Wozu gibt es Mentoren?

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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tiger
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von tiger »

Doch, doch, wir haben deinen Beitrag sehr gut verstanden:
Hauptschulpauker hat geschrieben:Didaktikvorlesungen anhören, die man als Student selbst bereits gehört - und gehasst hatte.
Soll heißen: Auf die Ergebnisse der empirischen Bildungsforschung und Expertenmeinungen gebe ich nichts - ich weiß alles besser.
Hauptschulpauker hat geschrieben: Welche neue, aktuelle "didaktische Sau" im Seminar gerade durch das Dorf getrieben wird, welche Unterrichtsmethoden gerade "en vogue" - und am Ende geprüft werden - erfährt man nur beiläufig - falls überhaupt.
Eigentlich erfährt man das, wenn man seinen Dienstpflichten gewissenhaft nachkommt, bei Fortbildungen und aus der Lektüre didaktischer Fachzeitschriften. Natürlich nur, wenn man nicht schon im Vorhinein alles besser weiß und zu den Unbelehrbaren zählt.
Hauptschulpauker hat geschrieben:Nun ist man selbst bereits weit weg von den Diskussionen an der Hochschule, hat eine persönliche Unterrichtsweise entwickelt, die aus Ritualen und der Verwendung von Methoden besteht, die nicht dem entspricht, was sich Leute ausdenken, die sich an der Hochschule recht weit weg von pubertierenden und medienüberfrachteten Kids bewegen
Das fasst die oben genannten Punkte noch einmal zusammen. Lebenslanges Lernen ist natürlich nur auf die nachfolgende Generation gemünzt, aber niemals auf einen selbst, gell?
Hauptschulpauker hat geschrieben:Da haben sich nämlich auch schlaue Leute aus den Hochschulen viele Gedanken bei der Entwicklung gemacht.
Welche schlauen "Leute" waren das noch gleich? Leute, die sich "an der Hochschule recht weit weg von pubertierenden und medienüberfrachteten Kids bewegen"? Haben diese "Leute" nun also Ahnung oder nicht?
Hauptschulpauker hat geschrieben:Die Aufgabe des Mentors kann daher gar nicht in (...) der Heranführung an den "modernen Unterricht" liegen.

Danke, jetzt habe ich endlich das "didaktische Trägheitsprinzip" verstanden! Die Unterrichtspraxis ist deswegen so immun gegen Verbesserung, weil die Aufgabe der Mentoren darin liegt, ihren Schützlingen die veralteten Unterrichtsmethoden aus ihrer eigenen Schulzeit zu vermitteln.
Hauptschulpauker hat geschrieben:Als Mentor zeigt man Unterrichtswirklichkeit
Ich bin sprachlos. Guter Unterricht und "Unterrichtswirklichkeit" schließen sich also gegenseitig aus.
Hauptschulpauker hat geschrieben:Hier gehe ich immer davon aus, dass ich mit Menschen zu tun habe, die ein abgeschlossenes Hochschulstudium hinter sich haben
Das dachte ich vor einigen Jahren über alle Lehrer, aber spätestens dieses Forum hat mich eines Besseren belehrt.
Hauptschulpauker hat geschrieben:Den Schuh ziehe ich mir nicht an. Und sicher nicht für die Gegenleistung, die ich erhalte.
Stimmt, als Lehrer, womöglich noch als Beamter, nagt man ja buchstäblich am Hungertuch und kann sich nur mit ein bisschen Glück die Brosamen vom Tisch der Reichen zusammenklauben.

Hauptschulpauker
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Hauptschulpauker »

tiger hat geschrieben:Doch, doch, wir haben deinen Beitrag sehr gut verstanden:
Oh, wir sind schizophren und in der Mehrzahl - eine Tigerhorde ;-)

SCNR
aber nun EOD - weil sinnlos und gespickt von haltlosen Unterstellungen.

BTW: Ich bin nicht an den PISA-Ergebnissen schuld - und meine Schüler schneiden in den Abschlussprüfungen immer überdurchschnittlich ab. WEIL ich Strukturen gebe - die auch durch Schulbücher vermittelt werden.

Stark
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Stark »

