Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

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Stark
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Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

Beitrag von Stark »

http://www.sueddeutsche.de/bildung/schu ... -1.1792491

Nun hat also der Osten das Bildungsparadies Bayern überholt, zumindest im Bereich der Naturwissenschaften. Dass Bayern bildungspolitisch auf dem absteigenden Ast ist, überrascht mich (als Bayern) nicht wirklich. Mit G8, Lehrplan plus und Kompetenzorientierung wurden Ansätze genommen, die an sich wohl nicht verkehrt sind, dabei wurden sie aber völlig übereilt und unausgegoren in die Schulen gepresst. Solange man nach PISA mit Reformen zeigen konnte, dass etwas geschieht, war der Wähler zufrieden und man musste sich keine weiteren Gedanken machen.

Die Schadensbegrenzung leistete dann das A13/A14-Fußvolk in den Gymnasien - zum Teil unterstützt durch das KM mit "Monitoring" (= Wie beschönigt man die Abiturergebnisse des ersten G8-Abiturjahrgangs unter einem modern klingenden Etikett?) und "Intensivierungsjahr" (= Wie kann ich "Everybody's Darling" sein, indem ich dem Wähler G8 UND G9 gebe, je nachdem was er will, ohne mir allzu viele Gedanken über die Umsetzbarkeit zu machen?).

Wie gesagt, er überrascht mich nicht, dass der Freistaat so seine Position nicht halten konnte.

Was mich hingegen überrascht ist folgendes Zitat aus dem verlinkten Artikel:
Überfällige Strukturreformen in der Sekundarstufe wurden nicht entschlossen genug vorangetrieben, der Abschied vom selektiven, dreigliedrigen Schulsystem aus Gymnasium, Real- und Mittelschule (früher Hauptschule) fällt der bayerischen Bildungspolitik schwer.
Ich für meinen Teil habe (als Gymnasiallehrer!) das Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem bisher für den letzten brauchbaren Ansatz in der bayerischen Bildungspolitik gesehen. Wie sehen das denn die anderen Gymnasialkollegen hier? Ist das wirklich das große Problem hier im Bundesland?

Fränzy
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Re: Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

Beitrag von Fränzy »

BW schneidet auch nur sehr mäßig ab.

Tatsächlich hängen in BW und BY sozialer Status und Bildungserfolg stärker voneinander ab, als anderso. Also muss man sich wohl eingestehen, dass wir DAS nicht richtig gut hinbekommen.

Ob das nun ursächlich am gegliederten Schulsystem liegt, kann ich nicht beurteilen.

Ich bin eigentlich kein Freund davon, alle über einen Kamm zu scheren und (sehr) langes gemeinsames Lernen zu befürworten. (Unsere Schüler sind zum Teil sehr froh, wenn sie unter sich sind, das heißt, jeder so etwa auf dem gleichen Stand und keiner der ewig hinter her hinkt und evtl. auch noch in "ihrer" Fachrichtung)
שָׁלוֹם

Illi-Noize
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Re: Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

Beitrag von Illi-Noize »

Stark hat geschrieben: Ich für meinen Teil habe (als Gymnasiallehrer!) das Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem bisher für den letzten brauchbaren Ansatz in der bayerischen Bildungspolitik gesehen. Wie sehen das denn die anderen Gymnasialkollegen hier? Ist das wirklich das große Problem hier im Bundesland?
Ist ja auch sehr sinnvoll - oder woher kommen (u.a.) die Mini-Arbeitslosenzahlen in Bayern? Andere Bundesländer (oder auch Frankreich, wo quasi jeder das Abi bekommt) selektieren die Schüler weniger bis gar nicht ... dafür selektieren dann die Arbeitgeber, und für viele kommt das dann völlig überraschend... Ich habe aktuell 10.-Klässler, die haben mehrere Ausbildungsverträge zur Unterschrift vorliegen - die können sich sogar ihre Lehrstelle ziemlich frei aussuchen...

Schade ist, dass der Artikel keinerlei Details aufzeigt. Mich würde schon interessieren, wie z. B. ein bayerischer Realschüler im Vergleich zu einem Gesamtschüler aus Bundesland XY abschneidet.

Der BPV hat schon reagiert und macht unsere Grundschule verantwortlich:
Stundenausstattung in der Grundschule entscheidender Faktor

Eine mögliche Erklärung findet Schmidt in den Stundentafeln des sächsischen Siegers: Das Fundament für das besonders gute Abschneiden werde in der Grundschule gelegt: Sächsische Grundschüler haben in den Klassen 1 bis 4 je 5 Wochenstunden Mathematik. Die besondere Wertschätzung, die dieses Fach dort traditionell genießt, setzt sich mit dessen guter Stundenausstattung am Gymnasium fort: In den Jahrgangsstufen 5 bis 10 nimmt die Mathematik mit insgesamt 25 Wochenstunden einen prominenten Platz ein.

