Landschulen vs. Stadtschulen

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Freigeist
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Landschulen vs. Stadtschulen

Beitrag von Freigeist »

Hallo Leute,

ich bin noch im Ref (BY), war letztes Jahr an einer Stadtschule und aktuell bin ich an einer Landschule. Obwohl die Schülerschaft in der Stadt weitaus "anstrengender" war (was Disziplin, fehlende HA, Lernmotivation usw. angeht), hatte ich mit den Schülern auf zwischenmenschlicher Ebene nie Probleme. Dieses Jahr sieht es leider anders aus.
Die Schüler beschweren sich oft über ihre Noten (z.B. über mündliche Noten "Warum hab ich eine 3 und XY eine 2? Die Fragen waren viel einfacher bei XY.") oder über disziplinarische Maßnahmen (bei Unterrichtsstörungen müssen die SuS an dieser Schule die Hausordnung abschreiben, beim dritten Mal gibt es eine Mitteilung, ob es jetzt sinnvoll ist oder nicht sei dahingestellt). Sie wollen es nie akzeptieren, wollen ständig diskutieren, warum und weshalb etc. Dann erzählen sie alles ihren Eltern, die wollen dann telefonieren (aber nie persönlich in die Sprechstunde kommen) und stellen ihre Kinder immer als Unschuldslämmer dar und sind genauso uneinsichtig bezüglich des Fehlverhaltens ihrer Kinder wie diese selbst.
Langsam bin ich es leid immer wieder dieselben Diskussionen zu führen und mich ständig zu rechtfertigen.
Ich frage mich nun, ob Landschulen generell so sind oder ob die Schüler bei mir nur austesten, da ich ja neu bin? Mit den Kollegen habe ich auch schon geredet. Die Meinung ist geteilt; einige haben aufgehört, Mitteilungen und Verweise zu schicken, es sei denn, es ist was ganz Schlimmes (z.B. Prügelei), weil sie die Diskussionen umgehen möchten. Andere haben aber gar keine Probleme und da wird weder von Schüler-, noch von Elternseite her versucht, sie zu beeinflussen.
Wie sind eure Erfahrungen?

kecks
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Re: Landschulen vs. Stadtschulen

Beitrag von kecks »

die keine probleme haben sind die, die den sus disziplinarmaßnahmen verständlich machen können. das gelingt über vielerlei, vor allem aber über eine gute beziehungsarbeit. manche kollegen greifen die sus als menschen an, statt ihr verhalten zu kritisieren und/oder haben überhaupt probleme, beziehungen aufzubauen, jedes kind als kind erstmal anzunehmen, mag es auch noch so renitent oder dumm oder nervig oder frech oder sonstwas sein.

die notendiskussion gibt es, wenn du sie führst. das kannst du auch lassen. bei refis versuchen manche eltern, was rauszuholen, als schüler hättest du und hätte ich das wohl auch versucht. sieh es sportlich.

mit stadt und land hat das m.e. so gut wie nichts zu tun.

und die kinder sinnloserweise irgendwas abschreiben zu lassen, würde ich mich schlicht weigern/ mir als refi unter der hand was besseres einfallen lassen. lass sie einen comic machen über das thema der stunde. lass sie ein gedicht drüber schreiben. lass sie eine pantomime dazu entwickeln. wie auch immer, lass sie ihr hirn nutzen und nutze logische folgen. häng es nicht an die große glocke, freu dich mit deinen lerngruppen an der darbietung der ergebnisse - die fünf minuten habt ihr immer, aber lies es dir vorher mal durch..., und fertig.
Zuletzt geändert von kecks am 08.02.2019, 17:24:24, insgesamt 1-mal geändert.

tignola
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Re: Landschulen vs. Stadtschulen

Beitrag von tignola »

In meinem (Brandenburger) Kollegenkreis erzählt man von den gleichen Unterschieden, aber in anderer Verteilung. Schüler von dörflicheren oder kleinstädtischen Schulen seien weniger anstrengend sowohl in disziplinarischer Sicht als auch der Tendenz zur Diskussion. Es wird von vielen Kollegen als angenehm empfunden, dass man sich (d.h. auch die Eltern) aus dem Alltag, Vereinsleben und co. kennt und so viele Dinge auch "nebenbei" im netten Beisammensein regeln kann. Je näher man hingegen Richtung Berlin kommt, desto anstrengender wären Schüler (Disziplin) und Eltern (Diskutiererei).

