Extrem heterogene Klasse

Fragen & Antworten zu didaktischen Problemen, methodische Kniffe für den nächsten Unterrichtsbesuch usw.
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Freak_
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Extrem heterogene Klasse

Beitrag von Freak_ »

Hallo zusammen, ich bin zwar schon lange nicht mehr im Ref, aber da hier ja viele andere mitlesen und -schreiben, frage ich trotzdem mal was.

Mein Problem ist eine extrem heterogene Englisch-Klasse, bei der ich einfach nicht mehr weiß, wie ich den Unterricht gestalten soll.
Einige Schüler haben bereits einen Studienabschluss, teilweise sogar in Fremdsprachen, andere dagegen noch nie Englisch gelernt. Es handelt sich um eine Erzieher-Auszubildenden-Klasse, in der Schüler mit unerschiedlichen Qualifikationen im Alter von 18-48 gesammelt sind. Das Gute ist, dass keiner dieser Schüler eine Abschlussprüfung in Englisch macht, es geht also hauptsächlich darum, sie sinnvoll zu beschäftigen.

Nachdem ich zunächst versucht habe, den normalen Lehrplan durchzuziehen (Bucharbeit mit Texten), habe ich das schnell aufgegeben, da ein Teil der Schüler so gut wie gar nichts versteht (das Buch fängt auf B1 an) und der andere Teil sich zu Tode langweilt, weil sie schon Abitur und teilweise ein Studium haben, für alle Beteiligten als mehr oder weniger frustrierend. Danach habe ich verschiedene Lektüren versucht, Texte unterschiedlichen Niveaus, Sprachspiele, Diskussionsrunden, Grammatikübungen, Erstellen von Materialien für die Ausbildung in der Praxis, Präsentationen usw. usw. Ich bereite immer dreifach vor (einfach, mittel und schwer) und helfe den Schülern dann individuell. Das Ganze ist, wie man sich denken kann, ein enormer Vorbereitungsaufwand, vor allem dafür, dass die Klasse gar nicht geprüft wird und ich noch 7 andere Klassen habe, die ich alle auf Prüfungen vorbereiten muss.

Jede Woche versuche ich, mir etwas Neues auszudenken und wenn ich nachfrage, schlagen die Schüler nur vor, dass sie gern mehr sprechen würden. Im Klassengespräch ist das aber nicht möglich, da viele Schüler ja gar keine Sätze bilden können. Der Vorschlag für Diskussionsrunden untereinander zu verschiedenen Themen wurde zwei Stunden lang angenommen, danach wollten sie das auch nicht mehr. Obwohl ich der Klasse das Problem geschildert habe und sie es ja auch wahrnehmen, scheinen sie unzufrieden zu sein und bei einer kürzlichen Umfrage kamen auch Antworten, dass der Unterricht teilweise "fragwürdig", "sinnlos" usw. sei. (Muss nicht zwangsläufig auf mich bezogen sein, war allgemein gefragt.)

In der Parallelklasse ist das Problem ähnlich, der dort zuständige Kollege stört sich aber nicht daran, zieht den Lehrplan einfach durch und hat einen Duchschnitt von unter 4. Da aber ohnehin keine Prüfung ansteht, möchte ich das nicht so machen, sondern den Schülern noch was einigermaßen Sinnvolles bieten. Vor allem den Stärkeren, die schon sehr gut Englisch können und die, zumindest was der Lehrplan anbietet, "ausgelernt" sind, würde ich gern etwas mehr bieten.

Hat jemand Ideen, wie man das organisieren könnte?
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krabappel
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Re: Extrem heterogene Klasse

Beitrag von krabappel »

Freak_ hat geschrieben:Vor allem den Stärkeren, die schon sehr gut Englisch können und die, zumindest was der Lehrplan anbietet, "ausgelernt" sind, würde ich gern etwas mehr bieten.
Deine Aufgabe ist es, den Lehrplan zu vermitteln. Insofern haben die Schwachen den größten Anspruch auf Hilfe. Die Starken könnten sich ja in Diskussionsrunden austauschen, sehen aber den Sinn so nicht darin. Nachvollziehbar, es fehlt ein konkretes Ziel. Auf der anderen Seite sind sie ja "stark", haben Abi/ Lebenserfahrung etc., sollten also einen eigenen Anspruch entwickeln, in Englisch weiterzukommen. Sonst sind sie emotional nicht viel weiter, als die "Schwachen". Die Frage also an die Starken: Ihr habt noch soundsoviele Stunden Englisch. Was wollt ihr in dieser Zeit lernen?
Können sie z.B. auf irgendeine Weise ein Sprachenzertifikat erwerben?

Vielleicht können die Leistungsstarken auch Filme auf englisch gucken, Romane oder Zeitschriftenartikel lesen (Spotlight o.ä.) und zusammenfassen? Lesen kann nie schaden.

