Leid und Frust an einer deutschen Auslandsschule

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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Auslandslehrerin
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Leid und Frust an einer deutschen Auslandsschule

Beitrag von Auslandslehrerin »

In meinem Beitrag wird es zwar nicht um Leid und Frust im Referendariat gehen, aber ich denke es wird trotzdem vor allem für Referendare und Junglehrer sehr interessant sein, da sich vor allem aus dieser Altersgruppe Viele dazu entschließen, entweder direkt nach dem Ref oder nach ein paar Jahren im Beruf, ins Ausland zu gehen, um dort an einer deutschen Schule zu unterrichten. Ich möchte euch einen ungeschönten Einblick in die Arbeit an einer deutschen Schule im Ausland vermitteln, denn ich denke, dass sehr viele genauso naiv und gutgläubig an die Sache herangehen, wie ich damals und gar nicht wissen, was auf sie zukommen kann.

Ich habe an einer anerkannten deutschen Auslandsschule, die sich sogar „exzellente deutsche Auslandsschule“ nennen durfte, in Mexiko, ungefähr anderthalb Stunden von der Hauptstadt entfernt, unterrichtet. Im Rückblick muss ich sagen, dass ich sehr blauäugig war, denn zum Einen dachte ich: „Da steht deutsche Schule drauf – da ist eine deutsche Schule drin!“ Zum Anderen ließ ich mich durch das „exzellent“ im Namen sowie durch die sehr professionell gestaltete Homepage und ein sympathisch wirkendes Imagevideo auf Youtube täuschen. (Ja, ihr lest recht, die Schule produziert Imagevideos, um Lehrer anzulocken.) Zwar weiß an sich jeder, dass man nichts auf Äußerlichkeiten jeglicher Art geben sollte, aber trotzdem lässt man sich leider nur allzu leicht vom schönen Schein blenden. Um so härter ist es dann in der Realität anzukommen und zu merken, dass eigentlich gar nichts so läuft, wie man es sich vorgestellt hat bzw. wie es einem vermittelt wurde.

Der erste große Fehler war, zu glauben, dass es sich tatsächlich um eine deutsche Schule handelt und ich meine in Deutschland gemachten Erfahrungen hier anwenden könnte. Die Wahrheit ist: Selbst wenn die Schule eine offizielle und anerkannte deutsche Auslandsschule ist, heißt das noch lange nicht, dass das Bildungssystem bzw. -niveau der Schule dem deutschen System oder Bildungsniveau entspricht oder dass die meisten Schüler auch nur halbwegs der deutschen Sprache mächtig sind.

An der Schule, an der ich gearbeitet habe, war es sogar so, dass zirka drei Viertel der Schüler im ganz normalen mexikanischen Bildungssystem integriert waren und Deutsch nur als Fremdsprache (DaF) gelernt haben. Selbst Schüler, die seit der Grundschule an dieser Schule waren und auch seitdem Deutschunterricht erhalten hatten, machten kein Abitur, sondern nach zwölf Jahren ihren normalen mexikanischen Schulabschluss und konnten auf Deutsch am Ende ihrer Schulzeit gerade mal eine Konversation auf A2 Niveau führen. Während es im letzten Schuljahr z.B. knapp 20 Abiturienten gab, haben fast dreimal mehr Schüler ihren mexikanischen Schulabschluss gemacht, den man mit Fug und Recht als sehr viel einfacher bezeichnen kann und den man, zu meiner Verwunderung, auch an einer deutschen Schule problemlos mit äußerst geringen Deutschkenntnisse bestehen kann. Dies zeigt auch, dass für die meisten Schüler und ihre Eltern das Erlernen der deutschen Sprache gar keinen hohen Stellenwert hat und sie sich eher trotz des Deutschunterrichts für die Schule entscheiden und nicht deshalb.
In Guadalajara soll es übrigens noch schlimmer aussehen. Dort gibt es sogar fast gar keine deutschen Muttersprachler und da die mexikanischen Schüler kein annähernd ausreichendes Deutschniveau erreichen, besteht dort noch nicht mal die Möglichkeit Abitur zu machen.
Die Schulleitung an unserer Schule schien den unzureichenden Deutschkenntnissen des Großteils der Schülerschaft ziemlich gleichgültig gegenüberzustehen. Hauptsache es wurden immer mehr Schüler angemeldet, denn die einfache Rechnung lautet: Mehr Schüler = mehr Geld!

