Das Referendariat ist überflüssig

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Antworten
Phaon
Beiträge: 51
Registriert: 25.02.2015, 21:21:42

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von Phaon »

Während meines Lehramts-Studiums habe ich ebenfalls sehr viel gelernt. Nur eben leider nahezu nichts, was mir im Lehrerberuf nützlich gewesen wäre. Von den fachlichen Inhalten habe ich in zwei Jahren Referendariat ca. 5-10% (großzügig geschätzt) - in stark vereinfachender und teilweise auch verfälschender Art und Weise - anwenden können. Und das auch nur in der Oberstufe. Die restlichen 90-95% der Inhalte dienten lediglich als "Absicherung", um vor Schülern fachliche Kompetenz auszustrahlen bzw. um "vorne sicher stehen" zu können. Rückfragen der Schüler zu bestimmten Punkten bzw. ein Interesse an tiefgreifenderen fachlichen Fragestellungen habe ich leider niemals bemerkt, weshalb auch das Argument "Wenn aber mal ein Schüler genauer nachbohrt..." zu entkräften ist.

Die 5-10% an im Lehrerberuf "verwertbaren" Studiums-Inhalten betreffen natürlich nur die fachlichen Inhalte, und da muss ich sogar zugeben, dass dieses grundlegende Basiswissen nahezu täglich zur Anwendung kam. Das war es dann aber auch schon. Umso verwunderter bin ich über Aussagen wie die folgende: "Ich kann – wie offensichtlich MarlboroMan84 auch – von mir behaupten, im Studium unglaublich viel gelernt zu haben. Ja, auch im Bereich Pädagogik, Didaktik und Psychologie." Anhand der von mir besuchten Veranstaltungen während des Studiums und der Inhalte dieser Veranstaltungen kann ich sogar nachweisen, dass ich in den Bereichen Pädagogik, Didaktik und Psychologie nichts, aber auch gar nichts gelernt habe, was für mich im Umgang mit Schülern nützlich gewesen wäre.

Natürlich hängt das wohl auch stark von der jeweiligen Universität ab, daher sind meine Aussagen nicht allgemeingültig. Pädagogische und psychologische Inhalte standen während meines Studiums schlichtweg nicht auf dem Programm. Bei der Didaktik gab es hingegen zwei Seminare (nämlich genau eins pro Fach in sechs Jahren Studium), in denen allerdings nichts didaktisch, sondern ausschließlich literaturwissenschaftlich gearbeitet wurde.

Häufig hört man auch das Gegenargument, dass man im Studium eben die "Theorie" und während des Vorbereitungsdienstes die "Praxis" lerne. Aber auch das stimmt nicht. In Bezug auf den Lehrerberuf wäre der theoretische Teil nämlich die Theorie des Unterrichtens, des Unterricht-Vorbereitens, der Leistungsmessung, der sozialen Interaktionen mit Schülern, Eltern, etc...: eben der theoretische Hintergrund zu all dem Handwerkszeug, das man im Beruf benötigt. Genau das findet aber an der Universität nicht statt. Es ist ein reines Fachstudium, das völlig an der beruflichen Realität vorbeigeht. Umso absurder, dass man ja ausschließlich auf diesen Beruf hin studiert.

Ich würde daher vorschlagen, dass man den Lehrerberuf vollständig von den Universitäten verbannt und das Studium durch eine praxisnahe, ausbildungsähnliche Form ersetzt, wie das in nahezu allen Ländern außer Deutschland der Fall ist.

Wenn alles so schlecht ist, stellt sich natürlich zwangsläufig die Frage, warum der Studiengang nicht schon längst umstrukturiert wurde. Immerhin wird diese vernichtende Kritik an der Lehrerausbildung seit Jahrzehnten immer und immer wieder vorgebracht. Die Antwort auf diese Frage ist eine reichlich banale: das System funktioniert einfach (noch) zu gut. Der größte Teil der Referendare schafft die Ausbildung und wird später auch Lehrer, viele sind zu diesem Zeitpunkt aber schon verbrannte Seelen. Der Lehrerberuf ist nicht umsonst der Beruf mit der höchsten Burnout- und Frühpensionierungsrate... meilenweit vor Ärzten, Beschäftigten im Strafvollzug und Polizisten. Ich bin froh, dass ich da raus bin.

MarlboroMan84
Beiträge: 657
Registriert: 03.01.2015, 13:59:37

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von MarlboroMan84 »

In den meisten Ländern qualifiziert man sich durch ein rein fachliches Studium für den Lehrerberuf und setzt dann die Lehramtsqualifikation oben drauf.

