschaue oder der Beruf verachte, ganz im Gegenteil habe ich sehr großen Respekt vor allen Tätigen, aber mich zieht nichts in den Schuldienst zurück. Dieses Kapitel meines Lebens ist vorbei. Es wäre eine Lüge, wenn ich behaupten würde, dass mein neuer Job grundsätzlich perfekt wäre. Aber ich bin für mich persönlich sehr glücklich und zufrieden.

Hätte man etwas in deiner Ausbildung anders machen können?

Nicht unbedingt. Ich wusste eigentlich sehr genau was auf mich zukommt. Ich fand meine Praktika in der Schule klasse, machte privat Nachhilfe und freute mich Lehrer zu sein. Es hat sich aber anders ergeben, auch weil ich mich als Mensch schlicht und einfach im Laufe meines Studiums verändert habe. Letztendlich interessierten mich die Studieninhalte mehr als das eigentliche Ziel nach dem Studium.

Fränzy
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Beitrag von Fränzy »

Hallo,

ich kann deine Erfahrung nur unterstreichen. Ich habe zwar nicht abgebrochen, bin aber direkt nach dem Ref aus dem Schuldienst raus.

Ebenso wie Du, war ich nicht arbeitslos. Nicht einmal einen Tag bisher und mein Ref ist nun 6 Jahre vorbei. Ich habe einen unbefristeten Vertrag, der, weil im öffentlichen Dienst, sehr sicher ist und vergleichsweise gut bezahlt.

Der Schule selbst bin ich treu geblieben, wie einige wissen, da ich schon mehrfach schrieb, dass ich Sozialpädagogin an einer Gewerblichen Schule bin. Das ist seit Anfang 2005 meine absolute Traumstelle. Ich kann mir nicht vorstellen etwas anderes zu arbeiten und komme mit den Lehrern (Dank LA - Studium??) gut aus, beneide sie aber kein Stück.

Nur Mut.

Franzi

Loreley
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Beitrag von Loreley »

Mein Mann hat auch nach einem Jahr sein Ref. abgebrochen, nicht wegen zuviel Druck, sondern es ging um das ganze System Schule. Er hat dann mit Anfang 30 tatsächlich nochmal eine Ausbildung gemacht (Respekt - für mich wäre das nichts, ich bin jetzt im gleichen Alter) und ist jetzt mit Anfang 40 Geschäftsführer. Es kann also klappen.
Zum Thema Verständnis: Seine damalige Frau hat ihn verlassen, als er das Ref. abbrach. Sie studierte auch Lehramt.
Das finde ich schon ganz schön krass.

Piccola
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Beitrag von Piccola »

Hallo ewme,

hab vielen Dank für diesen Beitrag.

Ich denke, er wird vielen Referendaren, die überlegen, abzubrechen, Mut machen.

Ganz toll finde ich, dass Deine Darstellung sehr ermutigend und durchweg positiv klingt.
So kommt besonders gut zum Tragen, dass ein Abbruch nichts mit "Versagen" oder "Peinlichkeit" zu tun hat, wie leider viele es befürchten und sich daher nicht trauen, abzubrechen.

Oft kommt es einem im Referendariat so vor, als es gäbe keine andere Welt außerhalb, man ist wie gefangen in dieser schulbezogenen Welt (zumindest empfand ich es damals so).

Gerade deshalb ist es wichtig, sich klar zu machen, dass das Leben mit oder ohne 2. Stex weitergeht, wie Du ja auch gezeigt hast.

Denn, wenn man unglücklich ist mit einem Beruf oder einer Situation und sich auch keine Besserung seines Empfindens der Sache gegenüber verspricht, ist es doch nur vernünftig, sich so bald wie möglich davon zu distanzieren.

Ich selbst bin zwar Lehrerin geworden und sehr zufrieden damit, weil ich Abwechslung liebe und die Arbeit mit den Schülern (und vor allem mein Lieblingsfach Latein nie aufgeben würde :-)). Aber ich möchte einfach noch einmal allen sagen, die sich den diesen Beruf für sich nicht vorstellen können: Es ist nichts Verwerfliches, nicht jeder muss den Beruf mögen!!!!

Manchmal möchte ich mir so manchen Lehrer, der auf "Abbrecher" oder solche, die im Ref leiden, von oben herab "verächtlich" hinabschaut, in einem ganz anderen Beruf vorstellen, den er/sie nicht ausüben mag.

Von solch einer Einstellung (die mir unbegreiflich ist) lasst Euch bloß nicht beeindrucken (leider gibt es sie)!

