Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

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tignola
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Re: Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

Beitrag von tignola »

Ich habe soeben noch einmal bei Brüning/Saum nachgesehen und unter dem Punkt "Sicherheit und Angstreduzierung" findet man folgende Formulierung:

"Unvorbereitet antworten zu müssen, ruft oftmals Angst hervor. Dies führt nicht selten zu einer Denkblockade. Im Kooperativen Lernen wissen alle, wie viel Zeit sie haben sich auf eine Antwort vorzubereiten. Sie brauchen keine Angst zu haben, während des Nachdenkens gefragt zu werden. Durch den Austausch gewinnen die Schüler Sicherheit und auch Mut sich zu melden."

Das schließt für die Autoren aber offensichtlich nicht aus, auch nach dem Zufallsprinzip Schüler aufzurufen, wofür sie weiter hinten im Buch ein Verfahren (numbered heads) vorstellen.

Stark
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Re: Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

Beitrag von Stark »

Ich sehe das ähnlich wie Valerianus und Co, allerdings mit der Ergänzung, dass es natürlich immer auf die Art und Weise ankommt. Wenn ich einen Schüler aufrufe, der sich nicht gemeldet hat und dabei schon fies grinse und mir die Hände reibe und ihm nach seinem "Weiß nicht!" auch noch einen sarkastischen Spruch drücke, dann ist das das Eine. Wenn ich aber gewohnheitsmäßig verschiedene Schüler einfach so aufrufe und mit Nichtwissen und falschen Antworten aber wertschätzend umgehe, ist das schon etwas Anderes. Wichtig ist, dass die Schüler wissen, dass sie einfach so drankommen können und dass sie nicht fertig gemacht werden, wenn sie dann die richtige Antwort nicht wissen.

Ich sehe das übrigens auch als Vorbereitung auf das richtige Leben. Ja, manche Schüler sind schriftlich besser und im Mündlichen zu schüchtern. Aber die müssen doch auch lernen, dass sie im Leben immer mal wieder auch vor einer Gruppe sprechen müssen oder in unangenehme Situationen kommen können. Wo sollen sie das denn lernen, wenn nicht gerade im Schutzraum Schule?

Übrigens, wenn jemand mit "Weiß nicht" antwortet, frage ich behutsam nach, was er/sie nicht verstanden hat, um herauszufinden, was ich nochmal erklären soll.

Wie immer gilt: Mit der richtigen Beziehung zur Klasse und mit dem richtigen, wertschätzenden Auftreten kann man beinahe alles machen, ohne Schüler bloßzustellen. Bei mir referieren Schüler beispielsweise nach der Rückgabe von Arbeiten (bei freiwilliger Meldung!) über Fehler, die sie gemacht haben und wir besprechen gemeinsam die dazugehörige Regel und verbessern den Fehler. Oder wir legen Aufsätze einzelner Schüler unter die Dokumentenkamera (auch das freiwillig) und besprechen sie Satz für Satz.
Beides (Schülerfeher werden vor der Klasse vorgetragen; Schüleraufsätze werden vor der Klasse verrisssen) habe ich als Schüler sehr negativ erlebt, aber meine Schüler stört es nicht, weil ich darauf achte, dass es konstruktiv und werstschätzend geschieht. In diesen beiden Fällen eben freiwillig, aber man kann auch mit unfreiwillig geäußertem Unverständnis entsprechend konstruktiv und wertschätzend umgehen.

CaraM.
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Re: Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

Beitrag von CaraM. »

tignola hat geschrieben:Ich habe soeben noch einmal bei Brüning/Saum nachgesehen und unter dem Punkt "Sicherheit und Angstreduzierung" findet man folgende Formulierung:

"Unvorbereitet antworten zu müssen, ruft oftmals Angst hervor. Dies führt nicht selten zu einer Denkblockade. Im Kooperativen Lernen wissen alle, wie viel Zeit sie haben sich auf eine Antwort vorzubereiten. Sie brauchen keine Angst zu haben, während des Nachdenkens gefragt zu werden. Durch den Austausch gewinnen die Schüler Sicherheit und auch Mut sich zu melden."

