Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Diskussion zu pädagogischen Themen aller Art
Stark
Beiträge: 925
Registriert: 30.05.2013, 1:23:20

Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Beitrag von Stark »

http://www.spiegel.de/schulspiegel/wiss ... 28527.html

Eine Lehrerin in Berlin wurde angezeigt, weil sie ihre Schüler das Horst-Wessel-Lied singen und sie dazu marschieren ließ.
Ich finde sowohl die Methdoe als auch die Reaktion darauf "interessant" und weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Selbstverständlich hat/hätte nationalistische Propaganda in der Schule nichts verloren. Wenn es hier aber darum ging, die Verführbarkeit des Einzelnen durch Musik zu demonstrieren, geht es ja nun gerade um das Gegenteil. Ich weiß noch, dass wir im Geschichtsunterricht "Triumpf des Willens" angesehen haben - was ja auch ein Propagandafilm war. Ich konnte damals nicht nachvollziehen, warum so ein langweiliger Film mit tausend Aufmärschen etc. Propaganda sein konnte. Vielleicht hätte ich es besser verstanden, wenn wir das ganze ausprobiert hätten, quasi handlungs- und kompetenzorientiert. Andererseits sehe ich natürlich auch, dass so ein methodisches Vorgehen evtl. nationalistischen Tendenzen bei einzelnen Schülern sofort ein Forum bietet, das dann möglicherweise nicht mehr kontrollierbar ist.

Ihr seht, ich kann mir nicht so recht eine Meinung zu diesem Vorfall bilden und hätte gerne ein paar andere Meinungen gehört. Wie seht ihr das denn? Und spielt man im Geschichtsunterricht nicht auch mal ein Nazilied vor, um es zu analysieren, sozusagen als historische Quelle? Ich zeige im Englischunterricht schon zuweilen historische Cartoons, die auch rassistische Tendenzen haben, um eben diesen Zeitgeist herauszuarbeiten und zu kontextualisieren. Ich sehe es im Prinzip auch als meine Aufgabe an, meine Schüler im Schutzraum meines Unterrichts für solche Dinge zu sensibilisieren, so dass Pegida-Idioten etc. mit ihren Manipulationen nicht so ein leichtes Spiel haben.

Illi-Noize
Moderator
Beiträge: 9146
Registriert: 02.02.2008, 15:46:55
Wohnort: Bayern / StR(RS) / Betreuungslehrer Einsatzrefs, Fachschaftsleiter

Re: Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Beitrag von Illi-Noize »

Es fehlt halt noch komplett die Sicht der Schüler und der Lehrerin. Somit ist es nur reine Spekulation, ob sie damit auf den "Metzger" zuarbeiten wollte oder nicht.

Stark
Beiträge: 925
Registriert: 30.05.2013, 1:23:20

Re: Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Beitrag von Stark »

Es geht mir auch weniger darum, was die Lehrerin in diesem speziellen Fall wollte, sondern vielmehr um eine generelle methodische Frage: Ist die aktive Auseinandersetzung mit Propagandamaterial in Form von verschiedenen handlungsorientierten Herangehensweisen (singen, marschieren etc.) gerechtfertigt, gewünscht, ungeschickt, verboten etc.? Immer davon ausgehend, dass es nicht zu Propagandazwecken dient, sondern im Gegenteil für die Manipulation durch Propaganda sensibilisieren soll?

Kodi
Beiträge: 244
Registriert: 22.01.2010, 23:34:13
Wohnort: NRW, Realschule, Mathe/Physik

Re: Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Beitrag von Kodi »

Naja, ungeschickt ist es sicherlich. Das sieht man ja am aktuellen Fall.
Ich persönlich halte an dieser Stelle Handlungsorientierung auch nicht für nötig.
Die Mechanismen von Propaganda und Massenveranstaltungen kann man auch an unproblematischeren und vor allem zweifelsfrei erlaubten Beispielen aufzeigen.

Interessanterweise ist das Lied nach Wikipedia auch mit einem abgeänderten Text verboten.
Es gibt aber wohl mit §86 Absatz 3 StGB eine Verbotsausnahme für staatsbürgerliche Aufklärung, Wissenschaft, Forschung und Lehre, etc...

Ich denke mal, wenn da jetzt nicht etwas völlig schief gelaufen ist, wird sich die Lehrerin darauf berufen können.

Lysander
Moderator
Beiträge: 2579
Registriert: 07.02.2005, 14:43:42
Wohnort: NRW / Gy / E, Ge, Mu

Re: Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Beitrag von Lysander »

Das Problem ist, dass es jetzt gar nicht mehr um die Aufklärung des Sachverhalts geht sondern die Hexenjagd vermutlich schon begonnen hat.