Ich kann das nicht beurteilen. Was ich aber bemerkt habe: Anfangs habe ich mich auf viele Diskussionen mit den Schülern eingelassen und ganz viel Verständnis für ihre Fragen gezeigt, weil ich ihnen unbedingt ganz genau erklären wollte, wie ihre Note zustande kommt. Das wurde von vielen Schülern aber anscheinend missverstanden als "Einladung" zur Diskussion, d.h. es schien der Eindruck entstanden zu sein, man könne über die Note reden und an ihr etwas ändern. Da mir Transparenz wichtig ist, wiegele ich Fragen zu Noten nach wie vor nicht ab. Ich bemühe mich aber, die Sachverhalte knapper zu formulieren und zu vermitteln, dass das Ziel nicht ein Verhandeln über die Note ist, sondern ein Nachvollziehenkönnen auf Schülerseite. Es ist ein Lernprozess. :)

Parsifal
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Re: Landschulen vs. Stadtschulen

Beitrag von Parsifal »

Das kann dir so auch an gutbürgerlicheren Stadtschulen passieren.

Dass die Schüler dagegen protestieren, irgendwas Sinnloses abschreiben zu sollen, kann ich ja noch verstehen- ganz besonders, falls sie das wirklich bei (so gut wie) jeder Unterrichtsstörung machen sollen. Da ist es sicherlich auch wichtig, das pädagogische Maß zu halten und je nach Situation zu entscheiden, wann eine einfache mündliche Ermahnung ausreicht und wann da jemand was abschreiben soll (so du dich nicht traust, dich über diese dumme Regel einfach hinwegzusetzen - was ich in deiner Situation verstehen kann).

Die Diskutiererei der Eltern hingegen würde (auch) mich richtig nerven. Immer vorausgesetzt, dass die sinnlose, aber nun einmal per Konferenzbeschluss vereinbarte (?) Abschreiberei mit pädagogischem Augenmaß eingesetzt wird, würde ich da Diskussionen so gut es eben geht unterbinden. Hierzu würde ich den Eltern (höflich!) klar machen, dass alle ihre Informationen zum Unterrichtsgeschehen aus einer einzigen, sehr stark voreingenommenen Quelle (nämlich ihren Kindern) bestehen, und dass es völlig normal ist, wenn diese erzieherische Maßnahmen nicht befürworten. Dass es aber deine Aufgabe als Lehrkraft ist, für einen geregelten Unterricht zu sorgen, der von X in Situation Y durch das Verhalten Z nicht möglich war. Daher konntest du Verhalten Z nicht tolerieren und hast entsprechend der schulinternen Vereinbarungen veranlasst, dass X die Hausordnung abschreiben müsse. - "Aber X sagt, er habe gar nicht Z!" - Höflich formulieren, dass du im Unterricht anwesend warst, und X sicher nicht wegen nichts ermahnt hast. - "Aber X sagt, Person M würde immer viel mehr Z tun und müsse nichts abschreiben" - Höflich formulieren, dass Ms Verhalten zunächst einmal nichts mit der Frage zu tun hat, ob Xs Verhalten akzeptabel war. Weiterhin hast du Ms Verhalten deutlich anders wahrgenommen. Auch hier mag X eine sehr subjektive Wahrnehmung haben. Dennoch wirst du auf Ms Verhalten in den kommenden Stunden verstärkt achten. "Aber Sie sind der einzige Lehrer, bei dem X so was machen muss." - Den Grund dafür kannst du nicht benennen, da dir das Wissen darüber fehlt, was im Unterricht der anderen Lehrkräfte geschieht*. Du kannst nur sagen, dass es eine schulinterne Regel ist, dass Schüler nach groben Unterrichtsstörungen die Hausordnung abschreiben müssen, dass X in deinem Unterricht den Unterricht mehrfach stark gestört hat und du dich daher an diese Vereinbarung hältst.
Wichtig: Das muss alles höflich wirken. Du willst dir deines Standpunktes sicher, aber nicht herablassend wirken. Sonst läufst du Gefahr, dass die Ablehnung deiner Person durch die Eltern wächst und schlimmstenfalls Beschwerden über dich an höherer Stelle eintrudeln. Das möchtest du als Refi natürlich nicht. Evtl. proaktiv mal über die Beschwerden mit deinem ABB/AKO/wieauchimmerdasbeieuchheißt besprechen.