Also, vielleicht sollte man mal die Kirche im Dorf lassen.
Ich verstehe Hauptschulpauker nicht so, dass er sagt, er mache alles toll, weil er es schon seit Jahren so mache.
Vielmehr versucht er doch, eine andere Perspektive auf die Rolle des Mentors einzubringen, eben als jemand, der aufgrund der Strukturen gar nicht in der Lage sein kann, die Refs didaktisch auszubilden. Dafür gibt es ja nun auch das Seminar.
Ja, wir haben die Dienstpflicht uns fortzubilden und auf dem aktuellen Stand zu sein. Klingt gut. In der Praxis ist das etwas schwieriger. Viele Fortbildungen, die ich besucht habe, waren einfach Mist, von Leuten, die sich selbst nicht intensiv mit der Forschung zum Thema beschäftigt haben, sondern nur vorne stehen, weil sie mal was Tolles gemacht haben. Fachliteratur kann ich zwar lesen, aber nicht in dem Umfang, um als Experte junge Nachwuchskräfte kompetent auszubilden, denn der Großteil meiner Arbeitszeit geht für andere Dinge drauf. Wäre ich gerne wieder in der geilen Situation, über Jahre hinweg nur die Aufgabe zu haben, neues Wissen anzuhäufen wie damals im Studium? Aber hallo, klar! Aber das geht halt leider nicht mehr.
Also kann ich mich bspw. mit Kompetenzorientierung beschäftigen, mal ne Fortbildung dazu machen und ein paar (wenige) Fachartikel dazu zu lesen. Dann versuche ich das so gut wie möglich in meinem Unterricht umzusetzen, was sicherlich einige Anläufe braucht, bis das so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Nebenbei bereite ich Kurse aufs Abi vor, korrigiere hunderte von Klausuren, berate Schüler und Eltern, nehme aktiv an Konferenzen teil, auf die ich mich vorbereitet habe und engagiere mich in Arbeitsgruppen.
Wer will denn ernsthaft erwarten, dass ich an dieser Stelle einem Ref gut vermitteln kann, wie er seinen Unterricht kompetenzorientiert ausrichtet, wenn ich doch selbt gerade erst daran bastle. Das sollen und müssen die Seminare übernehmen. Ich kann ihm helfen, sich zu organsieren, sich zu strukturieren, mit den Herausforderungen des Alltags klarzukommen etc. Und ich kann ihm vielleicht aus meiner Erfahrung heraus vermitteln, warum das eine oder andere nicht geklappt hat. Die Brücke zur Theorie aus dem Seminar muss er dann schon selber schlagen.
Wer daraus liest, dass man immer nur den gleichen alten Quatsch machen möchte, hat möglicherweise Probleme mit der eigenen Lesekompetenz. Auch dafür gibt es aber Fachartikel und Fortbildungen, wenn man seine Dienstpflicht ernst nimmt.

Max_Cohen
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Max_Cohen »

Stark: Dein Beitrag zeigt die Probleme des Systems, insbesondere mangelhafter Fortbildung, gut auf. Auch in Bezug auf die Kompetenzorientierung möchte ich zustimmen, dass man hier eine sehr weitreichende (und notwendige) Neuausrichtung der Art, über Unterricht und die Ziele von Schulbildung nachzudenken, eingeführt hat, ohne an den Schulen entsprechende Grundlagenarbeit zu leisten.

Der obige Beitrag von Hauptschulpauker transporiert aber meiner (und tigers?) Ansicht nach die an vielen Schulen präsente Botschaft "Forschungsergebnisse, Professionalisierung etc. brauche ich nicht, ich habe langjährige Praxiserfahrung und weiß daher alles besser". Diese Haltung war auch in der Medizin jahrtausendelang zum Schaden der Patienten präsent und stirbt aktuell langsam aus - in Schulen sehe ich das noch nicht.
Nachdem in den ZfsLs/Studienseminaren etc. immer mehr nach professionellen Standards anstatt nach Hörensagen oder Moden gearbeitet wird, muss man sich in so einem komplexen Berufsfeld auch selbst eingestehen können, dass es auch der Referendar ggf. schon besser weiß als der "Praktiker", es nur noch nicht umsetzen kann. Wenn man dann auf einen Mentor/Ausbildungslehrer etc. mit einer post- oder kontrafaktischen Haltung oder ein Opfer des Dunning-Kruger-Effekts trifft, dann unterstützt das weiterhin qualitativ minderwertigen Unterricht.

I.Ü. kann ich aber auch neben meiner vollen Stelle mindestens ein Fachbuch pro Monat lesen und arbeite auch bei jedem Referendar, den ich betreue, das öffentlich einsehbare Kern- und Fachseminarcurriculum durch. Die zugrundeliegende Fachliteratur kenne ich aber in der Regel.

Stark
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Stark »

Ja nu, Fachliteratur muss ja nun nicht gerade fachdidaktische Literatur sein.
Als Lehrkraft für Deutsch und Englisch gehören dazu neben literatur- und sprachwissenschaftlichter Literatur auch landeskundliche bzw. kulturwissenschaftliche Fachliteratur. Von aktuellen (und nicht aktuellen) literarischen Werken ganz zu schweigen. Und dann habe ich eben nur 41 Stunden/Woche Dienst, meinetwegen gehen wir auf 46 Stunden hoch, um die Ferien rauszurechnen. In dieser Zeit schaffe ich all diese Bereiche nicht, neben dem eigentlichen Kerngeschäft und der Vielzahl anderer Dienstpflichten. Und wenn ich dann die "Fortbildung durch eigenständige Lektüre" in die Freizeit ziehen muss, dann nehme ich mir heraus, das auszuwählen, was für mich von größerem Interesse ist. Und das ist dann die Gegenwartsliteratur. Meine Kollegen, meine Schulleitung und meine Schüler schätzen mich für meine Fachkompetenz auf diesem Gebiet.
Würde ich auch didaktische Literatur lesen? Habe ich eine ganze Weile lang gemacht, so nach ca. 5-6 Dienstjahren, um mich auf den neusten Stand zu bringen. Die unpräzise fachdidaktische Terminologie und das mutwillige Ignorieren der Realitäten an den Schulen hat mich nur frustriert, also habe ich es zurückgeschraucht. Jetzt blättere ich den didaktischen Fachzeitschriften, die wir an der Schule abonniert haben und lese die Artikel, die mich interessieren und die auch zielführend sind.

