Gewaltfreies Klassenmanagement

Habt ihr Fragen speziell an Ehemalige? Einige Junglehrer, die auch in der Referendarsbetreuung tätig sind, versuchen euch zu helfen.
sabisteb
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Gewaltfreies Klassenmanagement

Beitrag von sabisteb »

Ich bin nun an dem ersten Punkt angelangt, wo ich meinen eigenen Weg gehen muss und die Vorgaben des Mentors in der zweite Phase der Ausbildung nicht anwenden kann: Classroom management.
In mir streubt sich alles, die SuS über Maßregelungen und Bestrafung zu kontrollieren. Für mich ist das eine Art Machtmissbrauch durch Noten und Hierarchie, auf die ich selber mit Verweigerung reagiere. Langfristig funktioniert das ohnehin nicht, es macht einen nur wütend und bringt einen dazu diese Mensche, die einen so behandeln, zu verachten und zu hassen, weil sie ihre Position nur durch sinnlose Regeln und die Kontrolle der Einhaltung dieser festigen. SuS werden nur versuchen, die Regeln zu umgehen und dennoch nicht einhalten. Es bringt die SuS nur dazu, dass sie das System Schule hassen und lernen, dass man sich verstellen muss oder anpassen muss und nie seinen eigenen Weg gehen darf, wenn man etwas werden möchte. Dadurch erzieht man angepasste Duckmäuser, die aus Angst vor Strafe alles tun und beim Befehl "spring" nur noch "wie hoch" statt "warum" fragen.
Ich habe beobachtet, dass Problemschüler auf meine sanfte Weise schon jetzt im begleiteten Unterricht deutlich positiver reagieren als auf das permanente Ermahnen, pst, Ruhe, Einträge in Listen und Schulausschlüsse. SuS, die andere als Problem ansehen, dass man entfernen muss, arbeiten bei mir mit und bringen gute Ergebnisse in Rahmen ihrer Möglichkeiten.

Ich bin auf dieses Buch gestoßen: Discipline Without Stress, Punishments or Rewards by Marshall, Marvin

Aus meine Praxissemester weiß ich, dass es auch im deutschen Raum derartige Konzepte gibt, die auch gut funktionieren. Sie dauern am Anfang länger, sind aber deutlich nachhaltiger.
Gibt es hier jemanden, der Erfahrungen damit hat und diese sanften Methoden anwendet und mir helfen und mich begleiten kann.
Ich gehe kaputt, wenn ich gegen meine Persönlichkeit Kinder bestrafen muss, weil sie stören, weil sie überfordert oder abgehängt sind. Störungen haben immer ein Grund, sei es auch Desinteresse. Das Problem wird dadurch nicht gelöst. Man bricht sie nur wie ein junges Pferd und vesucht einen eckigen Würfel durch ein rundes Loch zu quetschen bis es passt. Das will ich nicht.
Ich merke im Seminar selber, wie ich unter diesen verbalaggressiven Methoden leide und will das keinem antun müssen sich selber aufzugeben, damit man ins Weltbild eines anderen passt.

Leider wird in meiner aktuellen Schule ein sehr diktatorisches Regime gefahren und jeder SuS der/die sich nicht unterwirft ist spätestens nach 6 Monaten rauseskaliert oder meldet sich freiwillig ab. Die Freude der Lehrer, wenn Problemschüler endlich weg sind oder sich abmelden kotzt mich an und ist für mich unglaublich. Kommentare wie "die ist ja immer noch da" treiben mir die Tränen in die Augen. Man hat mir klar gesagt, dass Schule Diktatur ist. Da bin ich derzeitig an einer Grenze, die ich nicht überschreiten kann/will.

mary87
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Re: Gewaltfreies Klassenmanagement

Beitrag von mary87 »

