Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschichten

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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Mariosa
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Registriert: 21.07.2019, 8:47:47

Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschichten

Beitrag von Mariosa »

Liebe Mitforistinnen und -foristen.

Das Referendariat wird in diesem Forum ganz unterschiedlich beurteilt und bewertet. Ich möchte etwas zu dieser Diskussion beitragen. Ich habe mich entschieden, dies in Form zweier kleiner Geschichten zu machen. Hierbei verwende ich die Terminologie eines norddeutschen Bundeslandes ("Mentoren" sind die betreuenden Lehrer an der Schule, die externen Ausbilder und Prüfer sind die "Studienleiter").

Viel Spaß beim Lesen :)


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1. Studienreferendar Rebell beherrscht seinen Unterrichtsstoff fachlich sicher. Er hat Lebens- und Berufserfahrung. Vor dem Eintritt in das Referendariat war er ein Jahr Vertretungslehrer und hat sich dort einen Grundstock an Materialien und Methoden zurechtgelegt, die in vielen Fällen funktionieren. Er arbeitet effektiv und ist dem Lehrerberuf als Persönlichkeit gewachsen. Die Rückmeldungen von Schülern, Eltern und Schulleitung während seiner Zeit als Vertretungslehrer waren positiv.

Die ersten Unterrichtsbesuche von Rebell werden von den Studienleitern sehr kritisch bewertet: Rebell' Methoden entsprechen nicht den am Seminar einflußreichen didaktischen Theorien bzw. nicht den persönlichen Überzeugungen der Studienleiter. Vielleicht spielt es auch eine Rolle, dass einer von Rebell' Studienleitern sich vor zunehmend belastenden Unterrichtssituationen in die Lehrerausbildung geflüchtet hat und den Referendar unbewusst um sein selbstbewusstes und unbefangenes Auftreten und das daraus hervorgehende gute Lehrer-Schüler-Verhältnis beneidet.

Rebell ist von den sehr kritischen Rückmeldungen, die teilweise bis ins Persönliche gehen ("Sie machen schlechten Unterricht") überrascht und verunsichert. Er ist sich sicher, dass die von den Studienleitern (spärlich und auf Nachfrage) genannten didaktischen und methodischen Alternativen bei den jeweiligen Lerngruppen nicht funktionieren würden. Dies führt zu sehr belastenden Gesprächssituationen bei der Nachbereitung der Unterrichtsbesuche. Zudem gewinnt Rebell den Eindruck, dass man während der Ausbildungstage am Studienseminar wenig Verwertbares lernt.

Rebell fühlt sich überlastet, da er seinen Vorbereitungsaufwand für die Unterrichtsbesuche und Methodenstunden stark erhöht, um sich zu verbessern. Er empfindet die Situation auch als psychisch belastend, denkt an den Abbruch seines Referendariats, doch Kollegen, Mentoren und die Schulleitung bestärken ihn darin, weiterzumachen. Aus Freude am Unterrichten und aus Überzeugung für den Lehrerberuf entscheidet er sich, das Referendariat "durchzuziehen". Rebell besteht die Staatsprüfung mit einer befriedigenden Note und erhält zunächst mehrere befristete Stellen als Vertretungslehrer, bevor er aufgrund des positiven Eindrucks, den er hinterlässt, eine feste Anstellung erhält. Nach dem Referendariat hat Rebell nach seinem eigenen Eindruck eher mehr Zeit für Hobbies, da er den Arbeitsaufwand einer vollen Stelle als besser kalkulierbar und psychisch weniger belastend erlebt als seine Ausbildungssituation.

Heute ist Rebell Oberstudienrat und Familienvater. Er empfindet Freude an seinem Beruf. Neben dem Unterricht, den er nach wie vor gerne (und meistens wohl auch gut) macht, engagiert er sich als Vertretungsplaner und Assistent des stellvertretenden Schulleiters. Schüler und Eltern nehmen Rebell' Unterricht als kompetenzsteigernd wahr. In der Schulgemeinschaft ist er anerkannt und beliebt und wird oft von Eltern um Rat gefragt und viele Klassen fragen an, ob er sie auf Wandertagen, Klassenfahrten usw. begleiten kann. Trotz gelegentlicher Belastungsspitzen hat Rebell den Unterrichtsalltag gut im Griff und fühlt sich auch mit einer vollen Stelle nicht überarbeitet.


2. Studienreferendar Schleimer hat unmittelbar nach dem Abitur ein Lehramtsstudium begonnen. Er hat ein sehr gutes erstes Examen gemacht und ist unmittelbar danach in das Referendariat eingetrten. Schleimer zeichnet sich im Referendariat, wie auch schon während des Studiums, durch eine große Bereitschaft aus, sich die von den Studienleitern (bzw. damals den Professoren) favorisierten didaktischen Ansätze anzueignen und die dazugehörigen Methoden anzuwenden. Hilfreich ist für Schleimer auch, dass er bereits an der Universität mit einem Studienleiter Kontakt hatte und dessen fachdidaktisches Seminar belegt hat.