Max_Cohen
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von Max_Cohen »

Stark hat geschrieben: Würde ich auch didaktische Literatur lesen? Habe ich eine ganze Weile lang gemacht, so nach ca. 5-6 Dienstjahren, um mich auf den neusten Stand zu bringen. Die unpräzise fachdidaktische Terminologie und das mutwillige Ignorieren der Realitäten an den Schulen hat mich nur frustriert, also habe ich es zurückgeschraucht. Jetzt blättere ich den didaktischen Fachzeitschriften, die wir an der Schule abonniert haben und lese die Artikel, die mich interessieren und die auch zielführend sind.
Das ist in der Tat ein weiteres Problem: Ich meine damit v.a. die Fachliteratur, die die mittlerweile äußerst umfassenden Forschungsergebnisse der pädagogischen Psychologie vermittelt und für die Schulpraxis nutzbar macht. Aktuell arbeite ich z.B. "Lernschwierigkeiten" von Gold durch. Das hier nebenbei diskutierte Problem kommt dort auch vor (S. 165):
Alle Lehrer waren früher einmal Schüler. Deshalb ist es zu vermuten, dass individuelle Überzeugungen und Werthaltungen über Lehren und Lernen in den eigenen schulischen Erfahrungen ihren Ursprung haben. Umso wichtiger ist, dass eine wissenschaftliche Lehrerbildung diese Einstellungen und Überzeugungen aufgreift, relativiert und modifiziert. Geschieht dies nicht, wird wissenschaftliches zum "schubladisierten" Wissen und wieder beiseitegelegt, sobald die Tür zum Klassenraum geschlossen ist.
Inwiefern es für deine Fächer auch geeignete didaktische Fachliteratur gibt weiß ich nicht, da die Fachdidaktik in Sprachen m.E. eher von Leuten "beforscht" wird, die aufgrund ihres Hintergrunds mit (real-)wissenschaftlichen Standards überhaupt nicht vertraut sind.
Für das Fach Physik gibt es aber die ganz zentrale Frage nach Alltags- und Fehlvorstellungen zu den Lerngegenständen und wie ich diese durch tragfähige fachliche Konzepte ersetze. Das muss man beforschen (und tut das auch), damit man letztlich Lehrerhandreichungen zu geeigneten Strukturierungs- und Unterstützungsmaßnahmen verfassen kann. Die muss man aber selbst lesen und umsetzen, weil es keine Qualitäts- und Wirksamkeitsprüfung für Schulbücher gibt und die Kompetenz der Lehrplankommissionen zwischen den Bundesländern ganz erheblich schwankt - in NRW gibt es z.B. sogar fachliche Fehler im Physiklehrplan sowie mit der Teilchenphysik ein Thema, dass ein durchschnittlicher Physikdoktorand nicht verstehen kann.

tiger
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Re: Wozu gibt es Mentoren?

Beitrag von tiger »

Max_Cohen hat geschrieben:Die muss man aber selbst lesen und umsetzen, weil es keine Qualitäts- und Wirksamkeitsprüfung für Schulbücher gibt und die Kompetenz der Lehrplankommissionen zwischen den Bundesländern ganz erheblich schwankt
Das sind zwei weitere riesige Probleme.

Zu den Schulbüchern: Ich wusste früher nur, dass Schulbücher zugelassen werden müssen, was für mich mit einer Qualitätsprüfung gleichbedeutend war. Dann habe ich mich mit Leuten unterhalten, die für die Zulassung zuständig sind: Dabei geht es z. B. bei naturwissenschaftlichen Lehrbüchern nur darum, ob alle einschlägigen Normen erfüllt sind, also ob etwa die Formeln so gesetzt sind wie vom DIN vorgeschrieben, ob das SI-System verwendet wird usw. Ob das Buch gut ist oder auch nur zum jeweiligen Curriculum passt, ist unerheblich und kein Kriterium.

Zur Kompetenz der Lehrplankommissionen: Die sind manchmal kompetenter, als man beim Lesen der Curricula denkt. Auch mit Mitgliedern dieser Kommissionen habe ich gesprochen und dabei erfahren, dass vieles von dem Unsinn, den man in den Curricula findet, durch die Landespolitik erzwungen wird. Da meldet sich in der Anhörung der Entwurfsfassung im Landtag ein Abgeordneter zu Wort, der weder von Didaktik noch vom Fach Ahnung hat, und vermisst im Curriculum für den Physikleistungskurs "wichtige" technische Anwendungen wie etwa den elektrofotografischen Kopierer. Ist natürlich unsinnig, aber wenn sich dann der Landtag hinter diese Forderung stellt, landet der Kram im Curriculum, wie in diesem konkreten Fall in Niedersachsen geschehen.

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