Eltern als billige Laienlehrer

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DiveDevil
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Registriert: 11.03.2006, 18:12:55

Beitrag von DiveDevil »

DAS frag ich mich allerdings auch! Meine Eltern waren auch beide berufstätig. Meine Mutter zwar nur mit ner halben Stelle (Lehrerin am Gymnasium), aber ab und zu war ich - gerade als Grundschüler - früher zu Hause als sie. Na und? wenn man sein Kind einigermaßen selbstständig erzieht, dann kann man es auch mal ne Stunde allein zu Hause lassen.
Was mich übrigens auch an diesem System stören würde: was sagen eigentlich die Kids dazu, wenn sie sich gar nicht mehr über ne ausgefallene Stunde oder Hitzefrei freuen dürfen? Es geht ja nicht um die Vertretung permanent kranker Lehrer, die natürlich nötig ist (dann aber bitte auch von richtigen Lehrern), sondern um reine Beschäftigungstherapie bei einzelnen ausfallenden Stunden, damit die Kinder nur ja nicht zu früh heimkommen...
Was lisi schreibt ist ja außerdem auch die Höhe! Damit die "kleinen" ihren Eltern nicht auf die Nerven gehen können fällt bei den "großen" wichtiger Unterricht aus? So kann's ja wohl echt nicht gedacht sein!

Herbie
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Beitrag von Herbie »

Hallo, Leute!

Ich hatte schon als Referendar das Vergnügen, an einer Schule unterrichten zu dürfen, die sich der Devise „Bei uns fällt kein Unterricht aus.“ verschrieben hatte. Das war schon vor ein paar Jahren in Baden-Württemberg und hatte nichts mit der aktuellen hessischen „Unterrichtsgarantie plus" zu tun.

Da ich als Referendar natürlich nicht so viele Stunden pro Woche zu unterrichten hatte wie die fertigen Lehrer, konnte ich in großem Umfang zu Sondervertretung/-beaufsichtigung eingesetzt (mißbraucht) werden. So habe ich auch zahlreiche Randstunden gestalten dürfen, die andernfalls ausgefallen wären.

Ich selbst empfand das als Zumutung, da ich als Referendar nicht in erster Linie als Löcherstopfer fungieren wollte und mich diese Vertretung zeitweise von meinen eigentlichen Aufgaben abgehalten hat.

Die Schüler freuten sich logischerweise auch nicht. Sie haben nie wirklich verstanden, welcher Sinn hinter den Vertretungsmaßnahmen steckt. Eine zehnte Klasse, die ich eigentlich nicht unterrichtete, hatte mit mir so oft das „Vergnügen“, daß die Schüler über ihre Eltern einen massiven Protest bei der Schulleitung betrieben. Der Protest war nicht gegen mich gerichtet, sondern gegen die Tatsache, daß den Schülern in hohem Maße ein „Scheinunterricht“ geboten wurde, der im Tagebuch als normale Unterrichtstunde vermerkt war, in Wirklichkeit mit Unterricht nicht viel zu tun hatte, auch wenn ich immer im Auftrag von Kollegen irgendwelche Arbeitsblätter mitbrachte.

Kurzum, die Schüler waren in diesen ominösen Vertretungsstunden aufs Abstellgleis gestellt, und niemand soll glauben, sie hätten es nicht bemerkt!

So oder so ähnlich wird es wohl auch in Hessen laufen.

[quote]Der zweifachen Mutter Heike Schowe hingegen kommt es auf eine verläßliche Schule an – auch wenn die Wiesbadenerin dafür selbst einspringen muß. „Ich finde es zwar übertrieben, das Ganze als Unterricht zu verkaufen, aber man kann nicht nur meckern.“ Sie steht auf der Liste des Leibniz-Gymnasiums, hat eine Pädagogik-Fibel gelesen und will die Klassen mit „interessanten Spielen“ beschäftigen.[/quote]
Diese Mutter wird bald bemerken, daß sich die meisten Schüler überhaupt nicht für ihre „interessanten Spiele“ interessieren werden (vor allem ab Mittelstufe). Außerdem: Eine verläßliche Schule ist nicht schlecht, aber wir sollten uns dabei immer fragen, ob wir mit unseren Maßnahmen den Schülern dienen – oder nur ihren berufstätigen Eltern.
Zuletzt geändert von Herbie am 12.05.2012, 9:42:05, insgesamt 1-mal geändert.