Sehr gut verstehe ich den Drang danach, einen Ausgleich zum Lehrerberuf haben zu wollen.
Deshalb arbeite ich auch nebenher in einem ganz anderen Bereich.

Einige meiner Ausbilder damals kritisierten das.

Doch meine Lateinfachleiterin und mein Schulleiter ermutigten mich, unbedingt weiterzumachen und meinen Nebenjob nicht aufzugeben.

Meine jetztige Schule unterstützt mich da auch, ich kann sogar meine Qualifikationen mit ins Schulleben einbringen.

Es sind nicht alle so engstirnig in der Lehrerwelt, wie es manchmal den Anschein haben mag.

Man hat nur dieses eine Leben und sollte mit dem, was man macht, zufrieden sein.

Ich danke Dir für Deinen tollen Beitrag, ewme!

Piccola
Mens sana in corpore sano :-)

Hubselzwerg
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Re: Ich habe abgebrochen .... und lebe immer noch!

Beitrag von Hubselzwerg »

ewme hat geschrieben:Ja es soll ein Leben außerhalb des Lehrerberufs geben
Ich glaube, das ist den meisten Menschen bekannt.
Ich hoffe es schließen sich eventuell einige Mittäter an...
Warum???



Weil es mir keinen Spaß gemacht hat und ich mit der Arbeit schlicht und einfach unglücklich war. Ich ging morgens demotiviert aus dem Haus und kam abends demotiviert heim.
DAS ist ein Grund (egal, um welchen Beruf es geht)
Allerdings hat nicht jeder meine Entscheidung verstanden. Ich habe einige alte Studienfreunde verloren.
Wegen des Abbruchs?? :shock: Auf manche "Freunde" kann man ja vielleicht auch verzichten



Mal abgesehen vom Gefühl des Versagens, ist das mit dem Abbruich nunmal auch schwierig, weil man das Gefühl hat, völlig umsonst studiert zu haben. Das ist der Fehler im System.

[quote="Piccola" Man hat nur dieses eine Leben und sollte mit dem, was man macht, zufrieden sein.
Richtig! Und kein Geld der Welt ist es wert, dass man sich für einen Job unglücklich macht.

[quote="Loreley"
Seine damalige Frau hat ihn verlassen, als er das Ref. abbrach[/quote] Das muss ja trotzdem nicht direkt miteinander zusammenhängen. Wenn ansonsten alles in Ordnung ist, dürfte das Abbrechen kaum ein Grund sein.

Wenn ich durchhänge versichert mir mein Freund, dass er mich auch liebt, wenn ich wieder Taxifahrerin werde :D
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Fränzy
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Re: Ich habe abgebrochen .... und lebe immer noch!

Beitrag von Fränzy »

Hubselzwerg hat geschrieben:
ewme hat geschrieben: Ich hoffe es schließen sich eventuell einige Mittäter an...
Warum???
Um anderen Mut zu machen, nehme ich an. Wenn man hier Berufswege von Ex - Lehrern nachlesen kann, dann wird dem ein oder der anderen vielleicht Mut gemacht, einen Beruf an den Nagel zu hängen, der einen nicht erfüllt oder der einem nicht liegt.

Ich glaube kaum, dass hier zum Abbruch aufgerufen wird :lol:

nanu
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Beitrag von nanu »

Piccola hat geschrieben: Sehr gut verstehe ich den Drang danach, einen Ausgleich zum Lehrerberuf haben zu wollen.
Deshalb arbeite ich auch nebenher in einem ganz anderen Bereich.

Einige meiner Ausbilder damals kritisierten das.
Solche fundierten Beiträge liest man hier selten.
Es ist meine Rede: Ein "Ausgleich" zum Lehrerberuf ist unerlässlich, es ist gewissermaßen der Schlüssel zur Berufszufriedenheit im Lehrerberuf.
Deine Schüler werden von deiner "Nebentätigkeit" sicher enorm profitieren. Schüler brauchen keine Lehrer, deren Lebensmittelpunkt die Schule ist - sondern Lehrer, die möglichst viel von der Welt gesehen haben, die weitläufige Interessen haben und diese auch pflegen.
Bei Ausbildern und Fachleitern wird man damit auf Unverständnis stoßen, sie predigen genau das Gegenteil. Ihnen sind "Schulidioten" lieber, die auch im Lehrerzimmer übernachten würden.
Mutig von dir, dass du dir von deinen Ausbildern nicht hast reinreden lassen.

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