Wie weit kann/darf/muss Integrationsbereitschaft gehen?

Diskussion zu pädagogischen Themen aller Art
Lysander

Wie weit kann/darf/muss Integrationsbereitschaft gehen?

Beitrag von Lysander »

Im Rahmen der an anderer Stelle geführten Diskussion über muslimische Mädchen und Schwimmunterricht und der teils sehr kontroversen Diskussion möchte ich diese Diskussion auf einer etwas allgemeineren Ebene fortführen - jedoch ohne rechts-konservative oder ultra-anarchistische Politpropaganda oder ähnlichen Provokationen.

Die zentrale Frage ist, wie viel Integration wir als Deutsche von Migranten fordern können und wie viel Multikulturalismus bzw. Pluralismus wir akzeptieren sollten, wo Grenzen gesetzt werden müssen und welche Rolle hier Schule spielt.

Ich möchte folgende Thesen aufstellen:

a) Die Schule spiegelt für gewöhnlich die deutsche Kultur wider - Berührungs- bzw. Streitpunkte gibt es hier immer wieder, wenn Schüler mit anderem kulturellen Hintergrund aufgrund der jeweiligen kulturell-religiösen Unterschiede an einigen Dingen nicht teilnehmen dürfen/wollen bzw. die Schule als Institution eine solche Teilnahme fordert.
Hier stellt sich die zentrale Frage, ob hier im Rahmen der Toleranz die kulturelle Identität bzw. Integrität der Migrantenkinder gewahrt werden sollte oder ob die Schule im Gegenzug nicht die größte Chance auf eine erfolgreiche Integration in die deutsche Kultur bietet und diese auch wahrgenommen werden sollte.

b) Das Beispiel USA lehrt uns folgendes, dass viele Einwanderergruppen zunächst unter "Ihresgleichen" geblieben sind, von dort Halt und Unterstützung in einer ihnen fremden Welt erhalten haben und dies dann als Sprungbrett für die langfristige Integration genutzt haben. Auch heute noch gibt es zahlreiche Subkulturen in den USA, die mehr oder weniger unabhängig vom Rest der "amerikanischen Kultur" leben (Amish, Mormonen etc.).
Lässt sich daraus für Deutschland ableiten, dass wir Subkulturen - hier beispielsweise von Moslems - tolerieren sollten, weil immerhin einige von ihnen sich langfristig integrieren werden oder müssen wir von den Subkulturen eine stärkere Anpassung fordern?

c) Ein zentrales Problem mehrerer Migrantenkulturen ist die Missachtung der Rechte von Frauen und Mädchen, weil hier die religiösen/patriarchaischen Strukturen eine Gleichberechtigung und vor allem eine GleichBEHANDLUNG verhindern.
Wie können wir in Deutschland damit umgehen bzw. wie können wir in der Schule damit umgehen? Konflikte zwischen den Kulturen bei beispielsweise türkischen Mädchen sind nicht selten.

d) Es gibt Stimmen - auch in diesem Forum - die eine stärkere Integrationsbereitschaft von Migranten fordern und mangelnde Bereitschaft auch staatlich sanktioniert haben wollen.
Können wir im Extremfall fordern, dass anpassungs- bzw. integrationsunwillige Migranten Deutschland verlassen, weil sie augenscheinlich nur die Annehmlichkeiten Deutschlands und nicht die Pflichten und Verantwortungen (auch im Rahmen des Grundgesetzes) übernehmen wollen?

e) Andere wiederum kontern dies mit der sogenannten Nazi-Keule, die automatisch einen Rechtfertigungszwang nach sich zieht.
Können wir in Deutschland dieses Thema der Integration von Migranten überhaupt sachlich diskutieren oder aber verhindert die deutsche Vergangenheit eine solche Diskussion, weil es "sich nicht gehört" etwas "gegen Ausländer" zu sagen?

Ich würde gerne mit Euch darüber diskutieren, behalte mir aber vor, bei wie bereits erfolgten Verstößen gegen die Sachlichkeit und bei politischer Hetze oder Polemik den Thread zu schließen.