Der Wechsel zu einer Ausbildung ist ein Schritt knapp 150 Jahre zurück

NotoriousVIK
Beiträge: 21
Registriert: 31.08.2016, 18:45:24

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von NotoriousVIK »

Als erst angehender Referendar kann ich vermutlich nicht viel mitreden und kann nur vom Studium berichten und das auch nur mit dem halbjährigen Schulpraktikum vergleichen, ich hab aber trotzdem paar Punkte anzumerken:
Phaon hat geschrieben:Während meines Lehramts-Studiums habe ich ebenfalls sehr viel gelernt. Nur eben leider nahezu nichts, was mir im Lehrerberuf nützlich gewesen wäre. Von den fachlichen Inhalten habe ich in zwei Jahren Referendariat ca. 5-10% (großzügig geschätzt) - in stark vereinfachender und teilweise auch verfälschender Art und Weise - anwenden können. Und das auch nur in der Oberstufe. Die restlichen 90-95% der Inhalte dienten lediglich als "Absicherung", um vor Schülern fachliche Kompetenz auszustrahlen bzw. um "vorne sicher stehen" zu können. Rückfragen der Schüler zu bestimmten Punkten bzw. ein Interesse an tiefgreifenderen fachlichen Fragestellungen habe ich leider niemals bemerkt, weshalb auch das Argument "Wenn aber mal ein Schüler genauer nachbohrt..." zu entkräften ist.
Im Prakitkum hatte ich die Situation eines etwas schwierigen Schülers, der keine allzu grosse Begeisterung am Matheunterricht zeigte ("Was bringt mir das?"). Allerdings wollte er mir das auch beweisen, indem er versucht hat, bestimmte mathematische Grundlagen zu widerlegen oder auf andere Weise mit Mathematik rumgespielt hat. Beispielweise ging es einmal um die Division durch Null. Und ohne Fachkenntnisse hätte ich ihm nicht zeigen können, wo sein Denkfehler in seiner Argumentation lag. Alles in allem habe ich in ihm ein gewisses Interesse an Mathematik entdeckt, jedoch nicht die Sorte Mathematik, die man an der Schule lernt (die hat ihn angeödet), sondern "echter" Mathematik. Und letzteres lernt man auch nur kennen, wenn man ein echtes Fachstudium ablegt. Ich hab dem Schüler darüber erzählt und ihm gesagt, dass das vielleicht etwas für ihn wäre. Dieser Schüler war meiner Meinung nach sehr intelligent, allerdings gab es bei ihm grosse familiäre Probleme, weswegen er als Problemschüler und Aussenseiter galt.
Ich denke, solche Situationen sind dennoch eine Ausnahme.

Trotzdem bin ich der Meinung, dass das Fachstudium für das Gymnasiale Lehramt etwas zu tief geht. Vor allem, wenn man beachtet, dass das erfolgreiche Bestehen des Examens rein durch fachwissenschaftliche Prüfungen festgelegt wird.
Ich habe wenigstens meine Schwerpunkte im Fachstudium so gelegt, dass sie mir am ehesten etwas bringen. Algebra, Zahlentheorie, Numerik, Stochastik sind die Gebiete, die ich für den Schulgebrauch am nützlichsten finde (neben Ana 1/2 und LA 1/2 natürlich, aber das sind ja die Grundvorlesungen)
Numerik und Stochastik waren an meiner Uni auch Pflicht. Ohne einen Schein in Numerik Stochastik hätte ich nicht für das Examen zugelassen werden können. Leider konnte ich Stochastik nicht ausstehen :)
Und so gut wie jeder Lehramtsstudent liess sich an meiner Uni in Mathe in Numerik und Algebra im Staatsexamen prüfen. Sehr viele auch in Stochastik.
Phaon hat geschrieben: Natürlich hängt das wohl auch stark von der jeweiligen Universität ab, daher sind meine Aussagen nicht allgemeingültig. Pädagogische und psychologische Inhalte standen während meines Studiums schlichtweg nicht auf dem Programm. Bei der Didaktik gab es hingegen zwei Seminare (nämlich genau eins pro Fach in sechs Jahren Studium), in denen allerdings nichts didaktisch, sondern ausschließlich literaturwissenschaftlich gearbeitet wurde.
Das würde ich nicht behaupten. Beide Didaktik Seminare, die ich besucht habe, haben mir sehr geholfen und ich empfand sie als sehr nützlich. Je nach Didaktik Seminar setzt man sich auch mit Themen wie Unterrichtsplanung oder Lernzielen auseinander. Das Problem ist eher, dass man zu wenige davon besuchen musste und dass sie dann, wenn man das dort gelernte braucht, schon zu lange her sind. Ich weiss jetzt nicht mehr viel davon, zum Glück habe ich aber noch das Material von damals, dass ich mir jetzt im Nachhinein noch ansehen kann.
Natürlich steht es einem frei, mehr Didaktik an der Uni zu besuchen, als man muss, aber da der Studienplan schon vollgestopft genug ist, macht das niemand. Und wenn man keinen Schein ablegen muss, sinkt die Bereitschaft, viel zu tun. Vor allem wenn man jede Woche noch 3 Mathezettel rechnen muss...