Dies führt zu einem weiteren wichtigen Punkt: Deutsche Schulen im Ausland sind nämlich Privatschulen und in den meisten Fällen auch SEHR teuer. Die Eltern investieren sehr viel Geld in die Ausbildung ihrer Kinder und wollen dafür natürlich auch einen dementsprechenden Service. Dass Eltern die Whatsapp-Nummern der Lehrer in ihren Besitz bekommen und diese dann mit Sonderwünschen bombardieren ist keine Seltenheit. Auch, dass Eltern andauernd in die Sprechstunden der Lehrer kommen, um diesen “Vorschläge“ für ihre Unterrichtsgestaltung und Notengebung zu unterbreiten oder versuchen sie dazu zu bringen, Klassenbucheinträge oder Schulverweise wieder zurückzunehmen, ist durchaus üblich.
In solch einem Fall kommt es sehr darauf an, inwieweit die Vorgesetzten hinter einem stehen. Leider sind diese in vielen Fällen mehr daran interessiert, es den Eltern recht zu machen als den Lehrern den Rücken frei zu halten. Es kommt sogar regelmäßig vor, dass Noten nach oben korrigiert werden und Schüler versetzt werden, obwohl sie das ganze Schuljahr über miserable Leistungen erbracht haben. Was hinzu kommt, ist, dass Mexiko eben auch keine Leistungsgesellschaft ist. Wenn die Eltern Geld und gute Kontakte besitzen, sind Noten und erst recht gutes Benehmen ziemlich zweitrangig. Man kann es dort auch mit wenig eigener Leistung sehr weit bringen, denn warum sollte man sich man sich anstrengen, wenn Mami und Papi durch ihren prall gefüllten Geldbeutel sowieso jedes Hindernis aus dem Weg räumen können?! Das wissen die Schüler natürlich und dementsprechend sieht ihre Leistungsbereitschaft und erst recht ihr Verhalten aus.

Ein Punkt, der die meisten Lehrer hier sehr belastet, ist nämlich genau das: Das Verhalten der Schüler im Unterricht. Ich weiß nicht, inwieweit es auch an anderen mexikanischen Schulen normal ist, dass die Schüler ohne Unterlass Privatgespräche im Unterricht führen, aber ich hätte nicht gedacht, dass solch ein Verhalten an einer deutschen Auslandsschule toleriert werden würde – tja, falsch gedacht! Es war in den meisten Klassen nahezu unmöglich ein ruhiges, konzentriertes Arbeitsklima herzustellen und dadurch war es natürlich auch äußerst schwierig auch nur annähernd mit dem Stoff durchzukommen. Die meiste Zeit über habe ich mich gefühlt, wie ein Alleinunterhalter auf einer Party, dem niemand zuhören will. Die Schüler haben während des Unterrichts nicht nur in aller Seelenruhe miteinander geredet, sondern auch gegessen oder sind im Raum umher gelaufen, ohne um Erlaubnis zu fragen. Dieses Verhalten war normal und wurde auch den älteren, erfahreneren Kollegen gegenüber an den Tag gelegt. Als Lehrer war man dort noch mal viel weniger eine Respektsperson als das ohnehin schon in Deutschland oftmals der Fall ist.

