Das Referendariat ist überflüssig

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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Zitronenfalter
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Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von Zitronenfalter »

m_schnabel hat geschrieben:Ja, meine Aussage ist hart.

Das Referendariat wäre sinnvoll, wenn es sich um eine echte (!) Ausbildung handeln würde.
Ausbildung heißt: Schrittweise neues Wissen aufbauen, Fehler machen, aus Fehlern lernen.

Das Referendariat heißt: Fast nichts beigebracht kriegen, 120% fordern und rumnörgeln, wenn nur 50% beim ersten Unterrichtsversuch herauskommen. Dann den Referendaren in eine Schublade einsortieren, von der er kaum mehr rauskommen kann.
Na immerhin bist nicht gleich weg, wie ich vermutet habe...

Es tut mir Leid, dass Du im Ref. keine positiveren Erfahrungen machen kannst / konntest.
Dennoch kannst Du nicht von Deinen Erfahrungen - auch wenn sie hier noch von 10 anderen Leuten bestätigt werden - auf das Gesamtsystem schließen.

Das Referendariat an sich ist wie in nahezu allen anderen Berufen auch: Es gibt gute und weniger gute Lehrer, Referendare, Schulleiter usw. Da hilft alles Jammern nix.

Gut übersteht die Zeit derjenige, der erkennt, was von ihm verlangt wird und versucht, diesen Ansprüchen so gut wie möglich gerecht zu werden. Und das ist auch richtig so. Warum?

Weil es aufgrund der Bandbreite einer möglichen Ausbildung, der Vielfalt der Persönlichkeiten und der Vielzahl von späteren Entwicklungen gar keine eindeutig formulierten Ausbildungsziele in der von Dir geforderten Klarheit geben kann.

"Lehrer" an sich kann man nicht lernen, das Handwerk ja - aber das allein gibt noch keinen guten Lehrer.

Unterer Prämisse, dass jemand sowieso niemand anderem etwas beibringen kann, sondern ihm nur helfen kann, es selbst zu entdecken, rücken Dinge wie die Persönlichkeit, die Fähigkeit Vertrauen aufzubauen und eine gedeihliche Lernatmosphäre zu schaffen, in den Vordergrund.

In einer staatlich organisierten Ausbildung können diese -wichtigen - Dinge aber nur eingeschränkt Berücksichtigung finden, da sie sich einer objektivierbaren Überprüfung, die für alle gelten kann, oftmals entziehen.

Wenn aber alle Kinder eine Schule besuchen sollen, muss ein Ausbildungssystem installiert sein, in dem auch entsprechend viele Lehrkräfte diese Ausbildung durchlaufen können. Wo sollen sie denn auch in der gewünschten Zahl sonst herkommen?

"Lehrer sein" bzw. "Lehrer werden" (natürlich auch Lehrerin) hat viel mit Persönlichkeitsbildung, Werten und Wertschätzung zu tun und ist für die Guten in dem Geschäft ein stetiger Prozess der Neu- und Umorientierung , der niemals abgeschlossen ist.

Insofern ist das Referendariat als Zeit der Persönlichkeitsbildung und dem Erlernen des Handwerks alles andere als überflüssig - es sollte länger dauern und darüber hinaus sollten Coaching und Supervision - wie in vielen anderen mental belasteten Berufen - Selbstverständlichkeiten sein.

Aber auch das Jammern darüber hilft nichts - das Beste aus der vorgefundenen Situation machen - das ist der richtige Weg. Ist übrigens auch ein wertiges Lernziel, das sich lohnt, Kindern zu vermitteln.

Menschen, die darauf warten, dass alles besser wird und bis dahin die Zeit mit Jammern verbringen hat´s wirklich schon genug.

Gruß
Zitro
heiter weiter!

Lukas1981
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Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von Lukas1981 »

Ja, Zitro, ich finde, dass hast du sehr gut auf den Punkt gebracht. Das Problem bei meinem Referendariat war, dass der großteil der Ausbilder das so gar nicht reflektiert hatte, sondern einfach mal von sich auf die Referendare schloss, d.h., es wurde vermittelt, der Referendar müsse einfach eine Kopie des Ausbilders im Unterricht sein, dann sei er gut. Ansonsten war man schlecht.