Gruß
Lysander

Freidenker
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Registriert: 07.11.2006, 20:13:34
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Beitrag von Freidenker »

Guten Abend !
Ein heißes Eisen, dieses Thema !

Ich würde folgendes erwarten :
1. Integrationswilligkeit seitens der Migranten
2. Beherrschen der Deutschen Sprache (Zumindest Umgangssprache)
3. Geltendes Recht und Gesetz unseres Landes achten
4. Nachweis einer Arbeit oder Eigenkapital

Ich denke, das, was z.B. die Staaten USA, Kanada, Australien, Norwegen etc. von uns erwarten, wenn wir dort einwandern würden, sollten wir auch von den Migranten, die nach Deutschland
kommen, erwarten.
Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

DieEla
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Registriert: 06.06.2006, 21:46:43

Beitrag von DieEla »

Ich hatte an der Uni einen sehr guten Dozenten, der vielfach Seminare zu eben diesen Themen anbot und hierzu stehts auch muslimische Seminarteilnehmer einlud, um eine objektive Diskussion ermöglichen zu können.
Ich finde dieses Thema extrem wichtig für den Schulalltag und bemängle, dass es im Referendariat viel zu kurz kommt!

Ich unterrichte selbst an einer Schule mit einem Migrantenanteil von über 50%. An unserer Schule mussten sich alle Schüler verpflichten während der gesamten Schulzeit (Stunden/Pausen/Mittagsbetreuung) ausschließlich Deutsch zu sprechen und das finde ich gut! Die Schüler wollen einen deutschen Abschluss und einen Job in Deutschland, also sollte es auch in ihrem Sinne sein die deutsche Sprache so gut wie möglich zu beherrschen. Desweiteren kann es nicht im Sinne einer Klassen- und Schulgemeinschaft sein, wenn einige Gruppen sich sprachlich absondern und von anderen nicht verstanden werden können.
Sämtliche Eltern wurden über diese Regelung informiert und es gab nicht einen Einspruch.

Ähnlich denke ich in Bezug auf die Teilnahme an Schulveranstaltungen. Dass unsere muslimischen Kinder sich zum Hauswirtschaftsunterricht ihr eigenes Hackfleisch mitbringen, finde ich in Ordnung, denn es stört den Unterricht nicht. Nicht in Ordnung ist es, wenn Schülerinnen am Sportunterricht nicht teilnehmen wollen, weil es die Eltern aus Glaubensgründen nicht schicklich finden und untersagen.
Der Sportunterricht ist regulärer Teil der Schulausbildung, gleiches gilt für Klassenfahrten. Wer eine deutsche Schule besucht, muss sich auch dem deutschen Lehrerplan beugen und entsprechend in allen geforderten Bereichen Leistungen erbringen. Alles andere ist einfach ungenügend.
(ums mal überspitzt zu vergleichen: man würde ja auch nicht akzeptieren, wenn ein nationalsozialistisch eingestellter deutscher Vater seinen Sohn aus dem Politik- und Geschichtsunterricht nehmen will, weil er persönlich den Holocaust verleugnet und nicht möchte, dass seinem Sohn davon berichtet wird!).

Wir deutschen müssen wirklich mal wieder zurück auf den Boden kommen und die Sache mit der Toleranz nicht übertreiben!
In der Türkei dürfen in öffentlichen Gebäuden keine Kopftücher getragen werden! Ultramuslimische Familien ziehen nach Deutschland, weil sie hier mehr Islam ausleben dürfen als in der Türkei....
... da muss man sich doch fragen, ob kulturelle Akzeptanz nicht mehr vom Einwanderer, als vom Einwanderland gefordert sein sollte...

Lysander

Beitrag von Lysander »

DieEla hat geschrieben: Wir deutschen müssen wirklich mal wieder zurück auf den Boden kommen und die Sache mit der Toleranz nicht übertreiben!
In der Türkei dürfen in öffentlichen Gebäuden keine Kopftücher getragen werden! Ultramuslimische Familien ziehen nach Deutschland, weil sie hier mehr Islam ausleben dürfen als in der Türkei....
... da muss man sich doch fragen, ob kulturelle Akzeptanz nicht mehr vom Einwanderer, als vom Einwanderland gefordert sein sollte...
Danke für deinen Beitrag, Ela.