*(Anmerkung am Rande: guck wie nett, du machst genau das, was du den Eltern vorwirfst NICHT: Nämlich anderer Leute Erziehungsmaßnahmen bewerten, ohne dabei gewesen zu sein. Du bist ein großartiges Vorbild! ;-) )

Und schließlich zu ""Warum hab ich eine 3 und XY eine 2? Die Fragen waren viel einfacher bei XY." Du sprichst nicht mit Schüler A über die Noten von Schüler B. Du kannst ihm aber gern erklären, weshalb er eine 3 hat. (jetzt ein paar Gründe benennen, wenn du richtig auf die Kacke hauen möchtest, mal die Definition einer 3 (und ggf. einer 2) aus dem Schulgesetzt zitieren und zeigen, inwiefern seine Leistung den Anforderungen eben nur "im Allgemeinen" entspricht und nicht "voll entspricht".
Zum zweiten Teil der Mopperei da oben könntest du erwiedern, dass was als leicht oder schwer eingeschätzt werde, sehr subjektiv sei. Was der eine leicht findet, findet der andere schwer und anders herum. Du hast deine Fragen entsprechend der im Schulgesetz definierten Anforderungsbereiche ausgewählt** und somit an alle Schüler ein einheitliches Anspruchsniveau gestellt. Hierbei hast du, liebe/r X, im Allgemeinen passend geantwortet, teilweise aber auch Mängel im Fachwissen/in deinen Analysefähigkeiten/... gezeigt, sodass deine Leistung sehr genau der Definition einer befriedigenden Leistung entspricht.

**was, unter uns, jetzt nicht unbedingt was mit leicht und schwer zu tun hat, natürlich kann man eine AFB1 Frage zu einem Detail oder dem groben Grundgedanken stellen und somit leichter und schwerer; das wissen die SuS so aber nicht, wenn du vorher schon Notendefinitionen zitiert hast glauben sie dir vllt. einfach und ansonsten betonst du eben, dass du auf ein ähnliches Anspruchsniveau bei allen Fragen geachtet hast. Punkt.

Kernbotschaft meines Beitrags: Sei und wirke souverän, aber natürlich immer höflich und freundlich, erkläre deine Noten und Erziehungsmaßnahmen transparent, aber ohne dich auf Diskussionen auf Basis "ich finde aber" einzulassen. Dein Handeln fußt jederzeit auf dem Schulgesetz (und dessen Notendefinition) oder den schulinternen Vereinbarungen, es hat nichts mit dem Schüler persönlich, sondern nur mit dessen gezeigter Leistung oder Verhalten zu tun. Das erklärst du natürlich auch "gerne" den Kindern und deren Eltern, die gern im Schulgesetz oder der Hausordnung/... nachlesen können.

tiger
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Re: Landschulen vs. Stadtschulen

Beitrag von tiger »