Ich glaube gar nicht, dass der Großteil meiner Ausbilder dass so mit Absicht gemacht hat - aber sie waren auch von dem Beruf schon zu enttäuscht, ausgebrannt, was auch immer, dass ich im Nachhinein den Eindruck hatte, man wollte gar nicht mehr so viel über sich selbst, den Beruf, etc., nachdenken. Der Referendar war bei mir eher Mittel zur Selbsterhöhung ("endlich kann ich wieder jmd runtermachen", "endlich muss mir wieder jemand zuhören", "endlich kann ich wieder zeigen, dass ich gut/besser bin") und dem Abbarbeiten/Auslassen seiner eigenen Probleme und Launen.

Klar gibt es solche Leute überall. Das große Problem im Referendariat war bei mir die Abhängigkeit von ihnen und den belastenden Umgebungen/Kollegien, in denen solche Leute natürlich leichteres Spiel haben als in einem positiven Arbeitsklima.

IrrwitzHoch10
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Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von IrrwitzHoch10 »

Lukas1981 hat geschrieben: Ich glaube gar nicht, dass der Großteil meiner Ausbilder dass so mit Absicht gemacht hat - aber sie waren auch von dem Beruf schon zu enttäuscht, ausgebrannt, was auch immer,
Hallo Lukas,

es ist einfach so - und das ist keine Einzelmeinung eines frustrierten Gescheiterten, sondern mühsam angelesene Erkenntnis -, dass wir in Deutschland bislang keine flächendeckende (sondern allenfalls partielle) empirische Unterrichtsforschung hatten. Insofern braucht es einen nicht zu wundern, dass jeder einzelne Ausbilder/Ausbilderin sein/ihr eigenes Süppchen kocht und dabei in der Regel den allgemeinen Trends der vorwiegend normativ geprägten allgemeinen Didaktik (d.h. der Lehrmeinung diverser Koryphäen) folgt. Echte qualitative Standards gibt es nicht, weil man diese über Jahrzehnte schlichtweg nicht für notwendig erachtete.

Hinzu kommt leider erschwerend, dass man sich nicht für die Lehrperson und psychologische Hintergrundprozesse des Lehrens und Lernens interessierte, sondern nur für die Oberfläche des Unterrichtsgeschehens: Dasjenige eben, was man sogleich sieht und bewerten kann, wenn man eine Klassenzimmertüre öffnet. Die Folge war ein weitgehend sinnfreier Methodenzirkus in der Lehrerausbildung und eine allgemeine Hilf- und Ratlosigkeit der "praktisch" tätigen Lehrer: Einerseits suggerierte man ihnen von didaktischer Seite stets, dass der sogen. "Frontalunterricht" böse sei, eine echte Alternative bot man jedoch nicht, sondern nur vage Konzepte/Modelle und empirisch nicht untermauerte Behauptungen, was wirklich wirke.

Die Zeiten ändern sich (zum Glück), aber alles braucht seine Zeit und von daher müssen wir wohl noch einige Jährchen warten, bis man endlich auch im Referendariat (ohne Glücksfaktor) gute Ausbildung erhält und auch wirklich das probieren und vertiefen kann, was empirisch inzwischen gut untersucht und erfolgversprechend ist: Direkte Instruktion. Dazu gehört nämlich, dass man sich als Lehrperson kennenlernt, da die Lehrer-Schüler-Interaktion als primäres Element von Unterricht im Vordergrund steht und nicht irgendwelche hochgelobten Methoden, die mit Schlagworten wie "Individualisierung", "Schülerzentrierung" und "Offenheit" usf. schon viel zu lange ihr Unwesen treiben, indem sie - völlig zu Unrecht - bei all jenen Lehrern und Lehrerinnen ein notorisch schlechtes Gewissen erzeugen, bloß weil diese gerade so unterrichten, wie es derzeit in der Berufspraxis einzig sinnvoll machbar ist: Nämlich nach einem unstrukturierten und wissenschaftlich nicht fundierten Konzept der Direkten Instruktion; dafür sind jedoch nicht die Unterrichtenden verantwortlich, sondern eine selbstverliebte deutsche Didaktik-Landschaft, die erst langsam in die Moderne (d.h. empirische Lebenswirklichkeit) finden muss, weil sie gar nicht mehr anders kann.

Das sollte uns immerhin trösten.