Das schließt für die Autoren aber offensichtlich nicht aus, auch nach dem Zufallsprinzip Schüler aufzurufen, wofür sie weiter hinten im Buch ein Verfahren (numbered heads) vorstellen.
Meine Rede. Also auch dort steht das und ich bekomme dafür hier Prügel, was andere Wissenschaftler bereits vor mir gewusst und veröffentlicht haben.

Außerdem:
Das "numbered heads" bedeutet ja nicht, dass die Autoren sich widersprechen, sondern, dass die SuS nicht unvermittelt zu irgendeiner Frage aufgerufen werden. Sie haben bereits etwas erarbeitet und sich in ihrer Gruppe eventuell rückversichern können. Das stärkt das Selbstbewusstsein und sie trauen sich eher.

Im Übrigen halte ich es für ziemlich verwegen zu sagen, man müsse mehr oder minder die Schüler aufs Leben vorbereiten, indem man sie im Klassenzimmer in eine unangenehme Lage bringt.

Dann könnte man ja auch Kinder prophylaktisch schlagen, weil sie auch im echten Leben überfallen werden könnten.

Ich teile aber die hier geäußerte Ansicht, dass sich ein herzensguter Lehrer, der sich etwas aus seinen SuS macht, der es gut mit ihnen meint, sicher nicht so einen Schaden anrichtet, wenn er einen SoS spontan aufruft, als der Lehrertypus "scharfer Hund", der SuS ihr Unvermögen öffentlich unter die Nase reiben will und sich dabei ganz toll fühlt.

Qualitätsgarant
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Re: Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

Beitrag von Qualitätsgarant »

CaraM. hat geschrieben: Das "numbered heads" bedeutet ja nicht, dass die Autoren sich widersprechen, sondern, dass die SuS nicht unvermittelt zu irgendeiner Frage aufgerufen werden. Sie haben bereits etwas erarbeitet und sich in ihrer Gruppe eventuell rückversichern können. Das stärkt das Selbstbewusstsein und sie trauen sich eher.
Es bedeutet aber auch, dass sie ausschließlich fremde Ergebnisse vortragen können. Für den Anfang mag das ok sein, aber im Laufe des Schuljahres erwarte ich auch eigene Beiträge ohne vorherige Gruppenarbeit.

CaraM.
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Re: Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

Beitrag von CaraM. »

Qualitätsgarant hat geschrieben:
CaraM. hat geschrieben: Das "numbered heads" bedeutet ja nicht, dass die Autoren sich widersprechen, sondern, dass die SuS nicht unvermittelt zu irgendeiner Frage aufgerufen werden. Sie haben bereits etwas erarbeitet und sich in ihrer Gruppe eventuell rückversichern können. Das stärkt das Selbstbewusstsein und sie trauen sich eher.
Es bedeutet aber auch, dass sie ausschließlich fremde Ergebnisse vortragen können. Für den Anfang mag das ok sein, aber im Laufe des Schuljahres erwarte ich auch eigene Beiträge ohne vorherige Gruppenarbeit.
Das ist wohl wahr.

Stark
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Re: Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

Beitrag von Stark »

CaraM. hat geschrieben:
Im Übrigen halte ich es für ziemlich verwegen zu sagen, man müsse mehr oder minder die Schüler aufs Leben vorbereiten, indem man sie im Klassenzimmer in eine unangenehme Lage bringt.