Da es angehende Erzieher sind, sollten sie an entwicklungspsychologischen und pädagogischen Themen interessiert sein. Vielleicht können sie sich mit Fachartikeln in Originalsprache auseinandersetzen und den anderen auf deutsch davon berichten? Freiarbeit, an der sie sich selbständig entlanghangeln können. Dann hast du einmal Vorbereitungsaufwand, anschließend müssen sie selber ausm Knick kommen. (Portfolio erstellen/ eigenes Wörterbuch mit unbekannten Vokabeln anlegen, pro Woche soundsoviele Vokabeln wiederholen...) Sie sollten m.E. wieder Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess in die Hand nehmen :- )

Freak_
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Re: Extrem heterogene Klasse

Beitrag von Freak_ »

Vielen lieben Dank für die schnelle Antwort!

Normalerweise ist es natürlich die Aufgabe, den Lehrplan zu vermitteln. Allerdings führt der ja auch dann zu einem Ziel, also einer Prüfung oder einer Versetzung. Das ist hier aber alles nicht gegeben, es ist also insofern nicht absolut notwendig, dem Lehrplan zu folgen. Und die Schwachen werden auch unter keinen Umständen nur annähernd an dieses Niveau herankommen.
Die mit Abi sind hier eher die jüngeren... An Romanen hatten sie leider wenig Interesse und ich muss mich auch an dem bedienen, was die Schulbücherei hergibt, eher altes Zeug.
Die meiste Lebenserfahrung haben die, die gar kein Englisch können, die sind alle schon über 40. Die sind durchaus motiviert und dieser Teil läuft auch gut und sie nehmen die Übungen dankbar an.

Aber Fachartikel, Sprachzertifikat, wöchentliche Vokabelliste zu Themenbereichen, das sind echt tolle Ideen, die ich umsetzen werde! Vielen lieben Dank!
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Rayanne
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Re: Extrem heterogene Klasse

Beitrag von Rayanne »

Du könntest alternative Unterrichtsformen probieren, z.B.:

Flipped Classroom: Der Lernstoff wird zuhause mithilfe von Arbeitsblättern oder Videos erarbeitet, und in der Schule bist du der individuelle Lernberater für anschließende Übungen. Es gibt dann Pflichtübungen un zusätzliche für die Besseren (die müssen dann natürlich auch Spaß machen). Das funktioniert v.a. bei schriftlichen Aufgaben gut, die du als Lernberater dann mit den einzelnen Schülern durcharbeiten kannst.

Lernen durch Lehren: Lass die Schüler zu ausgewählten Themen Tutorials drehen. Gute Schüler bekommen anspruchsvolle Themen, schlechtere Schüler relativ einfache. Lernzuwachs ist aber bei allen vorhanden.

Ich hatte auch mal am Gym eine äußerst heterogene Klasse aufgrund des Standorts (Professorenkinder vs. Arbeiterkinder), da haben die beiden Möglichkeiten gut funktioniert und der Notenschnitt der Klasse hat sich sogar verbessert. Unambitionierte Schüler nehmen sich bei solchen Unterrichtsformen allerdings auch mal völlig raus, und dafür habe ich noch keine Lösung gefunden - seufz.

krabappel
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Re: Extrem heterogene Klasse

Beitrag von krabappel »

Rayanne hat geschrieben:Unambitionierte Schüler nehmen sich bei solchen Unterrichtsformen allerdings auch mal völlig raus, und dafür habe ich noch keine Lösung gefunden - seufz.
selber schuld. Klingt doch super, wie du das machst!

Naja, wers nach Abitur und in der Lehre dann immer noch nicht kapiert hat, dem ist vielleicht auch nicht zu helfen ; - )

Rayanne
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Re: Extrem heterogene Klasse

Beitrag von Rayanne »

krabappel hat geschrieben:
Rayanne hat geschrieben:Unambitionierte Schüler nehmen sich bei solchen Unterrichtsformen allerdings auch mal völlig raus, und dafür habe ich noch keine Lösung gefunden - seufz.
selber schuld. Klingt doch super, wie du das machst!

Naja, wers nach Abitur und in der Lehre dann immer noch nicht kapiert hat, dem ist vielleicht auch nicht zu helfen ; - )
Ich stimme zu, wenn die Schüler älter sind. Aktuell hab ich die Erfahrung in einer Q12 wieder gemacht, dass 8 Gruppen super gearbeitet haben, eine aber gar nicht - sei es drum, die eine Gruppe ist alt genug.
Ich hab flipped classroom allerdings auch schon in einer 9ten gemacht und da halte ich es für problematischer, wenn 2, 3 Schüler gar nichts mitnehmen. Aber das ist eine andere Diskussion...

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