Was mich so irritiert hat, war vor allem, dass dieses Benehmen als völlig selbstverständlich durchgehen gelassen wurde. Es wurde von Seiten der Schulleitung noch nicht mal der Versuch unternommen, etwas daran zu ändern. Oftmals wurden diese wirklich massiven und durchgehenden Unterrichtsstörungen eher heruntergespielt oder die Schuld daran wurde gleich ganz den Lehrern gegeben. Nach dem Motto: „Sie müssen den Unterricht eben anpassen und es irgendwie schaffen mit den Schülern zurechtzukommen. Punkt.“ Das man vor allem als ausgebildeter Gymnasiallehrer ohne viel Erfahrung leider sowieso viel zu wenig von Pädagogik versteht, wurde einfach bei Seite gewischt. Es gab sogar Fälle, in denen gerade die Lehrer, die durch ihre Ausbildung am schlechtesten dafür gerüstet waren, in die schlimmsten Klassen gesteckt wurden und mit den schwierigen Schülern dort natürlich total überfordert waren. Eine Kollegin wurde von einem Schüler vor versammelter Klasse als „Puta“ (Nutte, Schlampe) beschimpft. Sogar mit den gravierenden psychischen Störungen einiger Schüler, wie Ritzen und öffentlich geäußerte Gewaltfantasien, wurden die betreffenden Klassenlehrer einfach allein gelassen.

Ihr fragt euch jetzt sicher, warum von der Schulleitung nicht härter durchgegriffen wurde und nicht mehr Schüler mit harten Strafen belegt oder gleich ganz von der Schule geschmissen wurden, aber da sind wir wieder bei der Privatschulproblematik: An einer Privatschule stellt jeder Schüler eine Einnahmequelle dar und da überlegt man es sich lieber doppelt und dreifach, ob man diese wirklich verlieren möchte. Money keeps the world go round.
Außerdem dürft ihr nicht vergessen, dass sich die Schule, an der ich war, in Mexiko befindet und auch, wenn sicherlich jeder weiß, dass die Kriminalitätsrate in diesem Land sehr hoch ist, werdet ihr wohl kaum glauben, dass die Leiterin der Grundschule, nachdem sie sich dazu durchgerungen hatte, einen äußerst respektlosen, unverschämten Jungen der Schule zu verweisen, von dessen Vater eine sehr klare Morddrohung erhalten hat und danach monatelang unterschiedliche Routen mit dem Taxi zur Arbeit gefahren ist, aus Angst dieser Vater könnte seinen Drohungen tatsächlich Taten folgen lassen. In einem Land wie Mexiko sollte man eine Morddrohung auch lieber nicht auf die leichte Schulter nehmen.

Und so wird dann aus dem vermeintlichen Elitegymnasium, als das die Schule sich selbst gerne darstellt, bei genauerer Betrachtung ganz schnell eine Gesamt- oder Gemeinschaftsschule im Brennpunktbezirk einer deutschen Großstadt mit deren Schüler- und Elternklientel man lieber nicht allzu viel zu tun haben möchte. Vermarktungsstrategie und Realität können eben schon sehr weit auseinanderklaffen.

Auch die Abbrecherquote unter den deutschen Lehrer spricht eine deutliche Sprache: Allein in zurückliegenden Schuljahr haben acht (!) Lehrkräfte ihre Zweijahresverträge vorzeitig gekündigt und sind schon nach nur einem Jahr wieder zurückgekehrt. Zwei davon sind sogar schon während des laufenden Schuljahres gegangen, weil die Situation sie so belastet hat und sie es nicht länger ausgehalten haben.