Die Unterrichtsbesuche bei Schleimer laufen dementsprechend fast durchgehend positiv. Dazu trägt auch bei, dass sich Studienleiter und Referendar menschlich gut verstehen und die Studienleiter aufgrund des aus ihrer Sicht guten Ausbildungsstandes von Schleimer präzise und konstruktive Rückmeldungen geben können. Nur dem Schulleiter fällt während seiner zusätzlichen Hospitationen auf, dass Schleimer (der auch höhere Fehlzeiten hat als Rebell) in überraschenden oder belastenden Unterrichtssituationen mitunter überfordert ist, dann Anzeichen von Stress zeigt und unwirsch, ja im Einzelfall sogar verletzend auf Schüleraussagen reagiert, während Rebell derlei Situationen in der Regel durch einen Scherz entschärfen kann. Der Schulleiter führt dies jedoch auf Schleimer' Unerfahrenheit zurück. Er bemerkt nicht, dass Schleimer, der präzise, aber langsam arbeitet, aufgrund seines Kenntnisstands der vom Studienleiter verlangten Methoden in vorbereiteten Situationen besser als Rebell abschneidet, dass ihm aber die pädagogische und persönliche Sicherheit fehlt, in unbekannten oder überraschenden Situationen angemessen reagieren zu können.

Abgesehen von diesen Situationen empfindet Schleimer das Referendariat zwar als zeitlich anspruchsvoll, insgesamt aber nicht als besonders anstrengend. In der zweiten Staatsprüfung kommen die Studienleiter zu dem Schluss, dass Schleimer eine hervorragende Entwicklung durchgemacht hat. Der Schulleiter schließt sich unter Zurückstellung gewisser Bedenken dieser Beurteilung an. Schleimer besteht die Staatsprüfung mit Auszeichnung und wird sofort Studienrat auf Probe an einem Gymnasium. Ein halbes Jahr später wird er Lebenszeitbeamter. Immer wieder gelingen ihm - auch nach strenger objektiver Bewertung - hervorragende Unterrichtsstunden mit einem großen Lernfortschritt der Klasse.

Heute ist Schleimer aber oft frustriert und fühlt sich mitunter ausgebrannt. Die von ihm im Unterricht verwendeten Methoden werden, so sieht er es, von einigen Lerngruppen mangelhaft erlernt und angewandt. Diese Lerngruppen erzielen nicht den Lernfortschritt, den er sich vorstellt. Das wird auch in den Elterngesprächen so gespiegelt. Oft empfindet er Schüleraussagen als unhöflich und frech. Zudem fühlt Schleimer sich stark überarbeitet. Der Wechsel vom Referendariat zu einer vollen Stelle war für ihn - im Unterschied zu Rebell - mit einer erheblich gesteigerten zeitlichen Belastung verbunden.

Insgesamt ist Schleimer' Berufs- und Lebenszufriedenheit gering. Als eigentlich vorbildlicher Beamter mit Prädikatsexamen fühlt sich Schleimer zunehmend "an der Front verschlissen" und denkt immer häufiger über einen Wechsel in die Lehrerausbildung nach. Um sich hierfür zu empfehlen, übernimmt er unter anderem als Mentor die Betreuung von Referendaren. Dabei achtet er auf höchste Genauigkeit und spricht auch kleinste Mängel schonungslos an.


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Schlusswort des Verfassers: Klar ist, dass Rebell und Schleimer im Rückblick das Referendariat unterschiedlich beurteilen werden. Bildet euch eure Meinung dazu und teilt gerne eure Rückmeldungen mit dem Forum.

Jméno
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Re: Versuch einer Bewertung des Referendariats: Zwei Geschic

Beitrag von Jméno »

Mariosa hat geschrieben:Schlusswort des Verfassers: Klar ist, dass Rebell und Schleimer im Rückblick das Referendariat unterschiedlich beurteilen werden. Bildet euch eure Meinung dazu und teilt gerne eure Rückmeldungen mit dem Forum.
So oder zumindest sehr ähnlich schon einmal gelesen, von daher nicht besonders spannend.

Was mich allerdings an dieser Zusammenstellung – in die ja offensichtlich zumindest ein bisschen Zeit und Mühe geflossen sind – stört, ist, dass ich eine Grundaussage wahrnehme, die man beschreiben könnte als: Wer sein Referendariat nicht als schlimm empfunden hat, war ein Schleimer, der im späteren Berufsleben scheitern muss. Und eben auch umgekehrt: Wer Probleme im Referendariat hat, wird im Wesentlichen von verständnislosen Fachleitern ausgebremst, die schlicht die Genialität des jungen Zöglings nicht zu begreifen imstande waren.

Und das ist so grausam übersimplifizierend, dass es weh tut.
…он је метафора, начин живота, угао гледања на ствари!

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