Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Agamemnon
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Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Beitrag von Agamemnon »

Hallo, liebe Reffis,

wie geht es euch mit dem Unterricht, den ihr in euren Hospitationen bei anderen Lehrern seht?

In meinem Fall muss ich ehrlich sagen, dass ich sehr unzufrieden bin. Ich sehe bei meinen Hospitationen nichts Verwertbares und auch nichts, was das Seminar von uns sehen möchte. Gleichzeitig sind die AusbildungslehrerInnen nicht so einverstanden mit dem was ich einbringe, von dem ich allerdings weiß, dass meine Ausbilder darauf abfahren würden.

Blöderweise begehen die LehrerInnen an meiner Schule ungefähr alle Kardinalsünden (Pächckenrechnen, nicht Geschafftes in Hausaufgabe auslagern, Sicherung=Ergebnisvergleich, mangelnder Medieneinsatz, Frontalunterricht, keine fancy-Sozialformen... etc...) und sind zum Teil richtig ätzend gegenüber ihren SchülerInnen.

Ich will nicht sagen, dass sie alle schlecht sind, aber ich bin so langsam echt frustriert. Ich koche nämlich in meinem eigenen Saft und merke, so langsam geht es nicht mehr. Ich bräuchte mal etwas Inspiration. Ich würd so gern mal etwas Neues lernen, was Interessantes sehen.... mal wirklich guten inspirierten und inspirierenden Unterrich sehen...

Außerdem verpatze ich in meinen UBs immer die Überleitungen zwischen Unterrichtsphasen, die Einstiege sind nicht sauber, Problemorientierung ist zwar da, aber dann zu viel Lenkung, Sicherung ist oft zu unsicher und zu wenig Schülerbezogen... Ich hab sowas noch nie gesehen! Nicht als Schülerin, nicht als Studentin und vor allem nicht als Referendarin. Ich habe nur eine ungefähre Ahnung davon, wie das geht, aber kein Erfolgsvorbild. Niemand macht sich doch die Mühe, von den SchülerInnen eine Arbeitsfrage erarbeiten zu lassen... kostet nur unnötig Zeit, aufwendige Methoden oder Sozialformen kommen nicht in Frage - zu viel Vorbereitung und kostet Zeit und eventuel hoher Materialaufwand und zu viele Kopien nötig - Schülerorientierte Sicherung ist die Hölle.... da weiß ich nichts mit Anzufangen. Sicherung läuft in der Regel bei KollegInnen auf Ergebnisvergleich hinaus. Abweichungen vom Erwarteten werden wegdiskutiert oder schlimmer noch, übergangen und durch Lehreraussagen ersetzt. Beispiel: Schülerexperiment:

S: Wir haben aber was ganz anderes raus.
L: Das ist aber falsch.
S: Unsere Messung hat das aber ergeben.
L: Ne, das kann nicht sein, das Ergebnis ist falsch. Da will ich auch nicht drüber diskutieren. Da müsste ungefähr ..... rauskommen. Streich mal in eurem Beobachtungsbogen durch und schreib Messfeher daneben und dann den richtigen Wert.

Differenzierung hab ich noch nie erlebt (außer durch mehr Aufgaben)...

Ich hab so meine Schwierigkeiten und bin etwas phantasielos in diesen Dingen, bzw. uninspiriert. Ich will das zwar immer gut machen und in der Theorie sieht es auch ganz wunderbar aus, aber versagt in der Praxis. Und das ist genau der Punkt, wo Ausbildung im Seminar und Ausbildung in der Schule ganz weit auseinanderfahren. Der Unterricht, der uns als gut verkauft wird, ist nicht der Unterricht, den wir in der Schule sehen...

Der Unterricht, den ich im Ausbildungsunterricht zeige gefällt den Ausbildungslehrern aus diversen Gründen nicht, und da die mein Gutachten schreiben, darf ich immer den Spagat zwischen Seminar und Vorstellung der AusbildungslehrerInnen machen, und mir das erarbeiten der Arbeitsfrage sparen und zusehen, dass die Sicherung auch auf Sparflamme läuft und die Arbeitsmethode zumindest keine unnötige Unterrichtszeit frisst... Sonst heißt es immer, Sie müssen mal von ihrem Seminar-Ross runter in die Realität kommen... und dieses und jenes hat viel zu lange gedauert, dass hätte man auch viel kürzer machen können... und der Lernertrag war nicht ausreichend, dafür die Methode zu aufwändig!

