Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Habt ihr Fragen speziell an Ehemalige? Einige Junglehrer, die auch in der Referendarsbetreuung tätig sind, versuchen euch zu helfen.
Ca7737
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Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Beitrag von Ca7737 »

Hallo ihr Lieben,
ich bin jetzt am Ende meines Studiums (LaG) und darf hoffentlich im Februar 2018 mit dem Referendariat anfangen. Meine Fächer sind Englisch und Spanisch (+ DaZ-Zertifikat). Da ich nicht wirklich ortsgebunden bin, wäre ich sehr flexibel, was das Bundesland betrifft. Allerdings habe ich natürlich meine Präferenzen und würde mich über einen Platz in Hamburg, Bremen oder im Norden von Niedersachsen sehr freuen. Natürlich weiß ich, dass es, trotz einer vorraussichtlich recht guten Abschlussnote, schwierig wird, direkt einen Platz zu bekommen und habe mich vor ca. einem halben Jahr das erste Mal mit der Möglichkeit beschäftigt, an eine Berufliche Schule zu gehen da ich gehört habe, dass die Chancen da besser sind. Natürlich sollte das nicht der einzige Grund sein und ich habe mein letztes Praktikum an dieser Schulform absolviert und mit einigen Freunden und Bekannten geschnackt, die an Beruflichen Schulen unterrichten. Das Praktikum hat mir so gut gefallen, dass sich dieser Gedanke verfestigt hat und ich mich nächste Woche genauer über meine Möglichkeiten und Chancen informieren möchte. Aber vielleicht gibt es ja auch ein paar Leute hier im Forum, die den gleichen Weg gegangen sind und mir von ihren Erfahrungen erzählen könnten. Unabhängig vom Bundesland würde mich interessieren, ob die Chancen für einen Platz an Beruflichen Schulen wirklich besser sind, auch wenn man auf Gymnasiallehramt studiert hat und wie es aussieht, wenn man doch irgendwann ans Gymnasium möchte; ob ihr eure Entscheidung bereut habt oder warum ihr euch überhaupt für diese Schulform entschieden habt. Freue mich über jeden Kommentar :)

sabisteb
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Registriert: 02.10.2015, 15:09:13

Re: Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Beitrag von sabisteb »

Chancen sind super. Burnoutrisiko bei Berufsschullehrern ist bei ca. 60% (wenn man beide Risikogruppen A+B zusammenzählt). Die Schüler sind durchweg schwach, sehr schwach, zumindest an meiner Schule. Das Deutsch ABI ist das gleiche wie an allgemeinbildenen Gymnasien, wenn da einer 5-6 Punkte schafft ist OK. Schüler, die zweimal durchs Abi fliegen sind keine Seltenheit.

Berufliche Schulen sind nicht ein Schultyp, wie ein Gymnasium. Am Gymnasium differenziert man nach Altersgruppen, Berufliche Schulen vereinen unter einem Dach viele verschiedene Schultypen mit sehr unterschiedlicher Klientel.

Du solltest dir über eines bewusst sein, das Niveau an Beruflichen Schulen ist deutlich niedriger und die Schüler deutlich leistungsschwacher. Kein Vergleich mit einem Gymnasium. Du hat keine Hauptschulpädagogik oder Realschulpädagik gehabt und stehst dann vor diesen Klassen:
Meine aktuellen Erfahrungen