Ich verstehe nicht, wieso Kollegen immer wieder Diskussionen um Noten führen (Masochismus?). Noten werden nicht "diskutiert" oder "besprochen", sondern von mir ermittelt, den Schülern mitgeteilt und begründet. Schüler sind gar nicht in der Lage, eine Leistung zu beurteilen, weil sie weder das nötige Fachwissen haben noch das Curriculum kennen und die Beurteilungskriterien nur rudimentär verstehen können. Wenn Eltern kommen und wissen wollen, warum ihr Kind bei mir "nur" eine zwei hat statt einer eins, dann begründe ich ihnen das, aber die Entscheidung ist keine Verhandlungssache und kann ja auch rückwirkend gar nicht geändert werden (es sei denn, das geschieht "im Lichte neuer Erkenntnisse").

Mit Eltern telefoniere ich übrigens nicht, es sei denn, es geht um eine Rücksprache aufgrund eines vorher geführten persönlichen Gesprächs. Wer mit mir reden will, kann zu einem Gespräch in die Schule kommen, zeitlich bin da sehr flexibel, sodass auch Schichtarbeiter, Alleinerziehende usw. ein Zeitfenster finden werden.

Bei Erziehungsmaßnahmen gibt es auch nichts mit den Eltern zu diskutieren. Es gibt klare Regeln; meistens geht es um Regelverstöße, die eindeutig gegen die Hausordnung verstoßen oder andernfalls mit dem gesunden Menschenverstand als Regelverstöße erkennbar sind, und darauf erfolgt eine Sanktion. Weder der Delinquent noch seine Eltern haben da ein Mitspracherecht. Wenn ich zu schnell fahre oder falsch parke, kann ich auch nicht durch Rumlabern und Ausflüchte die Geldstrafe reduzieren. Wenn die Eltern ihre Kinder der Maßnahme entziehen (Nichterscheinen zum Nachsitzen, Nichtanfertigen der Strafarbeit o. ä.), übernimmt bei uns sofort die Schulleitung.

Fazit: Wer zu erkennen gibt, dass er sich seiner Entscheidung nicht sicher ist oder wer dafür bekannt ist, dass man bei ihm durch Verhandeln und Nörgeln eine Verbesserung erreichen kann, der zieht Diskussionen an. Wer selbstbewusst hinter seinen Entscheidungen steht, der hat diese Probleme nicht.

Max_Cohen
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Re: Landschulen vs. Stadtschulen

Beitrag von Max_Cohen »

Tiger: Du unterstellst mal wieder, dass Lehrer im Mittel wüssten, was professionelles Erziehungsverhalten ist und das auch noch umsetzen könnten ;-) Ich kenne sogar sog. "Pädagogik-Lehrer", die überrascht sind, wenn ich ihnen von den (immerhin seit Jahrzehnten bekannten) Forschungsergebnissen zu Erziehungsstilen berichte.

Das beantwortet aber in der Tat die Frage die Themenerstellers: Professionelles Erziehungsverhalten ist der wirksamste Schutz gegen solche (und andere) Auswüchse und wirkt allerorts, aber das muss man bewusst lernen und eintrainieren (siehe z.B. Kiel, Frey, Weiß: Trainingsbuch Klassenführung).

kecks
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Re: Landschulen vs. Stadtschulen

Beitrag von kecks »

nicht mit eltern zu telefonieren zeugt schon von einer gewissen unfähigkeit, gespräche zu führen und/oder von einer selbstherrlichkeit, die an den preußischen obrigkeitsstaat und seine behörden erinnert. du erwartest ernsthaft, dass die leute sich immer frei nehmen, um deine sprechstunde zu besuchen? und dann noch eine betreuung für ihre anderen drei kinder und haustiere suchen, bloß weil du nicht geruhst, zum hörer zu geifen? bei uns würde dich der chef sehr schnell einorden. du dürftest dann sprechstunden am nachmittag bzw. frühen abend anbieten. persönlich.

ein schneller anruf daheim ist oft extrem praktisch und für alle beteiligten sehr hilfreich. ich habe damit nur (!) die allerbesten erfahrungen gemacht.

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