Der bpv-Vorsitzende schlussfolgert aus den Ergebnissen: „Die Basis für den Erfolg in den weiterführenden Schularten wird bereits in den Grundschulen gelegt. Wir wissen, dass es für den Lernerfolg und die Kompetenzentwicklung der Schüler von großer Bedeutung ist, dass basale Fächer wie Mathematik und Deutsch von Anfang bereits an der Grundschule einen hohen Stellenwert genießen. Stundenkürzungen, wie sie Bayern vor Jahren im Fach Deutsch zugunsten des Grundschulenglisch durchgeführt hat, sehe ich daher höchst kritisch.“
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Da dieser Thread nichts mit dem Ablauf des Referendariats zu tun hat -> *schwupps*

Stark
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Re: Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

Beitrag von Stark »

Fränzy hat geschrieben: Tatsächlich hängen in BW und BY sozialer Status und Bildungserfolg stärker voneinander ab, als anderso. Also muss man sich wohl eingestehen, dass wir DAS nicht richtig gut hinbekommen.

Ob das nun ursächlich am gegliederten Schulsystem liegt, kann ich nicht beurteilen.
+

Das ist tatsächlich ein Problem. Ich persönlich denke aber, dass das dreigliedrige Schulsystem dafür nur sehr bedingt verantwortlich ist - wenn überhaupt!
Ich bin eigentlich kein Freund davon, alle über einen Kamm zu scheren und (sehr) langes gemeinsames Lernen zu befürworten. (Unsere Schüler sind zum Teil sehr froh, wenn sie unter sich sind, das heißt, jeder so etwa auf dem gleichen Stand und keiner der ewig hinter her hinkt und evtl. auch noch in "ihrer" Fachrichtung)
Ich habe tatsächlich verschiedene Schultypen kennengelernt, auch Gesamtschulen. Das klappt schon und hat sozial sicherlich viele Vorteile. Aber das Anforderungsniveau nivelliert sich - zumindest in meiner Erfahrung - doch sehr herunter.
Ich halte das dreigliedrige Schulsystem für sehr sinnvoll - auch im Sinne einer Art "Elitenförderung" am Gymnasium. Was allerdings verbessert werden muss, ist die bessere Durchlässigkeit auch nach oben. Wir "schieben" hier regelmäßig Schüler an die Realschule ab, bekommen aber nur sehr wenige Realschüler, die bei uns die Oberstufe und das Abitur machen. Das liegt sicher nicht an unserer örtlichen Realschule, sondern am System.
Außerdem sehe natürlich durchaus ein Problem darin, dass alle auf das Abitur schielen und dadurch die Mittlere Reife und vor allem der (qualifizierte) Hauptschulabschluss in der gesamtgesellschaftlichen Meinung abgewertet werden. Dabei muss ja nun nicht jeder Abitur machen und an die Unis rennen. Mir ist ein Automechaniker, Klempner etc. mit Hauptschulabschluss, der etwas von seinem Job versteht lieber als ein gescheiterter Abiturient!
Illi-Noize hat geschrieben: Schade ist, dass der Artikel keinerlei Details aufzeigt. Mich würde schon interessieren, wie z. B. ein bayerischer Realschüler im Vergleich zu einem Gesamtschüler aus Bundesland XY abschneidet.
Stimmt! Vielleicht kommt das, wenn nächste Woche die genauen Ergebnisse veröffentlicht werden.

Fränzy
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Re: Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

Beitrag von Fränzy »

Ach, ich würde eh nicht vom dreigliedrigen Schulsystem sprechen. Es klingt immer so, als ob nur jeweils ein Bildungsgang (z.B. HS/RS/GY) zu dem jeweiligen Abschlüssen führen würde. Dem ist nicht so, da wird der zweite Bildungsweg vergessen und überhaupt die Möglichkeiten in den Berufsbildenden Schulen.

Von Eliteförderung halte ich persönlich nicht viel. Ich war in der Schule sehr gut und mich hat es überhaupt nicht gestört, dass andere langsamer sind. Wer von sich aus von Wissensdurst gesteuert ist, der lässt sich nicht von anderen bremsen und der lernt auch noch etwas von diesen Schülern.

Ich sehe mehr das Problem, dass die Lehrer sehr viel Zeit für Differenzierung/Diagnostik aufbringen müssen. Und dass eher die schwächeren drunter leiden, wenn sie hinterherhinken.

Und ich finde es einfach falsch, dass man glaubt, EINE Schulart könnte das Richtige für alle sein. (Plakativ gesprochen: alle auf das neue Hauptrealgymnasium) und keiner mehr zu uns :(

Wir machen schon ziemlich viel von diesen neuen Sachen. Wir haben Schüler mit Behinderung, wir bringen Mädchen ans MINT, wir haben Ganztagsklassen, alle Bildungsabschlüsse und die Möglichkeit von unten nach oben durchzusteigen und sehr sehr viele Migranten (auch im TG).