Der Unterricht, den ich im UB zeige ist dann in der Regel völlig ungeübt, von mir und von den SchülerInnen. Die wissen nicht, wozu die Arbeitsfrage dient, und ich bin ungeübt im erarbeiten dieser Frage, sie kennen keine kooperativen Lernformen, und die wenigen Gelegenheiten, in denen wir es im Ausbildungsunterricht mal ausprobieren konnten sind meisten schiefgegangen, sie wollen ihre Ergebnisse abgleichen und sind völlig unzufrieden, wenn sie das über Lösungszettel machen sollen...

Es ist frustrierend! Ich mache drei Kreuze, wenn das rum ist!

Rotschreiber
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Re: Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Beitrag von Rotschreiber »

Ich behaupte mal ganz frech, dass du mit deiner Haltung/Einstellung an deiner Schule Probleme bekommen wirst.

Du nennst es Kardinalsünden. Andere bewährte Verfahren. In der Realität keine "fancy Sozialformen"? Sorry, da musste ich schmunzeln.

Dennoch viel Erfolg!

CatherineDuquesne
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Re: Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Beitrag von CatherineDuquesne »

Es gibt zwei Bereiche, die nebeneinander existieren:
Die Lehrerausbildung mit ihren extrem hohen und teils zu hohen Erwartungen. Und dann noch die Realität.

Was sagte einmal ein ehemaliger Betreuungslehrer zu mir?
Tu das nicht, du machst dich nur kaputt!
Sinngemäß, ja.
Was meinte er?
Man kann nicht immer das abspulen, was man in der Ausbildung lernt. Das geht zeitlich nicht, das geht nervlich nicht.
Was will man mit einer Klasse machen, die absolut ungeeignet für Gruppenarbeit ist? Aber genau da hatte ich so etwas im Ref versucht. Man muss das ja gut und besser machen.

Tja.
Man sollte sich nur merken, dass man denen in der Ausbildung das erzählt, was die hören wollen. So schlau sollte man doch sein. Sonst geht's einem wie mir im Kolloquium: Fast gleicher Fall wie gerade in einer Klasse und alles war falsch, was die Kollegen in der Realität gemacht haben ;).

Versuche doch mal, wenn es rum ist, deine Verfahren aus der Ausbildung konsequent durchzuziehen ;). Wie lange hältst Du das dann durch?
Ich will nicht sagen, dass man nichts Neues machen soll. Aber wenn ich da an meine Klasse denke... Frontalunterricht und am besten gefühlt mit Peitsche in der Hand (mal meine Reitgerte mitnehmen ;)), anders geht es da nicht. Stinkend faul, viele dazu unhöflich oder extrem verschwätzt. Dazu nicht die Hellsten, ganz und gar nicht. Da aktuelle Unterrichtsformen? Na ja... Die brauchen eine Anleitung, denen muss man sagen, wie etwas geht, die muss man mit der Nase draufstoßen. Und zur Kontrolle der Klasse frontal.
Hinzu kommen viele Jungs mit Migrationshintergrund. Und die müssen an die Leine genommen werden, sozusagen.

Kardinalsünden?
Sind es bei anderen nur so lange, bis man merkt, dass man anders nicht viel mehr erreicht.
"Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren." B. Brecht

Fränzy
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Re: Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Beitrag von Fränzy »

Ich dachte beim Lesen ganz ähnlich. Es dürfte wohl klar sein, dass man im Alltag mit (je nach Schulart) 23 - 29 Stunden Unterricht nicht ständig "fancy Sozialformen" integrieren kann. Man hat es im Ref (abgesehen von den Prüfungszeiträumen) noch ganz "chillig". Immerhin muss man sich im Normalfall nicht um den Rest kümmern - Klassenführung, Elternarbeit, Elternabende usw. Man kann und soll sich hauptsächlich um seine Stunden kümmern. Klar, dass dann mehr Zeit für besondere Dinge bleibt. Auch ist es klar, dass "moderne" Methoden an den Seminaren beworben und damit (im Idealfall aus Seminarsicht) in die Schulen gelangen.