Ich glaube aber auch, dass in neueren Studienordnungen der Pflichtanteil an Didaktik und Pädagogik erhöht wurde, was ich gut finde.

Zitronenfalter
Beiträge: 1205
Registriert: 05.12.2006, 19:59:54
Wohnort: BaWü
Kontaktdaten:

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von Zitronenfalter »

@ alle außer threadstarter

Schätze, das war nur mal wieder ein Troll...

Von dem hören wir vermutlich nie wieder was. *gähn*

Gruß
Zitro
heiter weiter!

m_schnabel
Beiträge: 5
Registriert: 19.11.2016, 0:19:13

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von m_schnabel »

Ich bin kein Troll, nur weil ich eine extreme Sicht der Dinge habe.
Damit stehe ich nicht alleine da, die meisten Referendare, die ich kenne, halten den so genannten "Vorbereitungsdienst" für überflüssig.
Manche Referendare (die Minderheit) lehnen auch jegliche Kritik am Referendariat ab, so wie hier so manche "alten Hasen".

Problematisch finde ich vor allem:

- Seminarlehrer halten keinen oder nur ganz wenig Unterricht. Daher haben sie verdrehte Vorstellungen von der Realität im Klassenzimmer. (Noch extremer ist es an der Uni. Da hat so mancher Didaktikprofessor noch nie selbst vor einer Klasse gestanden, kennt Unterricht nur aus der eigenen Schulzeit oder von wenigen Hospitationen und reimt sich selbst den Rest aus Büchern zusammen.)
- Nach welchen Kriterien werden Mentoren ausgewählt? So wie es mir vorkommt, machen die das nicht freiwillig. Da sie für die Mehrarbeit keine oder kaum eine Kompensation bekommen, sind sie dementsprechend demotiviert, diesen Zusatzjob zu machen. Manche Mentoren wollen das Mentorat nutzen, um den eigenen Unterricht loszuwerden.
- Haben Seminarlehrer/Fachlehrer und Mentoren unterschiedliche Ansichten vom Unterricht ist der Referendar der Leidtragende, da er den Unterricht entweder falsch oder falsch hält. Hier müssten sich Seminarlehrer und Mentoren besser absprechen bzw. gemeinsame Kriterien entwickeln.
- Oftmals stehen im Referendariat mehr Prüfung und Auslese im Vordergrund. Die eigentliche Ausbildung findet kaum statt.

yestoerty
Beiträge: 875
Registriert: 22.11.2008, 17:15:13
Wohnort: NRW, BK, Eng & EW

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von yestoerty »

Dann mag das vielleicht auch in unterschiedlichen Bundesländer unterschiedlich sein? Von dem was du so beschreibst habe ich nämlich alles gesehen. Meine Fachleiter waren gut und hilfreich und vor allem bei der einen durften wir auch jederzeit in den Unterricht und sie hat auch ihre Reihenplanungen geteilt. Und an der Schule habe ich mir die Ausbildungslehrer selbst gesucht.

Katta
Beiträge: 577
Registriert: 09.06.2005, 15:57:09
Wohnort: NRW

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von Katta »

Es gibt Flachpfeifen, ja. Wie in jedem Job.
Ich habe aber tatsächlich persönlich die Erfahrung gemacht, dass ich viele Dinge, die im Ref an mir kritisiert wurden und die ich damals nicht verstanden habe, inzwischen rückblickend mit der Berufserfahrung viel besser verstehe. Und ich finde die Kriterien auch sehr klar - beobachte aber bei unseren Referendaren auch, dass viele diese einfach nicht richtig verstehen bzw. die für die Referendare eben nicht klar sind... also warum jetzt das Lernziel nicht angemessen war oder warum Schritt x nicht zum Lernziel passte... und zwar nicht, weil sie dafür zu "dumm" wären oder nicht kritikfähig oder sich nicht verbessern wollen... irgendwas fehlt da einfach noch (fast so ein bisschen, als wolle man den time shift im Passive erklären, bevor man jemals die verschiedenen Zeiten besprochen hat...). Eine Lösung habe ich leider gerade auch nicht parat, ich bin erst seit ein, zwei Jahren deutlich näher an der Ausbildung der Referendare dran (und nein, ich bin kein Fachleiter), ist nur eine Beobachtung, die ich gemacht habe.

Antworten