"Faule" Referendare

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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wurstgesicht
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Re: "Faule" Referendare

Beitrag von wurstgesicht »

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Jula13
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Re: "Faule" Referendare

Beitrag von Jula13 »

Also, ich habe auch von mittelprächtigen Stunden etwas gelernt, und sei es auch nur, wie man ein Unterrichtsgespräch führt oder das Lehrwerk sinnvoll und zeitsparend nutzt.
Und wie man es nicht machen möchte, ist doch auch eine wichtige Erkenntnis.

Ich bin inzwischen einige Jahre im Dienst und vermisse die Hospitation. Wie gerne würde ich nun mal schauen, wie die Kollegen es machen.

Stark
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Re: "Faule" Referendare

Beitrag von Stark »

Sehe ich auch so. Es geht ja beim Unterrichten nicht nur um die Vorbereitung, sondern auch um die Umsetzung.
Wie agiert, wie reagiert der Lehrer. Wie spricht er mit den Schülern, wie nimmt er Impulse auf. Wie bewegt er sich im Klassenraum. Wie schreibt er an die Tafel. Wie setzt er seine Stimme ein? Wie leiter er zwischen UR-Phasen über (die es auch bei schlecht/gar nicht vorbereiteten Stunden geben kann)? Und so weiter.
Die schlechte Vorbereitung der Lehrkräfte als Grund anzuführen, warum Hospitationen überflüssig sind, zeigt ganz deutlich, dass der Ref nicht wirklich verstanden hat, worum es geht.
Das ist das gleiche Phänomen wie bei den Studenten, die sich immer beklagen, dass sie das, was sie an der Uni lernen "an der Schule sowieso nicht brauchen können". Die haben auch nichts begriffen. Solche späteren Kollegen kann ich nicht ernst nehmen.

Wobei ich gar nicht bestreiten möchte, dass man natürlich noch deutlich mehr lernen kann, wenn die Stunde didaktisch durchdacht und entsprechend vorbereitet ist.

Phaon
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Re: "Faule" Referendare

Beitrag von Phaon »

"Das ist das gleiche Phänomen wie bei den Studenten, die sich immer beklagen, dass sie das, was sie an der Uni lernen "an der Schule sowieso nicht brauchen können". Die haben auch nichts begriffen. Solche späteren Kollegen kann ich nicht ernst nehmen."

Ich will nicht provozieren, aber ich versuche seit 14 Monaten im Referendariat erfolglos herauszufinden, welche Inhalte meines Universitätsstudiums mir im Unterrichtsalltag weiterhelfen könnten. Das einzige, was mir in Bezug auf den Lehrerberuf wirklich weitergeholfen hat, sind einige ausgewählte Erkenntnisse und Aussagen im ansonsten weitgehend nutzlosen Praxissemester, das ich vor fast einer Dekade absolviert habe.

Um das nicht misszuverstehen: Ich habe mein Studium geliebt. Wahrscheinlich sogar etwas zu sehr, was man daran merken könnte, dass ich durch das enorme Interesse an meinen beiden Hauptfächern immer weiter in die Tiefe gegangen bin und auch das ein oder andere Semester drangehängt habe, um mich noch intensiver mit bestimmten Themen beschäftigen zu können. Das ist wohl auch abhängig von den jeweiligen Fächern, der Schulform, der Hochschule und den Neigungen des Studenten, aber grundsätzlich denke ich, dass das vorangeschaltete Universitätsstudium das größte Problem unserer Lehrerausbildung darstellt und gleichzeitig der Grund dafür ist, weshalb so viele Junglehrer im Referendariat scheitern.

Standardmäßig kommt ja immer das Argument, das Studium würde dazu dienen, die Fähigkeit zu erlernen, sich Inhalte anzueignen. Das ist doch aber mehr als lächerlich, vor allem, wenn man sich die Dimension anschaut: 4,5 Jahre werden dazu verwendet, zu lernen, sich Inhalte anzueignen und in 1,5 Jahren lernt man im erniedrigenden Trial & Error - Verfahren, wie man Unterricht vorbereitet und sich mit pubertierenden Jugendlichen herumschlägt.

Für mich stellt sich der Sachverhalt so dar: Im Studium macht man die Lehramtsanwärter zuerst zu kleinen Professoren, und anschließend versucht man im Referendariat, sie zu reinfantilisieren.