Lieben Gruß
Irrwitz

kecks
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Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von kecks »

ich glaube, du hast da ein bisschen zu kurz gegriffen. direkte instruktion ist sicher super, wenn ich jemand einen immer gleichen schematischen ablauf eintrichtern will, z.b. wiederbelebungsmaßnahmen in der ersten hilfe. aber dergleichen ist völlig unbrauchbar, wenn ich schülern beibringen will, selbstständig komplexe probleme anzugehen, woraus aber ihre lebenswirklichkeit besteht und vor allem später in noch stärkerem maße bestehen wird. unsere bildungssysteme bleiben halt nicht bei "mach z, dann p und dann q" stehen, sondern wollen mündige bürger erziehen. direkte instruktion hat, soweit ich weiß, ihre wurzeln nicht umsonst beim militär und dessen boot camps. insofern: für manche kleinere teilbereiche des unterrichts ist direct instruction ne feine sache, aber doch nicht alleinseligmachend?! für meine fächer ist es sogar - abgesehen vom grammatikunterricht der unterstufe, und selbst da würde ich immer mehrere strategien vermitteln wollen, nicht nur schema f - kontraproduktiv.

es gibt keine perfekte methode, keine perfekte didaktik und keine unhinterfragbare pädagogik. nein, auch dann nicht, wenn man die empirischen erkenntnisse durchschaut. unterricht ist kein one size fits all-geschäft.

nix gegen empirie, aber man kann daraus auch eine wissenschaftsreligion machen.

IrrwitzHoch10
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Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von IrrwitzHoch10 »

Hallo kecks,
kecks hat geschrieben:ich glaube, du hast da ein bisschen zu kurz gegriffen. direkte instruktion ist sicher super, wenn ich jemand einen immer gleichen schematischen ablauf eintrichtern will, z.b. wiederbelebungsmaßnahmen in der ersten hilfe. aber dergleichen ist völlig unbrauchbar, wenn ich schülern beibringen will, selbstständig komplexe probleme anzugehen,
Ich empfehle zum Thema einschlägige Lektüre - z.B. Grell und Grell ("Unterrichtsrezepte") -, dann wirst du schnell sehen, dass sinnvoll konzipierte "direkte Instruktion" absolut gar nichts mit einem militärischen Drill-Unterricht zu tun hat: ganz im Gegenteil!

Leider wird hierzulande in der Regel sofort eine negative Assoziation damit verbunden, das ist schon fast ein zwanghafter Reflex, basierend auf jahrelanger Verunglimpfung jeglicher lehrerzentrierten Unterrichtsform - aber das habe ich ja weiter oben ausführlich genug dargelegt.
kecks hat geschrieben: unsere bildungssysteme bleiben halt nicht bei "mach z, dann p und dann q" stehen, sondern wollen mündige bürger erziehen.
Wer erzieht denn die Schüler, irgendwelche ominösen "Bildungssysteme" oder die Lehrpersonen, die täglich vor den Schülern stehen? Deshalb ist es wichtig, dass der Lehrperson die nötigen Kompetenzen vermittelt werden, um mit Lernenden adäquat umzugehen und solche Methoden (nicht unbedingt nur direkte Instruktion) einzusetzen, die in einer konkreten Situation den Lehr-Lernprozess sinnvoll unterstützen. Letztlich gilt: Die Lehrperson ist der entscheidende Faktor, nicht die verwendete Methode; anders formuliert: Ein guter Lehrender wird im Prozess des Lehrens fortwährend die Art und Weise (d.h. Methodik) des Unterrichtens schülerorientiert justieren.
kecks hat geschrieben: direkte instruktion hat, soweit ich weiß, ihre wurzeln nicht umsonst beim militär und dessen boot camps.
Das ist mir neu. Meines Wissens nach stammt das Konzept aus Amerika und wurde dort schon in den 1970er Jahren mit Erfolg im Schulunterricht eingesetzt und evaluiert.
kecks hat geschrieben: es gibt keine perfekte methode, keine perfekte didaktik und keine unhinterfragbare pädagogik. nein, auch dann nicht, wenn man die empirischen erkenntnisse durchschaut. unterricht ist kein one size fits all-geschäft.
Laut Ansicht deutscher Didaktiker war aber viel zu lange durchaus völlig klar, was gar nicht funktioniert - nämlich just das, was die gefürchtete Empirie (nicht erst seit Hattie) als tauglich und praktikabel erwiesen hat: (richtig verstandene) Direkte Instruktion.
kecks hat geschrieben: nix gegen empirie, aber man kann daraus auch eine wissenschaftsreligion machen.
Wie willst du denn wissen, ob und wie dein Unterricht funktioniert, wenn du auf Erfahrungswissen und also wirklichkeitsbezogene Reflexion verzichtest?

Reine intellektuelle Wesensschau in Form ideeller/textueller/begrifflicher Didaktik-Höhenflüge gepaart mit der nicht selten anzutreffenden Ansicht, man sei mit bestandenem Referendariat automatisch allwissender "Profi" seines Faches, dürfte zwar manchem Ego schmeicheln, die unterrichtliche Wirklichkeit jedoch herzlich wenig beeindrucken.