Der letzte Absatz birgt eine Menge Sprengstoff in sich, weil das eben die zentrale Frage ist. Können wir mehr Anpassung verlangen? Ab wann ist das dann "ausländerfeindlich" bzw. wie reagieren wir, wenn man uns dann wieder mit der Nazikeule kommt? (Komisch ist nur, dass das in anderen Ländern mit dieser Keule glaube ich nicht so gut funktioniert...)...

Gruß
Lysander

Lili
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Registriert: 21.12.2005, 15:24:07
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Beitrag von Lili »

Nein, Lysander, richtig. Andere Länder sind patriotisch, wir sind nationalszialistisch.

Aber den Vorwurf müssen wir uns wohl noch ne Zeit anhören...

Fränzy
Moderator
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Registriert: 20.11.2005, 16:17:06
Wohnort: BW, Berufsbildende Schule (VAB, BEJ, BF)

Beitrag von Fränzy »

Es wäre auch ganz dringend notwendig, dass es Patriotismus gibt bei uns. Es ist ja auch nichts dabei stolz auf sein Land zu sein. Es ist jedenfalls sehr viel besser als darauf stolz zu sein, nicht stolz zu sein. Das ist nämlich irgendwie komisch, aber so wirken die Leute manchmal auf mich.

Die "Nazikeule" hole ich heraus, wenn es angebracht ist, wenn eben andere Kulturen schlechter gemacht werden oder wenn jemand diese Studien heranzieht, die mir weiß machen wollen, dass Migranten deswegen schlechter in der Schule abschneiden, weil ihre Intelligenz niedriger ist.

Zurück zum stolz sein. Also ich bin als Deutsche stolz auf das Grundgesetz, auf die Demokratie, auf (manches) Kulturelles. Wenn man das selbstbewusst nach außen vertritt, der einzelene und die Gesellschaft, das schweißt a) zusammen und gibt b) Menschen, die Probleme haben sich zu integrieren eindeutigere Handlungsorientierungen. Das betrifft nicht nur Migranten, aber die besonders. Meine Eltern kamen 1975 hier her, sie können heute so gut deutsch, dass man es fast nicht mehr hört. Meinen Eltern war damals klar, woran sie sich zu orientieren hatten und die Integration ist erfolgreich verlaufen. Allerdings liefen die damals auch nicht im Tschador herum. Anders als viele Migranten aus Arabien. Die kommen zu uns und sehen, oh, hier gibts ja keine einheitlichen Anforderungen. Da ist ja alles erlaubt und wenn mans mir nicht erlaubt, dann sind das eben Fremdenhasser. Jetzt stelle man sich mal vor, ich gehe nach Saudi - Arabien und verhalte mich so. Was würde passieren? Ich würde geächtet, möglicherweise strafrechtlich verfolgt, weil dieser Staat ganz enge Vorgaben hat, was erwünscht ist und was nicht. Niemand käme auf die Idee, dagegen zu verstoßen. Man hält sich dann eben an diese regeln. Das soll nicht heißen, dass ich einverstanden bin mit so einem rigiden System. Ich möchte nur verdeutlichen, dass gewisse Grundwerte notwendig sind, die von allen geteilt werden und für wichtig gehalten werden, damit Integration funktioníeren kann und auch das Andersartige dann wirklich wertgeschätzt wird.

lg Franzi

Freidenker
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Beitrag von Freidenker »

@Lili
Nein, anhören brauchen wir uns den Nazi-Vorwurf nicht, deshalb, weil wir uns schon seit Jahrzehnten weltweit als verlässliche Demokraten bewährt haben.

Viele Menschen aus dem Ausland können auch nicht verstehen, dass in Deutschland immer noch das "Nazibußgewand" dauernd präsent ist.

Diejenigen, die mit der "Nazikeule" hantieren, sollten bedenken, dass Wasser in die Mühlen der Rechtsradikalen gegossen wird, wenn die Probleme unserer "Multikultigesellschaft" unter dem Teppich gekehrt und diese Probleme nicht gelöst werden.
Ihr kommuniziert mit dem künftigen Bildungsminister !

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