Schaf
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Beitrag von Schaf »

Naja, was Hessen da betreibt ist eben nicht NUR Beschäftigung der Schüler, sondern AUCH normaler unterricht. Eine Bekannte hat sich dort beworben. Ausgebildete Grundschullehrerin mit Missio. Nach der lecken sie sich die Finger, weil sie eben unterrichten kann und dennoch, weil sie ja keine feste Stelle sucht, zu einem geringen Gehalt unterrichten könnte.

Das nennt sich Geld sparen und trotzdem Lehrer unterrichten lassen!

Schaf

neuling
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Beitrag von neuling »

da hat koch mal wieder ein populistisch auszuschlachtendes thema entdeckt, mit der er sich profilieren kann, genau so wie damals mit der kampagne gegen die doppelte staatsbürgerschaft. dass das ganze nur augenwischerei ist und nichts mit unterricht zu tun hat, ist doch wohl jedem klar. dass dieser 'laienunterricht' die lehrer und ihre ausbildung vollkommen abwertet, interessiert keinen. wer morgens recht und nachmittags frei hat und dafür noch ein riesengehalt einstreicht und einen unkündbaren job hat, muss das eben abkönnen.

o tempora....

total genervt,
neuling

lisi166
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Registriert: 21.09.2006, 14:55:14

Beitrag von lisi166 »

Was lisi schreibt ist ja außerdem auch die Höhe! Damit die "kleinen" ihren Eltern nicht auf die Nerven gehen können fällt bei den "großen" wichtiger Unterricht aus? So kann's ja wohl echt nicht gedacht sein!

is vll nich an jeder schule so, aber ich habe es selnst schon erleben müssen... zwar kann man uns eher alleine hinsetzten ohne beaufsichtigung und uns dinge zum durch arbeiten geben, aber trotzdem is das nicht der richtige weg, da im 1. teil der nächsten stunde dann das zum durcharbeiten durchgesprochen, teilweise in fächern wie mathe nochmal erklärt werden muss und nochmal zeit verloren geht.....

Tanya
Beiträge: 116
Registriert: 09.01.2006, 6:52:48

Beitrag von Tanya »

Die hessische Unterrichtsgarantie Plus, so heißt diese unsägliche Harlekinade, ist eine große Mogelpackung zwecks Profilierung für die nächsten Wahlen.

Da man eine Vertretungsreserve mit Fachpersonal nicht bezahlen kann oder will, und die meisten Schulen in Hessen mit einer um die 90%igen lächerlich dünnen Personaldecke arbeiten, versucht man, die Eltern zu beruhigen, indem man die Lücken billig stopft.

Die Schulen bekommen ein Budget, das sie für die Einstellung von unausgebildetem Vertretungspersonal verwenden müssen.

Die Probleme liegen auf der Hand:

- Es wird seit Jahren höhere Qualität des Unterrichts gefordert, G8 ist eingeführt, jede Stude zählt, die Lehrer werden zu Fortbildungen verpflichtet (Punktesystem) und es gibt Schulinspektionen. Standards, Standards, Standars!
Gleichzeitig stellt man oben genanntes billiges Personal für Vertretung - auch für Dauervertretung! - ein: wie geht das zusammen???? Wenn jeder, der ein Arbeitsblatt in Händen hat und vor eine Klasse gestellt werden kann, als qualifiziert gilt, wieso macht man den Stammkollegen dann dauernd die Hölle heiß, dass man nicht qualifiziert genug wäre (Fortbildungen, Standards, etc)?

- Die Schulleiter wählen das Personal nach einem Vorstellungsgespräch aus. Es gibt kein weiteres Gremium, de Personalräte sind entmachtet. Dass sich jeder (auch politisch Radikale, Pädophile, Sektenmitglieder etc) in einem Bewerbungsgesprch positiv verkaufen kann, um an die Jobs zu kommen, ist ja wohl einsichtig.

- Die Stammkollegen müssen für die U+ Kräfte Materialien erstellen. Das bedeutet doppelte Arbeit für das Stammkollegium. Oft muss man das dort dann nicht Gelernte mühsam wieder aufholen. Und das bei der Einführung von G8, wo jede Stunde zählt!!

- Referendare werden für U+-Zwecke "verheizt". Statt sinnvollem angeleitetem Unterricht steckt man sie in Klassen in denen Vertretungsbedarf herrscht.