Der Lehrer Fridolin Wimmer hat seinerzeit in seiner Dissertation in Bayern eben solche Lieder von Schülern singen lassen, um unter anderem die Wirkung solcher Massenpropaganda zu untersuchen. Solche Vorgehensweisen bei NS-Liedern sind also keinesfalls unüblich.

Auch ich habe schon vor Jahren in einem GK 13 ein solches Experiment durchgeführt, allerdings habe ich die Schüler nicht "aufgefordert", wie es in den Medien in dem eingangs beschriebenen Fall gewesen sein soll, sondern gesagt, dass dies rein freiwillig geschieht und niemand mitmachen muss. Da die Schüler allesamt 18 waren, brauchte ich also auch nicht die Eltern ins Boot zu holen. Und sie haben alle mitgemacht.

Heute bin ich da vorsichtiger, da die Schüler jünger sind und die Schulleitungen diesbezüglich auch sensibler sind. Man kann die Wirkung von NS-Kampfliedern auch ohne aktives Singen "erforschen". Wenn man sieht, wie viele Schüler, wenn sie diese Lieder das erste Mal hören, mitschunkeln oder zum Takt mit dem Fuß mitwippen, dann ist es immer ein faszinierender Schock-Effekt, wenn man ihnen sagt, was das für Lieder waren.
Das reicht meistens schon aus, um den Effekt der Massenpsychologie selbst zu erfahren und dies dann auf die Zeit ab 1933 zu übertragen.

Wem dies zu heikel ist, kann dies auch mit kommunistischen Liedern wie der Internationalen oder dem SED-Lied "Die Partei" machen. Letztlich sind solche Märsche von ihrem Charakter her nicht einer politischen Ideologie zuzuordnen, sondern die Ideologie bedient sich der affektiven Wirkung der Musik.
Gruß
Lysander

Das beste Argument gegen Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem durchschnittlichen Wähler. (W. Churchill)

CatherineDuquesne
Moderator
Beiträge: 3548
Registriert: 17.06.2007, 11:34:27
Wohnort: BY, RS

Re: Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Beitrag von CatherineDuquesne »

Eine bestimmte Gefahr ist da durchaus dabei in diesem Alter. Dazu später.

Ich war jetzt nicht dabei und weiß nicht, inwiefern das die Kollegin didaktisch gehandhabt hat. Ich kann mir nur vorstellen, dass man zumindest bei uns dann größere Probleme hätte, wenn man das singen ließe. Schon rein präventiv.

Der Deutsche ist, wenn er Nationalsozialismus hört, in einer Hab-Acht-Stellung. Die über die Jahre entwickelt wurde. Hier funktioniert das also insofern, als dass man sofort etwas dagegen tun möchte. Nur war jetzt keiner dabei, was wirklich war.
Interessant wäre z. B. auch die Frage, was herauskäme, wenn ich den Kälbermarsch und das Horst-Wessel-Lied Strophe für Strophe gegenüberstelle.

Was ich einmal erlebt habe in einer 10. Klasse: Ich habe die DDR-Hymne vorgespielt und hatte da noch darauf hingewiesen, kritisch zuzuhören. Dennoch gab es Meinungen, dass sich das ja alles gut sei, was man da hörte. Darauf gekommen, dass es sich gut anhören sollte, sind keine.
Gemerkt, dass das Lied eine bestimmte Wirkung hat, haben sie schon. Nur so, wie das die Leute in der DDR auch empfinden sollten.
Und da liegt dann die Gefahr, wenn viele Jugendliche noch nicht in der Lage sind, da zu differenzieren.

Schon aus dem Grund würde ich mich von Horst Wessel fernhalten.

Nun stimmt es allerdings durchaus, dass man hier schnell ins Visier gelangt, wenn man mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wird.
"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." B. Brecht

Lysander
Moderator
Beiträge: 2579
Registriert: 07.02.2005, 14:43:42
Wohnort: NRW / Gy / E, Ge, Mu

Re: Lehrerin lässt SuS zu Horst-Wessel-Lied marschieren

Beitrag von Lysander »

Der Denunziant kommt aus der Linkspartei und hat so reagiert, wie man es nur aus dem Leben des Brian nach zwei "Jehovas" kennt...
Gruß
Lysander

Das beste Argument gegen Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem durchschnittlichen Wähler. (W. Churchill)

Antworten