Wird in BW leider weitgehend vergessen.
שָׁלוֹם

Illi-Noize
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Re: Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

Beitrag von Illi-Noize »

Stark hat geschrieben:Was allerdings verbessert werden muss, ist die bessere Durchlässigkeit auch nach oben. Wir "schieben" hier regelmäßig Schüler an die Realschule ab, bekommen aber nur sehr wenige Realschüler, die bei uns die Oberstufe und das Abitur machen. Das liegt sicher nicht an unserer örtlichen Realschule, sondern am System.
Schwierige Sache ... wir sind aber über jeden froh, der erstmal bei uns bleibt und so das Niveau hebt ;-) Das System ist tatsächlich nicht (oder nur schlecht) auf so einen Wechsel ausgerichtet. Das muss es aber aus meiner Sicht auch gar nicht sein, mit dem Realschulabschluss von 3,33 oder besser in D, M und E besteht ja die Möglichkeit, dass man an der FOS die Oberstufe macht und so auch noch das Abitur schafft. Immerhin haben nur knapp 50 % der Studenten ihre Hochschulreife auf dem klassischen Weg des Gymnasial-Abiturs gemacht ... die alternativen Wege sind also bekannt und werden genutzt.

Was mich aber interessiert: Wie könnte man eine Durchlässigkeit nach oben gestalten? Die "höheren" haben auf ihrer Schulart eben mehr Stoff bereits auf Lager, den selbst ein starker Schüler der "niedrigeren" Schulart eigentlich gar nicht wissen kann, da es im Lehrplan gar nicht oder erst später kommt ... dafür haben wir einiges in Sachen "Berufsorientierung", was ich auch für sehr sinnvoll halte.

Stark
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Re: Bayerns Schlappe bei IQB-Studie

Beitrag von Stark »

Fränzy hat geschrieben: Von Eliteförderung halte ich persönlich nicht viel. [...]
Ich sehe mehr das Problem, dass die Lehrer sehr viel Zeit für Differenzierung/Diagnostik aufbringen müssen. Und dass eher die schwächeren drunter leiden, wenn sie hinterherhinken.
"Elitenförderung" war vielleicht auch der falsche Begriff. Ich meine das, was du auch in Richtung Differenzierung schreibst, bin allerdings der Ansicht, dass alle Schüler leiden, die nicht genau im Durchschnitt liegen, die Schwächeren wie auch die Stärkeren.

Und ich finde es einfach falsch, dass man glaubt, EINE Schulart könnte das Richtige für alle sein. (Plakativ gesprochen: alle auf das neue Hauptrealgymnasium) und keiner mehr zu uns :(
Absolut d'accord! Der Unterschied ist zwischen Realschule und Gymnasium ist ja nicht, dass Realschüler auf irgendeine pauschale Art "dümmer" sind, sondern meiner Erfahrung nach das unterschiedliche Abstraktionsvermögen. Das bedeutet, dass ich in einer Einheitsschule nur schwer allen Schülern gerecht werden kann. Eigentlich ist "dreigliedrig" da schon zu wenig. (Abgesehen davon, dass ich auch zustimme, dass es in der Realität sowieso komplexer ist als nur drei Bildungszweige.)
Illi-Noize hat geschrieben:Die "höheren" haben auf ihrer Schulart eben mehr Stoff bereits auf Lager, den selbst ein starker Schüler der "niedrigeren" Schulart eigentlich gar nicht wissen kann, da es im Lehrplan gar nicht oder erst später kommt ... dafür haben wir einiges in Sachen "Berufsorientierung", was ich auch für sehr sinnvoll halte.
Für die Sprachen sehe ich das gar nicht so sehr als Problem - zumindest nicht auf der rein inhaltlichen Ebene. So hat beispielsweise ein Realschüler mit der Mittleren Reife in Deutsch einen Abriss der kompletten Literaturgeschichte hinter sich, was am Gymnasium in der Zehn erst so langsam anläuft und dann bis in die 12. weitergeht. Dann natürlich vertieft. Dafür beschränkt sich die Aufsatzlehre an der Realschule recht bald auf den Textgebunden Aufsatz und die Erörterung, während am Gymnasium die Bandbreite der Aufsatzsorten größer ist. (Die Realschulkollkegen mögen mich korrigieren, falls sich das geändert hat. Meine Realschulerfahrung als Lehrer ist ein paar Jahre her.)
Vielleicht könnte man - und ich bin hier im Bereich der Bildungsutopien, weil so etwas aus Kostengründen nie umgesetzt werden würde - ab der Mittelstufe (ca. Klasse 8) Förderkurse für besonders begabte Realschüler einrichten. Eine Klassenkonferenz beschließt zum Ende der siebten Jahrgangsstufe, welche Schüler besonderes Potential zeigen. Diese Schüler besuchen dann Zusatzstunden, in denen sie (-vielleicht direkt von teilabgeordneten Gymnasiallehrern?) mittelfristig auf den Übertritt auf das Gymnasium nach der Mittleren Reife vorbereitet werden. Zumindest in den Sprachen und in Mathe. Nur so eine Idee.

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