Ich wäre mir auch nicht so sicher, ob Frontalunterricht bei jedem Thema, in jeder Klasse die falsche Wahl ist. Es ist offensichtlich, dass weniger die Sozialform oder die Form der Darbietung überhaupt eine Rolle spielt, als vielmehr die Beziehung zwischen Lehrkraft und Lerngruppe.
שָׁלוֹם

sillaine
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Re: Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Beitrag von sillaine »

Willkommen in der Realität!
Der Unterricht, der vom Seminar gefordert wird, ist im Alltag vom Arbeitsaufwand gar nicht umsetzbar. Die haben ja schließlich ein paar mehr Stunden zum vorbereiten. Das was du beschreibst ist Alltag in deutschen Schulen, auch wenn es vielleicht Ausnahmen geben mag. Trotzdem müssten deine Ausbildungslehrer wissen, dass du für das Seminar anders unterrichten musst. Wenn du wirklich mal gute Stunden sehen willst, dann frag doch mal ob du bei den Seminarleitern hospitieren darfst (wenn das möglich ist). Die müssten ja wissen, wie es richtig geht. (oder evtl. bei anderen Reffis)
Die Kritik deiner Ausbildungslehrer kann ich zum Teil nachvollziehen. Der Lernertrag ist sehr wichtig für die Stunden, auch für Seminarausbilder. (Haben die SuS nichts dazugelernt, war es eine schlechte Stunde). Daher sollten die angewendeteten Methoden zu dem Lernziel passen und wirklich nicht zu aufwendig sein. Und wenn die SuS die Methoden noch nicht kennen, dass muss man die ihnen beibringen (aber natürlich nicht erst bei Besuchen). Kooperative Lernformen sind halt noch nicht in allen Schulen angekommen.

katie-cr
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Re: Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Beitrag von katie-cr »

eines der bewährten didaktik-prinzipien ist doch, vom "schüler aus zu planen". was braucht der?!

man kann nicht mit jedem schüler, mit jeder gruppe, mit jeder klasse die "fancy methoden" durchziehen - ganz einfach, weil manche es noch nicht draufhaben, manche werden es auch nie draufhaben, effektiv z.b. in einem kugellager / placemat / ollen arbeitsteiligen gruppenarbeit zu einem ergebnis zu kommen.

mache gruppen / phasen brauchen viel lenkung, manche eher weniger. frontalunterricht ist nicht per se böse ;-)

z.b.: ich habe zwei siebte klassen im gleichen fach. mit der einen kann ich laufend lustige dinge tun, weil die das einfach gut drauf haben, auch in freien arbeitszeiten zu guten ergebnissen zu kommen. die andere klasse braucht extrem viel lenkung und frontalunterricht. da kann ich nicht mal während eines schreibauftrags zu einem schüler hingehen, der eine frage hat, um ihm zu helfen, da der rest sofort morgenluft wittert.


wähle aus, welche sozialform / methode zur klasse und auch zu dir passt. ich finde manche sachen richtig ätzend, die machen mir keinen spaß - die führ ich dann aber auch nicht durch.

Koschka
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Re: Seminarerwartung - Realität im Hospitationsunterricht

Beitrag von Koschka »

Du hast aber hohe Erwartungen! Ich habe meiner LAA fast nie Showstunden gezeigt, dazu hätte ich nicht die Zeit. Natürlich habe ich ihr "neue Methoden" gezeigt, den Ablauf einer Gruppenarbeit erklärt, usw. aber dafür gab es dann eben keinen Bombeneinstieg mit Hörspiel/Film/ oder sonst etwas, sondern wir haben "Schwerpunkte" gesucht (z.B. Wie mache ich eine Gruppenarbeit: Material vorbereiten, Umsetzung mit Rollenvertreilung, Ergebnisauswertung/Präsentation).
Als "Danke" konnte ich mir anhören, ich hätte sie noch zu wenig unterstützt.
Wir Betreuungslehrer sind auch (nur) Lehrer und nicht die Manager von LAAs. Und statt Topmedien und fancy Formen, sollten LAAs erstmal lernen STRUKTUR in den Unterricht zu bringen. Erst das Ziel (Lernziel!!!) festlegen und dann den Weg (Wie erreiche ich es), statt Methoden um der Methodenwillen. Trotzdem alles Gute fürs Ref!!! Aber du wirst als fertige Lehrerin auch sehen, dass du nicht jede Woche 27 Lehrprobenstunden halten kannst.

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