1. VAB - Hauptschüler, die den Hauptschulabschluss nicht geschafft haben und es im VAB noch einmal versuchen. Hohe Fehlzeiten, keine Motivation, Hausaufgaben kannste meist vergessen.
VAB-O (auch ohne Fortbildung für Deutschlehrer realistisch) - Flüchtlingsklasse mit Alphabetisierung und Deutsch von A1 und B1 in einem Jahr, viel Spaß, sach ich nur.
2. BEJ - Schlechte Hauptschüler, die noch ein Jahr für die Berufsvorbereitung brauchen.
3. BF - Schlechte Hauptschüler, die zu schwach für 9+1 sind und es daher in zwei Jahren versuchen. Viele davon schaffen nicht einmal die Probezeit.
4. BK - Schlechte Realschüler, die keine Lehrstelle gefunden haben in Kombination mit Realschülern die erst mal abhängen und sich orientieren mit einigen wenigen (4 von 28), die wirklich einen BK Abschluss wollen.
5. BG - 6 Jährig - Schüler, die es im normalen Gymnasium aus verschiedenen Gründen nicht geschafft haben. Häufig Autisten oder mit anderen Problemen (ADS, ADHS), die eine Sprache weniger besser verkraften und statt desssen ein praktische Fach dazunehmen. Mutisten sind besonders herausfordernd.
3. BG - 3 Jährig - motivierte gute Realschüler, mittelmäßig orientierungslose Realschüler, Schüler aus dem BF, Gymnasiasten aus einem allgemeinbildenen Gymnasium.
Die BG Klasse, mit der ich es derzeitig zu tun habe: Montags fehlt ein Großteil. 1/3 ist nicht annähernd auf dem Niveau dem Unterricht folgen zu können. Einige haben bereits freiwillig dasn Handtuch geworfen und sind weg, andere schulen auf BK ab und haben seit Wochen bereits abgeschlatet und sind nur noch körperlich da.
6. Berufsschule BS - Lehrlinge mit einem sehr gemischten Hintergrund. Ohne Hauptschulabschluss, mit Hauptschulabschluss, Realschüler und Gymnasiasten in einer Klasse. Variieren von Lehrberuf zu Lehrberuf, was verhalten und Mitarbeit angeht. Bäckereifachverkäuferinnen sind in Englisch sehr unterschiedlich von Frisören oder Metzgern. Für jeden Klassentyp ist anderes Fachvokabular zu (er-)lernen. Das ist echt anstrengend, wenn man selber z. Bsp. gar keine Ahnung von Elektrotechnik hat und mit denen dann Stromkreise beschreiben soll.
7. Berufsaufbauschule BA - Lehre zu schlecht abgeschlossen, als dass sie als mittlere Reife durchgehen würde, daher wird ein Jahr BA angehängt. 50% schaffen es, teils auch weniger.
8. Berufsoberschule - Fertige Ausbildung, vernünftig, zielstrebig, Erwachsene
9. Technikerschule - Fertige Ausbildung, vernünftig, zielstrebig, Erwachsene
10. BKFH - Die wollen es wirklich. Schon älter, zielstrebig.

Binnendifferenzierung aud drei Niveaus ist da ein Muss, womit ich als Referendar einfach nur überfordert bin.
Vielleicht liegt es auch an meiner Schule.
Vielleicht gibt es Berufsschulen mit stärkeren Schülern.
Viele sind da, weil sie per Gesetzt verpflichtet sind, ein Berufsschuljahr zu absolvieren... Gegen Ende des Jahres (alo etwa jetzt) gehen dann die 3. Mahnungen und Inkassobriefe für Strafzahlungen ans Landratsamt wegen hoher Fehlzeiten raus, nachdem schon 3 Elterngespräche und Gespräche mit Rektor erfolgt sind.

Ich stehe permenant im BF und VAB und bin am Limit. Ich habe das Niveau noch nicht annähernd identifizieren können. Vor Klassen zu stehen, von denen bereits 50% das nächste Jahr nicht machen werden ist kein Spaß.

In BW läuft es mit der Besetzung so.
1. es werden die eigenen Referendare versorgt bis Schnitt 2,5
2. Danach kommen auch die Direkteinsteiger zum Zuge und werden parallel zu den eigenen Leuten in die Liste gereiht.
Auf dem Platten Land, im tiefsten Schwarzwald, wo keiner hin will, Hausach und Co, hat man wirklich gute Chancen. Rheinschiene sieht aber sehr schlecht aus.

Ca7737
Beiträge: 9
Registriert: 26.05.2017, 22:12:44

Re: Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Beitrag von Ca7737 »

Vielen Dank für diese sehr ausführliche Antwort :)

Dass Berufliche Schulen viele Schultypen vereinen, weiß ich natürlich. Durfte während meines Praktikums auch verschiedene kennenlernen. Ich habe zum Teil ähnliche Erfahrungen gemacht, zum Teil nicht. Das kommt wohl wirklich auf die Schule an. Ganz ähnliche Erfahrungen habe ich aber auch an einer Gemeinschaftsschule gemacht, in der die Klassen der Sek I ja auch extrem heterogen sein können. Und hier im Norden sind die Chancen für Gym. Absolventen höher, einen Referendariatsplatz an einer Gemeinschaftsschule mit Oberstufe zu bekommen als an einem reinen Gymnasium. Binnendifferenzierung wird deshalb so oder so ein großes Thema sein.

tim_hortons1964
Beiträge: 8
Registriert: 27.03.2017, 16:46:54

Re: Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Beitrag von tim_hortons1964 »

Hallo liebe Kollegin :),

ich kann dich nur zu diesem Schritt ermutigen (und hoffe, Du bist ihn auch gegangen!!!), an beruflichen Schulen werden Lehrer händeringend gesucht. Zwar ist das mit deiner Kombination nicht unbedingt zwingend der Fall, aber die Chancen sind immernoch wesentlich besser als im allgemeinbildenden Sektor.