Besten Gruß
Irrwitz

kecks
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Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von kecks »

was denn nun: hattie oder direkte instruktion? und was hat das mit der praxis zu tun, wo ich oben schon sagte, dass freilich direct instruction schon ihren ort hat, wenn man/frau etwas eindrillen will, aber doch nicht als alleinseligmachende methode? letztlich muss ein lehrer vor ort in interaktion und vor allem mit beziehungsbasis zur klasse entscheiden, welche methode zu welchem wie genau didaktisch reduzierten inhalt passt (siehe hattie). das kann mal direct instruction sein, aber doch nicht immer? (was auch völlig klar ist, wenn man ahnung von mehr als einer einzigen fachdidaktik hat?) übrigens bin ich durchaus ein freund lehrerzentrierter unterrichtsformen, gern im wechsel mit schülerzentrierten sachen und freier arbeit. das ergänzt sich alles super. das militärischer drill was negatives ist hast du gesagt. das ist nicht negativ, sondern für manche situationen funktional, z.b. wenn man einen erstehilfe-ablauf einüben will oder den schülern vermitteln möchte, wie man z.b. die satzglieder bestimmt ("tue erst a, dann b, dann c, falls du bei b y festgestellt hast, sonst z usw.") und vor allem für schwächere schüler sehr wichtig, weil die die kognitiven zusammenhänge bestenfalls post durchführung ansatzweise ganz vielleicht ein bisschen verstehen. alles in allem: ich weiß nicht genau, was du sagen möchtest?! du scheinst vage eine art große erzählung zu verfolgen, von der angeblichen verunglimpfung des lehrerzentrierten unterrichts, der jetzt durch direct instruction gerettet werden soll, dank der heiligen empirie, die nun endlich auch in der didaktik angekommen ist? wenn ja, dann ist das ein strohmann ;).

könntest du nochmal deine these auf den punkt formulieren, bestenfalls in einem satz?

IrrwitzHoch10
Beiträge: 47
Registriert: 06.12.2012, 22:41:21

Re: Das Referendariat ist überflüssig

Beitrag von IrrwitzHoch10 »

kecks hat geschrieben:was denn nun: hattie oder direkte instruktion?
Wieso sollte sich hier ein Widerspruch auftun?
kecks hat geschrieben: und was hat das mit der praxis zu tun, wo ich oben schon sagte, dass freilich direct instruction schon ihren ort hat, wenn man/frau etwas eindrillen will, aber doch nicht als alleinseligmachende methode?
Ich weiß nicht, was du unter direkter Instruktion verstehst, aber es scheint jedenfalls nicht dem gängigen Konzept zu entsprechen.
kecks hat geschrieben: das kann mal direct instruction sein, aber doch nicht immer?
Irgendwie muss ein angehender Lehrer in den Beruf finden und sich hierbei an einem gut erprobten und in Sachen Schüler-Lehrer-Interaktion sehr reichhaltigen (aber gleichwohl fordernden) Konzept zu orientieren, kann hier ein Anfang (aber keinesfalls das Ende) sein. Mir wurde dies in der Ausbildung mit dem lapidaren Satz verwehrt, dass antiautoritärer Unterricht nicht mehr zeitgemäß sei. Jegliche sachhaltigen und anhand von Fachliteratur gestützten Erklärungsversuche meinerseits wurden in der Folge als mangelnde Selbstkritik ausgelegt. Bestanden habe ich das Schlamassel am Ende trotzdem irgendwie.
kecks hat geschrieben: das militärischer drill was negatives ist hast du gesagt.
Wo soll ich das gesagt haben?
kecks hat geschrieben: du scheinst vage eine art große erzählung zu verfolgen, von der angeblichen verunglimpfung des lehrerzentrierten unterrichts, der jetzt durch direct instruction gerettet werden soll, dank der heiligen empirie, die nun endlich auch in der didaktik angekommen ist? wenn ja, dann ist das ein strohmann ;).
Die "vage ... art große erählung", wie du es nennst, kannst du gerne bei Helmke in "Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität" in aller Ausführlichkeit nachlesen. Im deutschen Lehrbetrieb sind große Namen schließlich nach wie vor eine conditio sine qua non.
kecks hat geschrieben: könntest du nochmal deine these auf den punkt formulieren, bestenfalls in einem satz?
Informiere dich doch einfach selbständig in aktueller Literatur - eine Leichtigkeit für die gestandene Lehrkraft.

Gruß
Irrwitz

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