- Der § 86 HSchG ist in seiner bislang geltenden Form die zentrale Norm, um die Qualität der pädagogischen Arbeit an den öffentlichen Schulen in personeller Hinsicht zu gewährleisten. Wer als Lehrkraft an öffentlichen Schulen beschäftigt wird, hat die Verpflichtung zu erziehen, zu unterrichten, zu betreuen und zu beraten. Der Qualitätsmaßstab der dazu erforderlichen Ausbildung wird durch die Vorschrift definiert, dass Personen, denen diese Aufgaben übertragen werden, in der Regel nach einem Staatsexamn und zwei Jahren Referendariat ins Beamtenverhältnis zu berufen sind.
Diese Maßstäbe für die Anforderungen an die Qualität des pädagogischen Personals ergeben sich auch aus Verfassungsnormen und sonstigen Rechtsvorschriften, z. B. dem Recht auf Bildung (Art. 2 Abs. 1 GG), dem Erziehungs- und Bildungsauftrag der hessischen Verfassung (Art. 56 HV) und der durch Verfassung und Ge-setz angeordneten Schulpflicht (Art. 56 HV, § 56 HSchG).
Durch U+ findet eine massive Abwertung unseres Berufsstandes statt: Jeder, der eie Bewerbungsmappe abschickt und ein Gespräch erfolgreich führt, kann dasselbe wie wir, so denkt nun Otto Normalverbraucher. Wozu die ganze Studiererei und das ganze Referendariat? Kann doch offensichtlich jeder auch so!
Kann er wirklich? Ich bezweifele das! Die erfahrungen mit U+ sind bis dato nicht allzu gut. Viele U+ kräfte kündigen reihenweise wegen totaler Überforderung! In vielen U+Klassen herrscht Chaos.

- Brenpunkt- und Förderschulen finden keine U+kräfte, da will keiner hin. Gerechtigkeit? Vertretung für alle Kinder?

- Die Kultusministerin garantiert Fachunterricht ab dem 3. Tag Vetretung. Die meisten U+kräfte können das nicht leisten, da es sich dann nicht nur um einzelne Vertretungsstunden mit vom Stammpersonal vorgefertigten Blättern handeln müsste, sondern um sinnvoll in eine Reihe eingebettete Stunden. Das ist nicht zu leisten.

- Die Aufgabe, den Unterrichtsausfall zu reduzieren, wird zusätzlich durch die Tatsache erschwert, dass immer mehr Schulen nicht nur bei längerfristigen Erkrankungen, sondern sogar zur Abdeckung der Stundentafel keine Lehrkräfte finden können. An den Grundschulen erfolgen die Einstellungen seit einigen Jahren fast nur noch mit befristeten Angestelltenverträgen - dabei braucht gute Schule Kontinuität! Befristete Verträge können kein Anreiz sein, aus einem anderen Bundesland nach Hessen umzuziehen. Im Gegenteil: Hessische Lehrkräfte gehen in ein anderes Bundesland, wo ihnen eine feste Stelle angeboten wird.

- Unausgebildete Leute, die weder die Schülerinnen und Schüler kennen noch überhaupt Erfahrungen mit Schulklassen haben, die nicht in der Thematik bewandert sind: das n reine Betreu­ungschaos, das die mühsam aufgebaute Arbeitsmoral besonders der schwierigeren Klassen wieder zerstört. Das ganze Standard- und Qualitätsgerede wird hier gründlich ad absurdum geführt.

- die tarifrechtliche Bedenklichkeit der U+ Verträge wird derzeit geprüft, da scheint so einiges im Argen.

Nein, dieses ganze Konzept ist eine Augenwischerei und eine billige Methode um mal wieder durch hilflosen Aktionismus an Wählerstimmen zu kommen. Rechtlich, pädagogisch, schulentwicklungstechnisch und bildungspolitisch totaler Quark. Die nächste PISA-Studie in Hessen wird ein Dreifachreinfall werden.

Mahlzeit.

Titania
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Wohnort: Saarland

Beitrag von Titania »

Befristete Verträge können kein Anreiz sein, aus einem anderen Bundesland nach Hessen umzuziehen. Im Gegenteil: Hessische Lehrkräfte gehen in ein anderes Bundesland, wo ihnen eine feste Stelle angeboten wird.
Das kann ich unterschreiben wir sind bereits vier (4) aus demselben Refendariatsjahrgang, die aus Hessen geflohen sind. Und wir waren alle nach 2 Jahren auf Lebenszeit verbeamtet.

Wo zum Teufel steckt in Hessen die Gewerkschaft???? Warum steht keiner auf und protestiert gegen diesen verlogenen Schwachsinn? Ich fürchte, dieser Blödsinn wird auch auf andere Bundesländer überschwappen, wenn die Hessen das widerspruchslos hinnehmen.
Wer nie verliert, hat den Sieg nicht verdient

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