Grundschulstudie

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tiger
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Grundschulstudie

Beitrag von tiger »

Ihr habt sicher in den letzten beiden Tagen von der Studie "IQB-Bildungstrend 2016" gehört.

Ich gebe gleich zu Beginn zu, dass ich nicht alle 414 Seiten der Studie gelesen, sondern die meisten Kapitel nur überflogen habe. Jedoch sind bereits einzelne Ergebnisse der Untersuchung, die plakativ von den Massenmedien auf die Titelseiten gebracht wurden, beängstigend. So beherrschen zum Beispiel nur 3,1 % (Bremen) bis 16,2 % (Saarland) der Viertklässler die deutsche Rechtschreibung "optimal", wobei man das nach vier Schuljahren eigentlich von jedem Kind erwarten können sollte – LRS- und Förderschüler natürlich ausgenommen.

Die Studie wird online sehr kontrovers diskutiert, so hat etwa der entsprechende Artikel der ZEIT weit über 1000 Kommentare in 24 Stunden erhalten (http://www.zeit.de/gesellschaft/schule/ ... -vergleich).

Natürlich wird jetzt nach Schuldigen für das schlechte Abschneiden gesucht. Drei gängige Zuschreibungen sind:

1. Die Lehrer sind schuld, denn sie machen ihren Job nicht richtig, sitzen gleichzeitig auf unkündbaren und gut dotierten Beamtenstellen, arbeiten aber nur 24 Stunden in der Woche und unterrichten mit den Methoden und Materialien aus den 70er Jahren (und haben von digitalen Medien noch nie was gehört).

2. Die Migranten sind schuld. Die Klassenzimmer sind plötzlich voller Ausländerkinder, die nicht einmal die deutsche Sprache beherrschen, sodass die "bio-deutschen" Kinder nicht richtig lernen können.

3. Die Politik ist schuld. Den Schulen werden immer mehr Aufgaben aufgebürdet (Migration, Inklusion, verhaltensauffällige Kinder, eigenverantwortliche Schule), erhalten aber weder Geld, Personal noch Fachkompetenz, um diesen Aufgaben gerecht zu werden.

Wie seht ihr das?

Drops
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Re: Grundschulstudie

Beitrag von Drops »

Ich gebe in diesem Fall definitiv der Politik die Schuld.

Solange man denkt, man könne Lernfortschritte anhand von "Kompetenzen" messen, wird das einfach nichts mehr. Mir fehlen mittlerweile klare Lernziele.
Das, was unsere Referendare in Lehrprobenentwürfen formulieren müssen, sind Arbeitsschritte, aber nichts, was von Bestand wäre. Wir verpflichten uns zu nichts mehr, wenn wir auf "Kompetenzen" setzen, da die Didaktik nebensächlich und die Methodik hauptsächlich wird, was einfach nicht gut gehen kann. So lange das "Was" in den Hintergrund tritt und das "Wie" eine Unterrichtsstunde bestimmt, wird unseren Schülern nicht mehr genug an die Hand gegeben. Eine Methode muss nun mal von Inhalten bestimmt sein.

Ich bin kein Lernbegleiter, ich bin Lehrer. Ich möchte etwas beibringen und nicht nur beobachten. Dafür muss ich Stunden mit Anspruch planen können und auch planen dürfen, aber das scheint von der Politik nicht mehr gewollt zu sein.

Sich dann allerdings über eine solche Studie zu wundern oder gar zu grämen, grenzt meiner Meinung nach schon an Zynismus uns Lehrern gegenüber.

kecks
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Re: Grundschulstudie

Beitrag von kecks »

politik, ganz klar. von inklusion zum nulltarif, dafür aber sofort und überall, über gezielte astronomische erhöhung der abiturquote (vermutlich primär durch senkung der ansprüche und/oder noteninflation) in wahnsinnstempo bis hin zu kompetenzbegeisterung allerorten und jämmerlicher ausstattung der schulen mit nichts, vor allem aber nicht mit lehrerstunden (da viel zu wenig lehrer eingestellt bzw. viel zu viele quereinsteiger), kann man diese liste momentan beinahe beliebig verlängern.

wichtiger punkt, der noch fehlt: die berühmte schere zwischen arm und reich ist auch relevant zur erklärung der ergebnisse. in deutschland wird bekanntlich schulleistung stärker als anderswo von sozialer herkunft bestimmt. wenn sich da die pole immer weiter auseinander bewegen, dann wird die spannbreite an bedürfnissen in grundschulklassen immer noch größer, was von zu wenigen, zu schlecht oder auch gar nicht ausgebildeten lehrern in zu großen klassen mit zu wenig unterstützendem personal und zu wenig ausstattung mal eben so bewältigt werden soll. ergebnis: siehe studie.

Annabelle_3
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Re: Grundschulstudie

Beitrag von Annabelle_3 »

Ich finde auch die Politik hat Schuld! Das deutsche Bildungssystem hat sich doch seit eh und je nie richtig verändert. Es ist nichts mehr zeitgemäß. Auch Studium und Co. sind schlecht organisiert und man hat das Gefühl, dass die Bildung nicht interessiert. Das macht mich schon seit einer langen Zeit unglaublich sauer -.-

Rets
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Re: Grundschulstudie

Beitrag von Rets »

Gibt es denn historische Vergleichsstudien der gleichen Qualität ? M.a.W. sind diese Zahlen wirklich belastbar, um ein Problem zu konstatieren oder ist der Schriftspracherwerb einfach ohnehin erst später abgeschlossen ? Schließlich: Gibt es einen Zusammenhang zu "Lesen nach Gehör"?
Erst dann kann man sich doch über so etwas wirklich aufregen...

Trotzdem:
Ich persönlich finde z.B. das "Läsen nach Gähöhr" absolut schwachsinnig. Es widerspricht allen psychologischen Prinzipen, die ich über die kognitive Seite des Lernen gelernt habe. Klar, es mag motivierend sein. Aber das ist an dieser Stelle doch nicht alles. In Mathe kann ich ja auch nicht nur Mandalas ausmalen, weil es geometrische Figuren sind und gleichzeitig motivierend wirkt.

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