Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfernt

Wenn das Lehramtsstudium Fragen und Probleme aufwirft ...
Jenner
Beiträge: 1
Registriert: 28.07.2015, 18:15:14

Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfernt

Beitrag von Jenner »

Guten Tag liebes Forum,

ich (m, 24) lese hier schon seit längerem still mit und würde gerne nach meiner Ausbildung zum Erzieher nun gerne den Beruf des Grundschullehrers ergreifen. Ich habe auch schon viele Erfahrungen im Grundschulbereich gesammelt und bin davon überzeugt, dass es das Richtige für mich wäre. Nun beobachte ich schon seit längerem den Arbeitsmarkt hier in NRW plus den der Bundesländer West und Ost und insgesamt sieht es ja insbesondere im Westen alles andere als prickelnd aus...

Bspw. heißt es in Hessen:
...
Die durchschnittlichen Einstellungschancen (Verhältnis von Bewerbungen zu Einstellungen) liegen daher kurz- und mittelfristig bei voraussichtlich nur rund 15 %. Sehr hohe Bewerbungszahlen stehen einem mäßigen Einstellungsbedarf gegenüber. Dies bedeutet insbesondere für das Ranglistenverfahren weiterhin einen scharfen Leistungswettbewerb zwischen den Bewerberinnen und Bewerbern.
...
Beim Drittfach empfiehlt sich die Wahl eines Faches, das von nicht so vielen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern vertreten wird bzw. das nicht oder nur eingeschränkt fachfremd unterrichtet werden kann. Dies gilt insbesondere für die Fächer Musik sowie ev./kath. Religion. Von der Wahl des Faches Sachunterricht ist aufgrund der hohen Konkurrenz eher abzuraten.
...
Über 90 % der Grundschullehrkräfte sind Frauen. Deshalb ist es wünschenswert, ja sogar dringend erforderlich, dass mehr Männer dieses Lehramt wählen, weil gerade Jungen für
ihre Entwicklung männliche Lehrervorbilder brauchen, von denen sie lernen und mit denen
sie sich identifizieren können. Eine bevorzugte Einstellung von männlichen Bewerbern ist
aus rechtlichen Gründen allerdings nicht möglich.
...


Im Klartext werden nur ca. 15% eine Stelle erhalten, dabei sollte man umbedingt Musik oder Religion als Drittfach gewählt haben. Männer sind "dringend erforderlich", man ist aber nicht gewollt dafür etwas zu tun, sondern die müssen halt zusehen wie sie in die besten 15% kommen. Für mich also sehr schlechte Prognosen, da ich kein musikalisches Talent besitze, atheistisch veranlagt bin, gerne Sachunterricht aufgrund meines Interesses für Technik, Naturwissenschaften etc. wählen würde und nicht umbedingt das gesamte Studium+Ref hinweg den totalen Leistungsdruck im Nacken spüren möchte jederzeit perfekt sein zu müssen.
Den Text aus Hessen könnte man so auch analog auf NRW, Niedersachsen, Bayern, BW, HH usw. übertragen. Im Osten wird hingegen auch für die nächsten Jahre von einer Unterdeckung ausgegangen, wohl aber auch aus guten Gründen was bspw. die Arbeitskondition betrifft (befristete Verträge, Verbeamtungen=Null, teilweise 700 Euro Gehaltsdifferenz etc.)

Ich möchte hier im Grunde genommen nur anstoßen wie bedauerlich ich es finde, dass an jedem "Boys-Day" und wie sich diese Veranstaltungen noch so nennen männliche Abiturienten für diesen Beruf motiviert werden und dass die Erziehungswissenschaften und Politik ja auch heutzutage begriffen haben sollen wie wichtig Männer im Primarbereich sind und man füge hier noch andere beliebige luftleere Phrasen ein, andererseits ist man politisch und arbeitsrechlich nicht dazu bereit eine Quote dafür einzurichten und lässt die wenigen Grundschullehrer dann eiskalt im Regen stehen sofern sie nicht absolute Top-Noten vorweisen können. Heißt auch auf den Punkt gebracht, dass sich die männlichen Mitbewerber genauso warm anziehen müssen wie der Rest und an der gegenseitigen Zerfleischerei um die wenigen Stellen teilnehmen werden dürfen.

Mir wurde das Studium der Sonderschulpädagogik mit Fokus auf Primardidaktik empfohlen, aber so sehr ich die Arbeit der Sonderschullehrer wertschätze (und das tue ich wirklich, ich habe ein Jahr lang im Ganztag gearbeitet und weiß wie wichtig diese Profession heuzutage geworden ist), möchte ich andererseits nicht wirklich der Spezialist dafür werden lernbehinderte oder verhaltensgestörte Kinder zu "inkludieren", sondern auch die angenehmen Seiten dieses Berufs genießen (wie die lerneifrigen Kinder zu fördern, Kinder mit bereits guten Umgangsformen von Hause aus mitzuerziehen usw.). Zudem glaube ich an den Schweinezyklus und denke, dass jetzt jede/r anfangen wird auf Sonderpädagogik umzusatteln, sodass es schlussendlich wieder zu wenige Grundschullehrkräfte in manchen Regionen geben wird.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe das Gefühl, dass wenn man sich zumindest für die nächsten 20 Jahren hier in NRW (bzw. im Westen) dazu entschließen sollte das Grundschullehramt zu studieren und nicht Musik oder Religion als Unterrichtsfach gewählt haben sollte, dann sollte man sich auch gleichzeitig schon mental auf den Umzug in den Osten einstellen. Mobilität wird auch in der freien Wirtschaft verlangt, keine Frage. Und dass es jetzt wenig bewirken wird wie ein Kindergartenkind auf dem Boden herumzustampfen und lauthals "Ich will, ich will aber!" herumzutröten wird genauso wenig an dem allen ändern, darüber bin ich mir sehr bewusst. Jedoch wäre das ein Job, der mir wirklich Jahrzehntelang Freude bereiten könnte, es ist aber alles eher...nennen wir es nicht enttäuschend, nennen wir es sehr ernüchternd. Unter diesen Konditionen ein ganz klares Nein. Und ich werde jedem potentiellen Interessenten davon abraten, denn diese idealistische Augenwischerei an jungen Menschen seitens der Kultusministerien und Universitäten halte ich für absolut unverantwortlich und hinterhältig. Aber nach den Erfahrungen vieler User hier scheint das ja nichts wirklich Neues zu sein.