Zuerst muss ich noch mit einem Vorurteil aufräumen: "Ich will nicht an die Berufsschule (!), weil ich keinen Bock habe ständig Asis vor mir zu haben", "Berufsschule? Warst zu doof für Gymnasium oder was?", und so weiter sind Vorurteile, die man ständig hört. Mach dich schonmal drauf gefasst... Am Ende stehen die Leute dann aber doch vor der Tür der berufsbildenden Schulen, weil sie am Gymnasium keine Stelle kriegen... Wie bereits gesagt wurde, berufsbildende Schulen (so heißen die richtig..) vereinen alle möglichen Schularten unter einem Dach, da ist alles von "Kein Hauptschulabschluss" bis berufliches Gymnasium (was übrigens exakt das gleiche ist wie die Oberstufe am allgemeinbildenden Gymnasium, außer, dass man eben noch eine Spezialisierung mit drin hat (zum Beispiel Biotechnologie, um nur EINS zu nennen)), was genauso zum Abi führt.

Es ist erschreckend, was die Leute für ein Bild von diesen Schulen haben. Das ist aber auch irgendwo nachvollziehbar, muss ich eingestehen: Viele Leute kennen keine BBS, waren selbst auf einem Gymnasium, haben dann direkt studiert, und sind dann was weiß ich wohin. Von daher motz ich hier auch niemanden an, appelliere aber trotzdem daran nicht zu voreilig mit Vorurteilen zu sein. Ich selbst war auch auf einem regulären Gymi, dann auf einem AG (Agrarwissenschaftlichen Gymnasium) und habe dann studiert. Von sozialem Abstieg kann man da also nicht wirklich reden, oder?

Ich selbst bin an einer beruflichen Schule im Ref, nachdem ich Deutsch und Bio für das gymnasiale Lehramt studiert, im Studium aber gemerkt habe, dass ich dort nicht so gut aufgehoben bin, wie an einer BBS (Und nein, das lag nicht an meinem 1,2 Abschluss weswegen ich mich für diesen Weg entschieden habe.......). Ich habe im vergangenen September meine eigenen Klassen bekommen, ich unterrichte Deutsch und Bio im VAB (sehr herausfordernd, teils frustrierend, aber a) muss jemand den Job gerne machen und b) verdienen diese Schüler es genauso wie alle anderen auch, dass wir uns für die den Arsch aufreißen), in der 2BFS (zweijährige Berufsfachschule, die versuchen die mittlere Reife hinzukriegen) und im BTG (biotechnologischen Gymnasium).
Und ich muss sagen es gefällt mir aus folgenden Gründen sehr gut:

1. Es ist extrem viel entspannter als im allgemeinbildenden Bereich. Wir sind in unserem Ausbildungsjahrgang knapp 60 Referendare. Ich selbst bin der einzige (!) Deutsch-Bio-Referendar im gesamten Regierungsbezirk. Groß Ellebogengesellschaft ist es also nicht wirklich. Durch die kleine Anzahl an Referendaren ist die Ausbildungssituation sowieso sehr entspannt. Diese Philosophie a la "ich krieg keine Stelle, deswegen hau ich jeden und alles weg, der sich mit in den Weg stellt" gibt es einfach nicht.

2. BBS sind sehr pragmatische Schulen. Das bedeutet, wir wissen genau, was aus unseren Schülern werden soll (Handwerker, Pfleger, Banker, Ärzte!). Durch das höhere Alter der Schüler bewegen wir uns als Lehrer mit den Schülern auf Augenhöhe. Dadurch ist auch das Lenrklima eigentlich immer entspannter als am allgemeinen.