Hallo,
Ich hoffe nicht, dass ich jetzt verbal aggressiv reagiere, muss aber leider sagen, dass deine Herangehensweise nicht realistisch ist! Klar gibt es Schulen, an denen ein deutlich dominanterer Ton gefahren wird, allerdings bist du ja dann die Ausführende an Ort und Stelle und kannst deine eigene liberalere Herangehensweise einbringen!
Ich finde es leider überheblich davon auszugehen, dass du die einzige bist, die mit einer völlig neuen "gewaltfreien" Art der Kommunikation ankommst. Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Lehrer "gewaltfrei" (--also im Sinne von verbaler Gewalt, physische Gewalt ist ja wohl hier hoffentlich kein Thema?!) agieren!
Warum en siehst du Regeln als "Gewalt" an? Ohne geht's nicht.Und schon gar nicht bei 30 pubertierenden und durchdrehenden Jugendlichen. Da braucht es eine schnelle Beurteilung der Situation und entsprechende Konsequenzen. Da kannst du nicht einen begleiten und dir die Zeit nehmen.Glaubst du, die anderen sind in der Zeit brav?
Ich finde dein Ideal gut, in der Praxis allerdings nicht durchführbar!

sabisteb
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Re: Gewaltfreies Klassenmanagement

Beitrag von sabisteb »

Danke für dein feedback,
aber wie erwähnt gab es in meinem Praxissemester tatsächlich eine Lehrerin, die das so gemacht hat und es hat auch sehr gut funktioniert.
Sie meinte, es kostet am Anfang Zeit, die holt man aber später locker wieder rein. Was man aber bräuchte ist eine Engelsgeduld am Anfang.
Sie hatte damals auch eine entsprechende Fortbildung gemacht.

Illi-Noize
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Re: Gewaltfreies Klassenmanagement

Beitrag von Illi-Noize »

Möglicherweise war diese Kollegin auch schon länger an der Schule... hat man sich mal einen "vernünftigen" Ruf erarbeitet, dann ist die ganze Geschichte deutlich einfacher. Bin jetzt im 7. Jahr an der gleichen Schule... da wissen die Schüler schon ohne mich jemals im Unterricht gehabt zu haben, wo der Hase langläuft. Da kann ich auch mal liberaler an die ganze Sache rangehen...

Qualitätsgarant
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Re: Gewaltfreies Klassenmanagement

Beitrag von Qualitätsgarant »

So ist es. In den ersten Jahren wirst du ohne eine klare Linie, die auch von Sanktionen gedeckt ist, nicht auskommen. Ich selbst habe regelmäßig Schüler zum Nachsitzen oder ähnliches, erlebe aber zu 90%, dass die Schüler selbst verstehen, warum sie diese Konsequenz bekommen haben.

Einfaches Beispiel: Zwei Schüler schwänzen den Unterricht und verbringen ihre Zeit lieber im Aufenthaltsraum. Hier den Schülern hinterherzurennen oder sie davon kommen zu lassen ist fatal, dann hast du in der nächsten Stunde fünf Schüler, die sich dem Unterricht entziehen. Im Tagebuch vermerken, Nachsitzen lassen und ankündigen, dass bei einer weiteren Aktion dieser Art ein Gespräch mit Eltern und Schulleitung ansteht. Fertig.

Ich bin auch kein Fan von Sanktionen, habe aber festgestellt, dass die Schüler für gerechte und transparente Konsequenzen Sympathie empfinden und es umgekehrt gar nicht mögen, wenn man sich benehmen kann, wie man will.

Die Erfahrungen aus dem begleiteten Unterricht sind nicht auf die spätere Realität übertragbar. Mit 25 Stunden pro Woche wirst du nicht jede Stunde wie im Ref vorbereiten können und daher immer wieder Stunden haben, die durch nicht perfekte Organisation Raum für Störungen bieten. Es gibt drei Ebenen, mit denen du die Klasse im Griff hältst. a) Gute Vorbereitung, b) Beziehung, c) Sanktionen. Du wirst alle drei Säulen für eine effiziente Klassenführung benötigen.

krabappel
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Re: Gewaltfreies Klassenmanagement

Beitrag von krabappel »

Hallo,
An welcher Schulart/ Klassenstufe unterrichtest du? Es gibt erhebliche Unterschiede beim Umgang mit Zweit- oder mit Achtklässlern. Es gibt auch Unterschiede zwischen den SchülerInnen. Und es gibt natürlich Unterschiede zwischen einzelnen Kollegen...