Mich würde abschließend nur noch interessieren: Angenommen ich habe nach dem Ref keine Aussicht auf eine Stelle in NRW. Ich bewerbe mich in einem Bundesland und erhalte sogar eine Zusage im Angestelltenverhältnis. Bleibt meine Bewerbung in NRW weiterhin erhalten, sodass ich hier nach sagen wir ein bis fünf Jahren eine Planstelle erhalten könnte? Oder fliege ich automatisch von der Warteliste sobald ich eine feste Stelle in Vollzeit in einem anderen Bundesland angenommen habe?

Vielen Dank für's Lesen und ich wünsche euch allen angenehme Ferien.

chilipaprika
Beiträge: 3251
Registriert: 28.08.2009, 10:46:00

Re: Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfer

Beitrag von chilipaprika »

Nur kurz:
In NRW werden fast alle Stellen "schulscharf" ausgeschrieben, sprich: du bewirbst dich für jede einzelne Stelle, die für dich in Frage kommt, separat. Auch für die wenigen Listenstellen musst du dich jedes Halbjahr neu bewerben.
und du kannst dich 10 Jahre lang bewerben, bis du deine Traumstelle hast, wenn du willst. Es gibt keine Begrenzung (außer die Verbeamtungsgrenze).
Allerdings gibt es besondere Regeln, was dein momentanes Beschäftigungsverhältnis angeht, wenn du dich bewirbst. Da bin ich wirklich nicht sicher, dass du dich schon in einem unbefristeten Verhältnis befinden darfst. Ich glaube nein.

chili

Illi-Noize
Moderator
Beiträge: 9146
Registriert: 02.02.2008, 15:46:55
Wohnort: Bayern / StR(RS) / Betreuungslehrer Einsatzrefs, Fachschaftsleiter

Re: Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfer

Beitrag von Illi-Noize »

Du musst nicht zwingend in den Osten gehen - Bayern hatte dieses Jahr im Bereich der Grundschule mehr oder weniger Volleinstellung. Aber bis Du fertig bist ... kann sich das alles ändern...

:)(:
Beiträge: 37
Registriert: 08.03.2015, 16:26:00

Re: Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfer

Beitrag von :)(: »

Ich denke schon, dass man es als Mann ein wenig leichter hat, denn, wie beschrieben, sind Männer erwünscht. Bei gleicher Qualifikation hat also der Mann bessere Chancen.

Illi-Noize
Moderator
Beiträge: 9146
Registriert: 02.02.2008, 15:46:55
Wohnort: Bayern / StR(RS) / Betreuungslehrer Einsatzrefs, Fachschaftsleiter

Re: Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfer

Beitrag von Illi-Noize »

:)(: hat geschrieben:Ich denke schon, dass man es als Mann ein wenig leichter hat, denn, wie beschrieben, sind Männer erwünscht. Bei gleicher Qualifikation hat also der Mann bessere Chancen.
Hängt vom Bundesland ab. In Bayern zählt für Planstellen einzig die Note.

Valerianus
Beiträge: 602
Registriert: 04.09.2010, 22:41:27
Wohnort: NRW / GyGe / Mathe & Geschichte

Re: Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfer

Beitrag von Valerianus »

In NRW ist das ausschlaggebende Kriterium bei den schulscharfen Bewerbungen auch die Note, aber wenn eine Schulleitung wirklich will, dann lädt sie zur Not auch alle Bewerber bis (Note des Wunschkandidaten einfügen) zum Vorstellungsgespräch ein und freut sich ungemein einen Lehrer gefunden zu haben der die AG (seltenes Hobby des Wunschkandidaten einfügen) anbieten kann. Also wenn eine Schulleitung einen männlichen Grundschullehrer haben möchte (und da gibt es bestimmt nicht wenige Schulleitungen), dann bekommt sie den auch ganz ohne Quote. ;)
Non vitae, sed scholae discimus (Seneca)

:)(:
Beiträge: 37
Registriert: 08.03.2015, 16:26:00

Re: Quote für männl. Lehrer an Grundschulen noch weit entfer

Beitrag von :)(: »

Mmh, ich habe ja auch geschrieben "bei gleicher Qualifikation", was die Note mit einschließen sollte. Also z.B. Frau mit Note x vs. Mann mit gleicher Note x bei gleichen restlichen Qualifikationen, ein Mann wird erwünscht. Wer wird wohl nun den Job bekommen?

Antworten