Stark
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Re: "Faule" Referendare

Beitrag von Stark »

Ich wurde per PM das gleiche gefragt und habe darauf geantwortet, bevor ich in diesen Thread geschaut habe. Deshalb hier ein Auszug aus meiner Antwort:
Natürlich habe in meinem Unterricht noch keine mittelhochdeutschen Ablautreihen behandelt. Ich habe noch nie über die Unterschiede von Morph, Allomorph und Morphem mit meinen Schülern gesprochen oder eines von Shakespeares Königsdramen behandelt. Aber die Uni ist ja auch nicht dafür da, das Schulwissen vorzukauen.
Meine akademische Beschäftigung mit meinen Fächern hat mir ein Grundverständnis dafür vermittelt, wie Sprache und Literatur funktionieren. Das wiederum ermöglicht es mir, Unterrichtsinhalte auszuwählen und komplexe, schwierige Themen schülergerecht aufzubereiten. Und zwar schnell und verlässlich. Ich kann mögliche Schwierigkeiten antizipieren und Lösungsmöglichkeiten oder Alternativen finden.
Bei Fragen im Unterricht - auch zu Themen, die die Unterrichtsinhalte nur am Rande berühren - kann ich fundiert antworten oder souverän Theorien aufstellen und die durch den wissenschaftlichen Hintergrund in meinen Fächern argumentativ begründen.
Und gelegentlich habe ich in der Oberstufe Schüler, die sich wirklich für die Thematik interessieren und die sich auch privat damit beschäftigen, so dass echte Fachdiskussionen entstehen, wobei ich ihnen mit meinem Fachwissen aufzeigen kann, wie auch sie sich noch weiterentwickeln können.

Mit anderen Worten: Ich greife eigentlich (fast) täglich auf fachliche Fähigkeiten und auf Wissen zurück, das mir mein Studium - jenseist von Lebenserfahrung - vermittelt hat, bei der Vorbereitung und im Unterrichtsgeschehen. Auch wenn ich mich nicht direkt auf frühneuhochdeutsche Bibelübersetzung beziehe.

Phaon
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Re: "Faule" Referendare

Beitrag von Phaon »

Danke für deine Antwort. Wir scheinen dieselben Fächer studiert zu haben. Ich finde es jedenfalls interessant und bewundernswert, dass du diese Meinung vertreten kannst, kann sie aber nur in Teilen nachvollziehen. Ich habe vor allem deutliche Probleme mit diesen beiden Sätzen:

"Meine akademische Beschäftigung mit meinen Fächern hat mir ein Grundverständnis dafür vermittelt, wie Sprache und Literatur funktionieren."

Bis hierhin würde ich dir zu 100% zustimmen. Ich frage mich jedoch, wie du von dieser Aussage dann zu der folgenden kommst:

"Das wiederum ermöglicht es mir, Unterrichtsinhalte auszuwählen und komplexe, schwierige Themen schülergerecht aufzubereiten."

Für mich ist es leider nicht nachvollziehbar, was der zweite Satz überhaupt mit dem ersten zu tun hat. Der zweite Satz spricht im Kern von einer Fähigkeit zur didaktischen Reduktion von Inhalten. Meine Frage ist, woher du das didaktische Element bzw. das Wissen über die Verfahrensweisen bei der didaktischen Reduktion nimmst. Die akademische Beschäftigung mit zwei Fächern ist die eine Sache, die didaktische Reduktion dieser Inhalte, um sie Schülern begreiflich zu machen, ist eine völlig andere Sache. Und der letztgenannte Aspekt wurde in meinem Studium gerade nicht geschult.

Daher kann man wohl davon ausgehen, dass du diese Fähigkeit der didaktischen Reduktion unabhängig von deinem Studium schon besessen oder sie dir nebenbei angeeignet hast. Ich kann in meinen Studienunterlagen suchen, so lange ich will, ich finde dort nichts über didaktische Reduktion. Dieser Punkt ist auch eines meiner größten Probleme im Referendariat: Wie reduziere ich Inhalte, damit sie Schüler verstehen? Auf welchem Niveau befinden sich die Schüler überhaupt? Wann sind Inhalte für eine Altersstufe angemessen? Wie funktioniert das Verstehen von Inhalten bei Jugendlichen überhaupt? Welche Unterrichtsform und welche Herangehensweise führen dazu, dass der Unterrichtsstoff eher verstanden wird? Wann sind diese Inhalte interessant für Schüler?