3. Elternarbeit hast kaum. Wenn einer muckt, dann rufst halt mal kurz im Betrieb an, dann hat sich das nach zwei Minuten wieder ;)

4. Die Bezahlung ist dieselbe wie am Gymi, exakt dieselbe. (Im Ref übrigens echt nicht schlecht, weiß gar nicht was die Leute immer haben. Abzüglich Versicherung komme ich auf knapp 1200€ netto. Meint ihr ein Erzieher, Pfleger, Polizeianwärter, oder sonstiger Azubi kriegt mehr?) = A13 Einstieg

5. Die Ausbildungssituation am Seminar ist sehr entspannt. Fachleiter sind auf Augenhöhe, niemand lässt jemanden ins offene Messer laufen, oder geilt sich an seiner höheren Rangordnung auf. Da tun mir meine Kollegen am Gymi teilweise echt leid, wenn ich deren Geschichten so höre. Aber wie gesagt vergleich das doch mal: Mein Deutschkurs am Seminar besteht aus 7 Leuten. In der Gymi Abteilung gibts 3 á 25 Leute....... Kein Wunder, dass die sich alle so stressen.

Noch Fragen? Geh an die BBS ;)

P.s.: Ans Gymi kannst du rein theoretisch auch nachm Ref, wenn du die Zusatzausbildung hast, aber a) warum solltest du das (s. Gründe oben) und b) wird das derzeit kaum möglich sein, die kriegen doch selbst nicht alle Leute unter....

State_of_Trance
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Re: Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Beitrag von State_of_Trance »

Wenn du das Ref doch am Gymnasium machen willst, dann mach es doch einfach in NRW? Da kommt jeder unter.

Wenn es danach mit einer Stelle schlecht aussieht, kann man immer noch ans Berufskolleg wechseln.

tim_hortons1964
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Re: Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Beitrag von tim_hortons1964 »

Genau das sollte man m.E. nicht machen. Klar, man muss seine Brötchen verdienen, aber das Berufskolleg als letzten Ausweg zu nehmen, ist auch nicht gerade das goldene vom Ei. Klar, wenns nicht anders geht, ist das ja vertretbar. ABER: Der Aufwand, der betrieben werden muss, um jedes Jahr die Gymnasiasten, dies nicht am Gym geschafft haben, ins BK einzulernen, und dann sind viele auch noch unglücklich, kanns nicht sein.

Wenn sie mit dem Gedanken spielt an die BS zu gehen, und da auch schon Erfahrung gemacht hat, dann sollte sie da auch das Ref machen, dann wird sie optimal vorbereitet. Ich nehm mir doch auch nicht heraus, nach bestandenem BS Ref an eine Grundschule zu gehen, nur weil ich am BS keine Stelle kriege (nur mal rein hypothetisch). Ich hab da doch von der Materie (arbeit mit kleinen Kindern, völlig andere Herangehensweise) überhaupt keine Ahnung und seh mich auch nicht dazu berufen, genauso wenig wie sich die ganzen Gymnasialreferendare an einer Berufsschule sehen!!

Revisor
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Re: Ref. Berufliche Schulen trotz LaG Studium

Beitrag von Revisor »

In manchen BL sind an den BBSen mittlerweile die Hälfte der Kollegen Gymnasiallehrkräfte. Berührungsängste scheinen mir da nicht angebracht und oft aus mangelnder Erfahrung heraus aufgebauscht. Der Gymnasiallehrer, wie jeder Mensch, fürchtet sich vor dem was er nicht kennt, auf prominenten Plätzen rangieren hier in der Regel: Die Knochenmühle der "Freien Wirtschaft" und eben die"Assis von der Berufsschule"
Zum Niveau: Naja, ich habe sowohl an Gymnasien und BBS unterrichtet und sicher, die Spitzen mögen in einer BBS fehlen aber die träge Masse ist die gleiche. Fachlich interessantes Arbeiten oder gar intellektuell inspirierende Begegnungen fand ich idR weder hier noch dort, was für Schülerschaft und Kollegium gilt.
Zum Vorteil der BBS wurde ja schon einiges gesagt: Geerdeteres, vielfältigeres Kollegium, keine Elternprobleme, keine pubertierenden Schüler, Unterricht verläuft konservativ auf Abschlussprüfungen ausgerichtet, es wird kein Drama veranstaltet wenn jemand sitzen bleibt usw.
Es sind größere Schulen mit vielfältigeren Schulformen, Abwechslung ist also möglich und Beförderungschancen u.U besser.

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