Redeanteil

Habt ihr Fragen speziell an Ehemalige? Einige Junglehrer, die auch in der Referendarsbetreuung tätig sind, versuchen euch zu helfen.
lisamaus
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Registriert: 03.08.2008, 17:36:57

Redeanteil

Beitrag von lisamaus »

Hallo ihr erfahrenen Lehrer und Referendare,

ich hätte eine irgendwie banale Frage, mit der ich meinem Seminarlehrer ungern auf die Nerven gehen möchte:

Was ist so schlimm an einem hohen Redeanteil? Mir wird eben dieser in den Stunden angekreidet, aber irgendwie ohne sinnvolle Begründung.

Versteht mich nicht falsch, eine Menge der Verbesserungsvorschläge kann ich sehr gut nachvollziehen und werde versuchen diese auch umzusetzen. Aber ich verstehe einfach nicht was der Unterschied ist, ob ich etwas erkläre, oder ob irgendein Schüler, der glücklicherweise vielleicht schon etwas mehr weiß da vor sich hin "gatzt". Ich meine, ich wüsste, wie ich es erklären würde und denke, dass es ein schlechter Schüler vielleicht besser verstehen würde, wenn ich die Erklärung konkret und am Stück abliefern würde, anstatt in einem Lehrgespräch Stück für Stück am besten mit stummen Impulsen aus den 2-3 leistungsstarken Schülern rauszukitzeln.

Ich bin Lehrer geworden, weil ich gerne komplexe Dinge möglichst einfach erkläre. Und ich denke, dass ich genau das gut kann. Aber jetzt soll ich das nicht mehr machen dürfen???

Vielleicht wisst ihr eine Studie/ein Buch o.ä. woraus klar hervor geht, warum das so ist?

Ich würde mich freuen...
Vier ist bestanden, bestanden ist gut und gut ist fast eine Eins!

Rayanne
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Re: Redeanteil

Beitrag von Rayanne »

eine konkrete Studie hab ich leider nicht, es ergibt sich aber aus den klassischen Lerntheorien:
Selbst Erarbeitetes wird besser behalten, eigene Lösungswege verbal formulieren erhöht die Aktivierung und damit erneut die Behaltensleistung, verschiedenste Kompetenzen werden durch das Selbst-Formulieren geschult und nicht zuletzt ist die Motivation und die Aufmerksamkeit der Schüler höher, wenn sie aktiv in deinen Unterricht eingebunden sind.
Stichworte wären eben Selbsttätigkeit, Motivation, konstruktivistisches Lernen, unter diesen Theorien findest du bestimmt eine Begründung für einen niedrigen Redeanteil bei Lehrern.

Versteh die Kritik deiner Seminarlehrer auch nicht falsch: Ein Lehrervortrag im richtigen Moment ist eine sinnvolle didaktische Unterscheidung. Guter Unterricht wechselt zwischen Instruktion und Konstruktion ab: Als guter Lehrer schaffst du es also, die durch Konstruktion entstandenen Beiträge deiner Schüler zu bündeln und z.B. in ein Tafelbild zu überführen, welches du anschließend nochmal besprichst (Instruktion, alle Schüler wieder auf ein Niveau heben).
Falsch verstanden hast du sicherlich, dass du aus den Antworten der Besten etwas zusammenbasteln sollst. Genau so solls natürlich nicht sein, sondern ein Großteil der Klasse soll mitgenommen werden.

Ein ganz praktisches Argument für einen geringen Redeanteil des Lehrers geb ich dir noch mit: Geb erstmal 23 Stunden, dann wirst du heilfroh sein, so wenig wie möglich reden zu müssen, das ist auf Dauer nämlich sehr anstrengend.

Verzweifel aber nicht: Am Ref-Anfang ist es verdammt schwer, sich selbst zurückzunehmen und Schülerantworten durch Ergänzungen etc. so auszubereiten, dass man das Gefühl hat, man hat jetzt eine sinnvolle Antwort. Da gibts aber verschiedene Methoden, z.B. Antworten von jedem Schüler schriftlich formulieren lassen und die beste wird ins Heft übernommen.
Das lernt man aber mit der Zeit, sich selbst etwas zurückzunehmen und den Schülern mehr Mitgestaltungsmöglichkeiten zu geben.

Lysander
Moderator
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Re: Redeanteil

Beitrag von Lysander »

lisamaus hat geschrieben:Hallo ihr erfahrenen Lehrer und Referendare,

ich hätte eine irgendwie banale Frage, mit der ich meinem Seminarlehrer ungern auf die Nerven gehen möchte:

Was ist so schlimm an einem hohen Redeanteil? Mir wird eben dieser in den Stunden angekreidet, aber irgendwie ohne sinnvolle Begründung.
Die Problematik könnte darin begründet sein, dass Du mit einer sehr eindimensional klingenden Haltung in den Beruf gegangen bist, die sich mit der Praxis nicht vereinbaren lässt.
Gut erklären zu können und zu wollen ist sicherlich eine wünschenswerte Eigenschaft, allerdings sind andere Dinge mitunter wesentlich wichtiger.

Zu Deinem Kerngeschäft zählt es, Lernprozesse anzustoßen, zu begleiten und zu evaluieren. Erklären zu können ist dabei nur EINE von vielen Eigenschaften, die Du als Lehrer haben musst.
Im Rahmen dieser Lernprozesse sollen die Schüler möglichst aktiv und selbstbestimmt arbeiten und lernen.
Ein hoher Redeanteil der Lehrkraft steht dem zum Teil spürbar im Weg.