Das sind die Fragen, die mich als angehender Lehrer interessieren, und weder an der Universität noch im Referendariat konnte mir bisher irgendjemand diese Fragen beantworten. Um das vielleicht etwas präziser auszudrücken: Im Referendariat werde ich darauf hingeweisen, "was" von mir erwartet wird ("Du musst die Inhalte / die Unterrichtssprache, etc... dem Niveau der Schüler anpassen!"). "Wie" genau ich dabei vorgehen kann, erfahre ich jedoch leider nicht. Man habe "das ja im Gefühl, wann etwas für die Schüler zu schwer ist und wann nicht." Ach ja, woher kommt dieses Gefühl? Diese Konflikte sind leider auch das Verschulden einer sehr guten, akademisch ausgerichteten Universität einerseits und eines erschreckend schlechten Seminars andererseits.

Anmerkungen ähnlicher Art findet man auch in der Fachliteratur: "Um mit der Unterrichtsplanung beginnen zu können, benötigen Sie erstens ein Thema und zweitens eine kluge Idee zur methodischen Umsetzung." (Hilbert Meyer, "Leitfaden Unterrichtsvorbereitung", S. 30). Aha. Woher kommt denn diese kluge Idee zur methodischen Umsetzung, lieber Hilbert Meyer? Keine Antwort. Schweigen im Walde.

Für mich besteht das Referendariat jedenfalls aus einem dermaßen unpräzisen, widersprüchlichen, demotivierenden und absurden Brei vager Anweisungen und unstrukturiertem Herumgelabere aller Beteiligten, dass ich es nicht mehr ernst nehmen kann. Faule Referendare? Wohl eher schlechte Ausbildungsbedingungen.

Stark
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Re: "Faule" Referendare

Beitrag von Stark »

Die didaktische Reduktion gehört ja als Prozess/Methode auch nicht in die fachliche Theorie, sondern in die praktische Anwendung und wird dementsprechend in der zweiten, praktischen Phase der Lehrerausbildung, dem Referendariat gelehrt. Zumindest sollte es so sein. Studierenden dies in einem Hörsall vermitteln zu wollen, ohne dass sie es direkt "am lebenden Objekt" ausprobieren können, wäre ziemlich sinnlos. Dein Problem besteht also mit dem Ref bzw. der Art und Weise wie dein Ref läuft, nicht mit dem Studium.
Trotzdem ist das Studium natürlich der Hintergrund für die didaktische Reduktion.
Wenn ich in der Oberstufe Romantik unterrichte, dann hilft mir mein Studium, die richtigen Texte auszuwählen, die Aspekte der Romantik darauf zu beziehen (Sachanalyse) und dann zu überlegen, was davon für Schüler wirklich wichtig und vor allem machbar ist (didaktische Reduktion), um mir dann die richtige Vorgehensweise (Methodik) oder eben eine Alternative zu überlegen.
Aber auch schon in der 5. Klasse. Bei der Planung meiner Grammatikeinheit sehe ich durch meinen linguistischen Hintergrund, wo und warum die Schüler Schwierigkeiten in der Unterscheidung Wortart/Satzglied haben könnten, warum es für die Kleinen schwer sein kann, die Verbzweitstellung im Aussagesatz zu verstehen, die Überschneidungen von einem Grammatikkapitel (Wortart: Substantiv mit Satzglieder: Kasusfähigkeit) zu antizipieren, um dann über den Weg der did. Reduktion damit umzugehen. Die Beschäftigung mit der Kasusgrammatik hilft mir, schülergerechte Erklärungen für das Passiv zu finden, ohne dass die Begriffe "Kasusgrammatik" oder "Agens" im Unterricht wirklich fallen. Aber dass ICH sie kenne, hilft mir, das Konzept hinter dem Passiv zu verstehen, statt nur eine Regel vorzubeten "Das Objekt wird zum Subjekt", und dann nicht zu wissen, was ich tun soll, wenn ein Schüler sie - zurecht - nicht versteht.

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