Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
IrrwitzHoch10
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Re: Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Beitrag von IrrwitzHoch10 »

Hallo hans_Unfrei,
hans_Unfrei hat geschrieben: Werden Referendare künstlich schlecht gemacht, weil man Lehrer mit der Fächerkombination nicht braucht? Gibt es da sogar irgendwelche Vorgaben von den Kultusministerien?
Ich glaube nicht, dass es so weit geht. Allenfalls wären das implizite/unbewusste Prozesse, aber im Grunde halte ich von solchen verschwörungstheoretisch anmutenden spekulativen Großerklärungen nicht allzu viel. Im Kleinen mag das hier und da zutreffen, d.h. man bestärkt sich wechselseitig darin, dass der Prüfling absolut und fraglos ungeeignet sei etc.; verdrängt mögliche positive Eindrücke entweder gänzlich oder perspektiviert sie negativ, während dann ebenso geschlossen ein anderer (ist ja hinlänglich bekannt: Es MUSS neben der 1,0 auch immer die 6,0 geben, sonst funktioniert unsere Notengebung nicht) umso höher gehoben wird. Wenn Beurteilungsprozesse unprofessionell/unreflektiert vonstatten gehen und ansich bekannte psychologische Gruppen- u. Bewertungsprozesse unter den Tisch fallen, ist sowas leider eher die Regel.
hans_Unfrei hat geschrieben: Hintergrund: Bei uns sind einige motivierte Referendare (einschließlich mir), bei denen die Chancen auf Planstellen nach dem Ref sehr schlecht sind. Teilweise müssen wir uns an den Haaren herbeigezogene Kritik anhören, die weder sachlich noch sonst irgendwie hilfreich ist. Unterrichtsstunden werden systematisch zerlegt. Auf Fragen bekommt man keine konkreten Antworten.
Alles ist möglich. Ich erlebte ebenso hoch kompetente, sensible und differenziert beurteilende wie völlig konfus und intransparent argumentierende Prüfer. Leider ist die Tendenz meines Erachtens eher diejenige, dass nicht unbedingt bevorzugt die zwischenmenschlichen Top-Leute in solche Prüfer-Positionen rutschen. Ich möchte nicht behaupten, dass alle Prüfer lieber hinter der Klasse sitzen als vor der Klasse stehen, aber umgekehrt ist es wahrscheinlich so, dass leidenschaftliche Lehrende doch eher die "frontale" Variante wählen.

Es wurden ganze Bücher von hoch intelligenten Leuten über ihre miserablen Ref-Erfahrungen geschrieben, glaube mir also: Wir sind nicht allein!

Abschließend: Glaube an dich, lass' dich nicht von unsachlicher Kritik zerlegen und finde einen Weg, die zwischenmenschlichen Defizite der schlechten Prüfer als pädagogische Herausforderung wahrzunehmen. Als kompetenter Lehrender musst du später auch ständig mit herausforderndem und sozial unverträglichem Schülerverhalten verständisvoll umgehen.

Sei überlegen! :-)

Gruß
Irrwitz

sabisteb
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Re: Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Beitrag von sabisteb »

Ähnliches habe ich auch von Referendaren in Geschichte in BW gehört.
a) wenn der Fachleiter nicht eingegriffen hätte, wäre einer durchgefallen wegen eines Formfehlers in den eingereichten Unterlagen, obwohl die Stunde sehr gut lief.
b) Eine didaktische Reduktion, die in den eingereichten Unterlagen lang und ausfühlich erleutert wurde, wurde demjenigen angekreidet.
Während solche Fehler bei Mangelfächern durchgewunken würden.

tiger
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Re: Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Beitrag von tiger »

hans_Unfrei hat geschrieben:Auf Fragen bekommt man keine konkreten Antworten.
Klingt wie ein Schüler, der nicht rafft, dass es ihm nicht hilft, wenn man einfach die Lösung verrät und ihn damit vom selbst-Denken abhält.

IrrwitzHoch10
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Re: Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Beitrag von IrrwitzHoch10 »

tiger hat geschrieben:
hans_Unfrei hat geschrieben:Auf Fragen bekommt man keine konkreten Antworten.
Klingt wie ein Schüler, der nicht rafft, dass es ihm nicht hilft, wenn man einfach die Lösung verrät und ihn damit vom selbst-Denken abhält.
Hallo tiger,

auf welche Weise würdest du denn dem (fiktiven) Schüler begegnen, der die Lösung verraten haben möchte und wie lässt sich die (deine) Reaktion didaktisch begründen?