Meine Schüler kommen teilweise aus desolaten Verhältnissen, sie sind verbale und physische Gewalt, sowie inkonsequentes Verhalten von zu Hause aufs Gestörteste gewohnt. Dies hat sie zu haltlosen, selbst gewalttätig agierenden Menschen gemacht. Es gibt kaum etwas, was jetzt kontraproduktiver ist, als Gewalt und Inkonsequenz. Brüllende Lehrer, die wütend werden und sich gleichzeitig nicht trauen, irgendeine Maßnahme umzusetzen, hauen in genau diese Kerbe, die die Kids kennen und: diese Kinder selbst sind zudem auf diesem Gebiet Experten. Der GAU ist vorprogrammiert.

Umgekehrt ist freundliches Reden in dem Moment zwecklos, in dem die Kids noch keine Beziehung aufgebaut haben. Sie nehmen den Lehrer buchstäblich nicht war, das soziale Gefüge in der Klasse potenziert sich, sie gehen aufeinander los.

Alle Menschen, besonders verhaltensauffällige Heranwachsende, brauchen zuverlässige Bindungen, erwartbares Verhalten und einen festen Rahmen. Natürlich darf niemand persönlich herabgewürdigt werden. Es kann aber durchaus notwendig sein, einem der sich verhält wie ein Arschloch zu sagen, dass dieses Verhalten in der Schule nicht sozial erwünscht ist. "In diesem Haus wird niemand beleidigt!"
Und wenn es mehrfach vorkommt, dass einer z.B. mit Vergnügen andere an ihren wundesten Punkten packt und fertig macht, ist man als Lehrer geradezu gezwungen, diesen Provokationen Einhalt zu gebieten, um sich, das Kind selbst und alle anderen zu schützen. Es beleidigt in diesem Falle mit vollem Bewusstsein andere- wenn es die Vorgänge auch nicht unbedingt alle verstehen mag. Das Beleidigen passiert mit Absicht, es provoziert, um Reaktionen zu erwirken.
Es MUSS also jetzt einer da sein, der die Gruppe anführt, die anderen schützt und dem, der wiederholt beleidigt, verdeutlicht: wenn du dein Verhalten nicht unseren sozialen Normen anpasst, musst du die angekündigten unangenehmen Konsequenzen tragen. Das Kind erwartet eine Reaktion.

Zu Hause gäbe es Dresche und weitere Beleidigungen etc... oder plötzlich Süßigkeiten/ Bargeld "hol dir was und bleib lange in der Stadt".
In der Schule lässt sich die Vorbildperson im Idealfall nicht aus der Reserve locken, verhält sich aber zu 100% erwartbar und setzt die Gruppenregeln durch. Wenn ein Lehrer in einer schwierigen Klasse nicht ständig präsent ist und die Erwartungen durchsetzt, hat er/sie verloren. Dass es da verschiedene Wege gibt ist klar und muss jeder nach seiner Persönlichkeit herausfinden. Das dauert Jahre und Tips sind wenig zielführend.

Jania85
Beiträge: 65
Registriert: 21.11.2015, 15:43:18

Re: Gewaltfreies Klassenmanagement

Beitrag von Jania85 »

ich muss dir gestehen, ich dachte anfangs wie du und bin bei meiner 5.klasse total auf die Nase gefallen, bei den größeren ab 8.Klasse kein Problem. Jetzt kommen die Schüler regelmäßig zur Nacharbeit und bekommen Einträge ins Tagebuch und ich rufe auch die Eltern häufig an. Es kostet Zeit, aber der Unterricht wird besser. Die Schüler mögen eine Konsequente Art mit Sanktionen lieber, als nur das liebevolle Dudu.
So habe ich sogar die Problemklasse der ganzen Schule in den Griff bekommen. Man muss sich erst seinen Stand erarbeiten, ist leider so, anfangs dachte ich auch es geht anders.

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