Dann könnte man ja auch Kinder prophylaktisch schlagen, weil sie auch im echten Leben überfallen werden könnten.
Du findest es also verwegen, dass die Schule die Schüler auf das Leben vorbereiten soll? Wie verstehst du denn den Begriff "Bildungs- und Erziehungsauftrag"?
Und du willst also alle unangenehmen Situationen für Schüler vermeiden? Die Situation, Leistung zu erbringen, wenn man keine Lust darauf hat? Die Situation, mit Niederlagen (schlechten Noten) umzugehen? Die Situation, mit Menschen zusammenarbeiten zu müssen, die man vielleicht persönlich nicht mag (Lehrer; Mitschüler in Gruppenarbeiten)? Die Situation, Regeln befolgen zu müssen, die man vielleicht selbst nicht gut findet? Etc.
Es gibt weitaus passendere Beispiele als Schüler zu schlagen. Denn die Situationen, die ich oben angesprochen habe, gehören zum Alltag, wenn man an der Gesellschaft teilhaben will. Ebenso wie die Situation, sich überraschend vor einer Gruppe äußern zu müssen. Überfallen/geschlagen zu werden halte ich im Gegensatz dadurch eher für die Ausnahme. Oder hast du da andere Erfahrungen gemacht?

CaraM.
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Re: Was tun bei "Weiß nicht" als Antwort?

Beitrag von CaraM. »

"Aufs Leben vorbereiten" heißt nicht, gemein und unpädagogisch zu handeln wie man das z.B. in der Schwarzen Pädagogik gemacht hat.
Es heißt, als Lehrer neurobiologische Erkenntnisse nicht zu ignorieren (z.B. Schrecken/Angst/unanagemessene Erziehung führt zu Denkblockaden. Selbst wenn man etwas weiß, ist man nicht in der Lage, die Leere im Kopf zu überwinden)

"Aufs Leben vorbereiten" bedeutet nicht, dass Kind zu bestrafen, um ihm zu zeigen, dass er es nicht weiß oder faul war. (was ja nun aber trotzdem stimmen kann). Also:

Bildungs-und Erziehungsauftrag bedeutet, ein Kind vorzubereiten, mit Situationen umzugehen, in denen er bestehen kann und nicht so eine Antwort wie "Weiß nicht" zu geben. Als LehrerIn habe ich ihn zu führen, d.h.:

Natürliche Konsequenzen seines Handelns folgen lassen, keine künstlichen Situationen erschaffen, in denen ich ihm nur zeige, was er längst schon weiß: "Ich weiß es nicht."

Was für einen Lerngewinn hat er denn aus dem eigenen WIssen des NIchtwissens?

Ich lenke doch damit vom Inhalt ab. Ein SoS wird doch nur in eine weitere Vermeidungsstrategie geführt, damit ich ihn nicht wieder in eine solche Lage bringe. Er soll lernen, nicht Lernen vermeiden.

Vielleicht an einem Beispiel, das hier genannt wurde:

SoS lernt keine Vokabeln. Ich will aber, dass er Vokabeln lernt, da er ja sonst selbst bei guten Ideen nicht in der Lage ist, diese in der nächsten Arbeit auszudrücken.

Zunächst einmal kann man sämtliche Maßnahmen ausreizen. Ich kann mit ihm/ihr sprechen und versuchen zu motivieren, Vokabeln zu lernen, indem ich ihm z.B. Vorschläge mache, wie er das am besten umsetzt. Z.B. Nicht auf einmal alles lernen, sondern jeden Tag lediglich 3 vor dem Schlafengehen auf diese und jene Weise, die ich ihm auftrage...blabla.

Macht er das nicht, kann ich die Eltern mit einbeziehen: Lernen sie jeden Tag 3 Vokabeln von dieser Liste mit ihrem Kind. Wie treffen eine Vereinbarung, dass wir uns gegenseitig im Hausaufgabenheft durch Unterschrift bestätigen, dass dies geschehen und gesehen worden ist.

Garantiert hat bei diesem Vorgehen, der SoS mehr Vokabeln gelernt (selbst wenn er/sie oder die Eltern auch mal einen Abend nicht drei Vokabeln gelernt haben).

Wer hat denn nun den Bildungs-und Erziehungsauftrag besser erfüllt? Eine Lehrperson, die lediglich des spontanen Aufrufens und Vorführens etwas bereits dem SoS Bekannten, dass er/sie die Vokabeln nicht kennt oder hat die Lehrperson mehr erreicht, die Wege zeigt, wie man das Problem bewältigt?

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