Überspitzt formuliert: Es mutet arrogant an, wenn man als Fachprofi lieber alles selbst erklärt, weil man es besser kann als seine Schüler. Das kann man ab einem gewissen Punkt sicherlich tun, aber nicht von Anfang an. Darüber hinaus schaffst Du Dir diese Situation, in der Du meinst alles selbst erklären zu müssen, selbst. Du könntest dies mit anderen Unterrichtsformen und -methoden problemlos auf natürliche Weise reduzieren.

Trainieren kannst Du das, indem Du mal lehrerzentrierte und viel öfter schülerzentrierte Stunden planst. Dadurch wird Dir der Unterschied zwischen beiden Varianten deutlich und Du wirst methodisch-didaktisch versierter.

Ansonsten hat Dir Rayanne bereits die weiteren Aspekte und Effekte guten Lernes sehr anschaulich erklärt.

Versteht mich nicht falsch, eine Menge der Verbesserungsvorschläge kann ich sehr gut nachvollziehen und werde versuchen diese auch umzusetzen. Aber ich verstehe einfach nicht was der Unterschied ist, ob ich etwas erkläre, oder ob irgendein Schüler, der glücklicherweise vielleicht schon etwas mehr weiß da vor sich hin "gatzt". Ich meine, ich wüsste, wie ich es erklären würde und denke, dass es ein schlechter Schüler vielleicht besser verstehen würde, wenn ich die Erklärung konkret und am Stück abliefern würde, anstatt in einem Lehrgespräch Stück für Stück am besten mit stummen Impulsen aus den 2-3 leistungsstarken Schülern rauszukitzeln.

Ich bin Lehrer geworden, weil ich gerne komplexe Dinge möglichst einfach erkläre. Und ich denke, dass ich genau das gut kann. Aber jetzt soll ich das nicht mehr machen dürfen???

Vielleicht wisst ihr eine Studie/ein Buch o.ä. woraus klar hervor geht, warum das so ist?

Ich würde mich freuen...[/quote]
Gruß
Lysander

Das beste Argument gegen Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit einem durchschnittlichen Wähler. (W. Churchill)

sillaine
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Re: Redeanteil

Beitrag von sillaine »

Schüler lernen und verstehen Sachen besser, wenn sie es von anderen Schülern erklärt bekommen. Dazu gibt es auch Studien.
Hier z.B. ein Zitat aus einer Zusammenfassung von Forschungsergebnissen zum kooperativen Lernen von der Uni Köln:


Schüler lernen oft stärker, wenn sie ihren Mitschülern zuhören als wenn sie einer
Autorität, wie einem Lehrer, zuhören (Levin, Glass & Meister 1984). Peers haben oft
ein besseres Verständnis für das, was andere Schüler nicht wissen oder was ihnen
Schwierigkeiten bereitet, als Lehrer. Der Fokus liegt auf dem Schüler, nicht auf dem
Lehrer. Zusätzlich dazu, dass man die Verantwortung für das Lernen auf die Schüler
überträgt, bietet Kooperatives Lernen Schülern die Gelegenheit, ihr Wissen zu zeigen,
indem sie anderen helfen.
(Bargh& Schul 1980.

Illi-Noize
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Re: Redeanteil

Beitrag von Illi-Noize »

Das ganze kooperative Gedöns ist bei uns längst wieder out - "Differenzierung" ist aktuell sehr in Mode ;-)

i_ek
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Re: Redeanteil

Beitrag von i_ek »

Da gibts auch das andere Extrem....ich hab immer das Gefühl, ich darf den Schülern gar nichts vorgeben und sie müssen sich alles selber erarbeiten :mrgreen: das ist aber auch nicht machbar, aber wie schon erwähnt muss man sich definitiv von dem Bild des Lehrers als "Wissensvermittler" verabschieden.

Du kannst dazu beispielsweise Helmkes Kriterien für guten Unterricht heranziehen, oder die didaktisch-methodischen Prinzipien aus dem Bldungsplan (so ists zumindest in BW).
Auch kann man einfach mit dem konstruktivistischen Lernbegriff argumentieren...

Mir wurde immer gesagt dass man sogar die Gesprächsführung so oft wie möglich an die Schüler abgeben soll, z.B. dass sich diese gegenseitig aufrufen und aufeinander eingehen, oder Routinen entwickeln (z.B. bei einer Bildbetrachtung), so dass keine Instruktion und Moderation vom Lehrer mehr nötig ist oder ihre erarbeiteten Ergebnisse selbst präsentieren.

Dass alle Schüler beim aktiven, selbstständigen Tun das Ziel erreichen ist natürlich nicht gewährleistet, aber dass es wahrscheinlich sehr viel mehr sind als bei einem Lehrervortrag ist nicht schwer nachzuvollziehen.


P.S.: Hattie fällt mir auch noch ein, der schließt zwar darauf, dass lehrerzentrierter Unterricht einen hohen Effekt fürs Lernen hat, aber mit einem sehr geringen Sprechanteil.

chrisy
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Registriert: 12.11.2009, 18:49:50
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Re: Redeanteil

Beitrag von chrisy »

P.S.: Hattie fällt mir auch noch ein, der schließt zwar darauf, dass lehrerzentrierter Unterricht einen hohen Effekt fürs Lernen hat, aber mit einem sehr geringen Sprechanteil.
Nein, er spricht von Instruktion. Dies ist nicht gleichzusetzen mit lehrerzentriert.
"Das deutsche Schicksal: vor einem Schalter zu stehn. Das deutsche Ideal: hinter einem Schalter zu sitzen."

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