Ich will euch mit diesem Erfahrungsbericht keinesfalls generell davon abhalten, ins Ausland zu gehen (es gibt ja sicherlich auch viele Auslandsschulen, an denen es wesentlich besser klappt, wie es beispielsweise an den Schulen in Mexiko Stadt der Fall sein soll), aber seid euch einfach darüber bewusst, dass man nicht davon ausgehen kann, dass alle deutschen Auslandsschulen das Niveau eines Gymnasiums haben, auch wenn sie es selbst gerne so darstellen. Auch das Sozialverhalten der Schüler und die allgemeine Organisation können schnell zur Belastungsprobe werden, wenn man ausschließlich an einigermaßen normale deutsche Verhältnisse gewöhnt ist. Bei uns an der Schule waren selbst altgediente Haupt- und Gesamtschullehrer äußerst irritiert über die dort herrschende Situation.
Trotzdem bereue ich die Zeit nicht, denn aus Erfahrungen lernt man ja, und zwar vor allem aus den nicht so Schönen. In diesem Sinne wünsche ich allen Referendaren, die jetzt fertig werden gutes Gelingen und dann im Spätsommer eine Arbeitsstelle, an der sie sich wohlfühlen. Macht´s gut!

rossi87
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Re: Leid und Frust an einer deutschen Auslandsschule

Beitrag von rossi87 »

Vielleicht nimmst Du die Ortsinfo aus dem Beitrag, es ist nämlich kinderleicht möglich, Deine Schule herauszufinden.

Growl
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Re: Leid und Frust an einer deutschen Auslandsschule

Beitrag von Growl »

Hallo Auslandslehrerin,

Danke für deinen Bericht. Leider hört man nur sehr wenig über die Auslandsschulen, die aber für viele (auch für mich) eine Art Sehnsuchtsort sind.
Vielleicht finden sich ja noch andere, die darüber berichten können und deine Meinung unterstützen oder ihr widersprechen. Wäre sehr interessant!
NRW GYM D/L/kR

krabappel
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Re: Leid und Frust an einer deutschen Auslandsschule

Beitrag von krabappel »

Hallo du Arme, das klingt nach einem furchtbaren Jahr!

Vielleicht muss man aber auch differenzieren, Schulen mit Schulleiter, der sich nicht durchsetzen kann, gibt es auch in Alemannia ;-)

Ich kenne eine dt. Schule (in Europa) etwas besser von innen- Disziplinprobleme hatten die nicht. Eher Frustprobleme: dort waren viele Kinder ohne deutsche Muttersprache, viele mochten die Sprache nicht. Ihre Eltern nutzten die private Schule als teuer erkaufte Möglichkeit, ihre Kinder ohne Migranten zu beschulen...

Und ich kenne jemand, der an einer ganz kleinen Schule auf einem anderen Kontinent arbeitet und super glücklich über das nette Team und die guten Arbeitsbedingungen ist.

ielleicht sind deutsche Schulen tatsächlich ein spezielles Pflaster, einfach schon deswegen, weil sie ordentlich Geld kosten? Aber ob sie alle gemeinsam repräsentativ für irgendwas sind? ich weiß nicht. Ich denke Schulen sind immer so gut, wie ihre Schulleitung.

nrw31
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Re: Leid und Frust an einer deutschen Auslandsschule

Beitrag von nrw31 »

rossi87 hat geschrieben:Vielleicht nimmst Du die Ortsinfo aus dem Beitrag, es ist nämlich kinderleicht möglich, Deine Schule herauszufinden.
Nun ja, ich denke, der Beitrag wurde ganz bewusst so verfasst, eben damit man die Schule klar herausfindet, die Person arbeitet dort ja auch nicht mehr und möchte ganz gezielt ihre Sicht der Dinge darlegen und auf die potentiellen Missstände aufmerksam machen. Die Schule soll eben nicht anonym bleiben, auch wenn der Name nicht genannt wird.

Recherchiert man kurz über Google trifft man nämlich auf einen anderen öffentlichen Diskussionsfaden in den Weiten des Netzes wo der Name der Schule enthalten ist und in dem zum Teil auch Lehrkräfte mit Klarnamen diskutieren und auch die Schulleitung namentlich kritisiert wird etc.

Die Öffentlichkeit ist hier also bewußt gewählt, offensichtlich gibt es da seit längerem Konflikte und die Beteiligten tragen das bewußt in die Netzöffentlichkeit.

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