Gruß
Irrwitz

tiger
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Re: Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Beitrag von tiger »

Zunächst muss dem Schüler klar sein, dass nicht das Ergebnis relevant ist, sondern der (argumentative) Weg dahin: Das Rechenergebnis einer Mathematikaufgabe ist genauso unwichtig wie die korrekte finite Verbform in einem französischen Lückentext oder eine Vorhersage, wie ein chemisches Experiment ausgehen wird. Diese "Lösungen" gelten ja nur jeweils für den vorliegenden Spezialfall. Kann ein Schüler begründen, warum genau diese Antwort die richtige ist und alle anderen Optionen ausscheiden, dann kommt er hingegen mit allen ähnlich gelagerten Problemen zurecht und nicht nur mit dem konkret vorliegenden Fall.

Praktisch arbeite ich im Unterricht u. a. mit Methoden des Scaffolding und speziell im Mathematikunterricht mit Pólyas Problemlösekonzept aus How to Solve it: Worum geht es überhaupt, welche Informationen hast du, mit welchen ähnlichen Fragestellungen hast du dich bereits beschäftigt, welche grundlegenden Strategien hast du dort angewendet, wie kann dir das beim vorliegenden Problem weiterhelfen und schließlich: Wie kannst du deine Antwort überprüfen? Ist die Antwort vollständig, oder kannst du noch weitere Aussagen treffen? Gibt es einen alternativen Lösungsweg, eine alternative Begründung? Gibt es einen schnelleren Lösungsweg? Kannst du deine Lösung verallgemeinern?

IrrwitzHoch10
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Re: Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Beitrag von IrrwitzHoch10 »

tiger hat geschrieben:Zunächst muss dem Schüler klar sein, dass nicht das Ergebnis relevant ist, sondern der (argumentative) Weg dahin:
Danke für die ausführliche Antwort.

Wärst du demnach bereit, auch außerhalb des Klassenzimmers einem vermeintlich zu direkt Fragenden (nehmen wir mal das Forum hier als Beispiel) zu verdeutlichen, weshalb der (Lern-)Prozess (respektive Argumentation) und nicht die Antwort eigentliches Ziel ist? Das didaktische Rüstzeug hierfür scheint offensichtlich vorhanden.

Besten Gruß
Irrwitz

tiger
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Re: Werden Referendare "künstlich schlecht" gemacht?

Beitrag von tiger »

Ich verstehe das Anliegen nicht, beantworte aber die enthaltene Frage:

Beispiel Mathematik: Die Antwort ("Herr Meier benötigt 78 Fliesen, um den Fußboden seines Badezimmers damit auszulegen") ist irrelevant, weil die Situation fiktiv ist: Herr Meier, sein Bad und die Fliesen existieren nicht; die Schüler haben auch gar nicht vor, ein Badezimmer zu fliesen oder jemandem dabei zu helfen. Die Antwort als Rechenergebnis ist ebenso irrelevant, weil sie lediglich für dieses spezifische Problem zutrifft. Wichtig sind hingegen die Stufen des Problemlöseprozesses: Welche Informationen habe ich? Wie hängen diese Informationen mit der Fragestellung zusammen? Welche Informationen sind unwichtig, welche muss ich mir zusätzlich beschaffen? Wie kann ich das Ergebnis auf Richtigkeit überprüfen? Mit diesen Überlegungen lässt sich gleich eine ganze Klasse von Problemen lösen.

Beispiel Fremdsprache: Die Schüler sollen in einem englischen Lückentext finite Verbformen im Indikativ oder Subjunktiv einsetzen. Sagt man an einem Schüler, dass an einer bestimmten Stelle "were" zu stehen habe, hat der Schüler zwar die Aufgabe erledigt ("Fülle die Lücken mit der passenden Verbform"), aber er hat nicht verstanden, warum "were" die richtige Lösung ist und wird in ähnlichen Situationen nicht in der Lage sein, die korrekte Verbform zu bestimmen.

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