Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
Emaille
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Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Beitrag von Emaille »

Hallo ihr Lieben,

ich bin jetzt etwas unsicher, ob der Thread im richtigen Topic ist.

Ich bin halb am verzweifeln. Im Februar fange ich mein Referendariat an (GHS in Baden-Württemberg) und bin inzwischen extrem unsicher, ob ich das überhaupt noch will, bzw. überhaupt noch Lehrerin werden will. Das kam einfach so mit der Zeit. Während des Studiums hatte ich solche Zweifel nicht, nur ein Mal kurz, als ich während eines Praktikums ziemlich mit einer 16-jährigen Schülerin aneinandergerasselt bin und mich das erst mal belastet hat. Aber sowas kommt nun mal vor. Diese Zweifel sind nach ein paar Tagen wieder weggegangen.
In den Praktika habe ich immer gutes Feedback bekommen und das unterrichten hat mir auch meist Spaß gemacht. Als Nebenjob habe ich Kindern mit Migrationshintergrund Förderunterricht in Deutsch gegeben, fand ich auch meist super.

Nun also diese blöden Zweifel, die mich völlig fertigmachen. Ich bin nicht besonders stressresistent und nehme mir viel schnell zu Herzen, weswegen ich zweifle, ob ich psychisch für den Beruf geeignet bin.
Ich habe Angst davor, im Ref keine Freizeit mehr zu haben. Man hört ja alle Horrorgeschichten über Überbelastung, jeden Tag bis spätabends am Schreibtisch sitzen müssen... ist das wirklich so?
Für das Ref werde ich umziehen müssen, da ich leider nicht mein Wunschseminar bekommen habe. Das nervt noch zusätzlich.

Ich frage mich, ob ich den Beruf Lehrer nicht bisher zu verklärt gesehen habe und die negativen Seiten ausgeblendet habe. Keine Ahnung.
Nächste Woche habe ich einen Termin beim Arbeitsamt zu einer Akademikerberatung, um mich über Alternativen zu informieren, die ich mit 1. Stex bzw. 2 Stex (denn ich habe schon vor, das Ref zu probieren und eigentlich auch durchzuziehen, in der Hoffnung, meine Ängste gehen dann weg) dann habe. Ich liebe die Arbeit mit Kindern, aber ich frage mich, ob ich nicht doch lieber in Richtung Erziehung gehen möchte. Weiß jemand, ob das mit 1. Stex (war an einer pädagogischen HS) einfach so geht?

Kann ja auch sein, dass diese Ängste nur kommen, weil es jetzt ernst wird. Und dass ich wie ein Jammerlappen wirke, der ich gerade auch wirklich bin. Ich erkenne mich selbst nicht mehr, da ich normalerweise durchaus optimistisch und stabil bin. Und das ohne wirklichen Grund.

Ich hoffe auf konstruktive Antworten..

LG, Emaille

kecks
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Re: Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Beitrag von kecks »

versuch's doch einfach mal. abbrechen kannst du es immer noch. soooo schlimm ist es nicht. ja, man muss viel arbeiten; ja, viele heulen auch mal im ref, und ja, es *ist* ziemlich stressig, wenigstens wenn man eine gute note haben will/braucht. aber wirklich unmachbar oder was weiß wie schrecklich ist es für die allermeisten nicht. probieren geht über... und so. was soll schon schlimmes passieren? wenn's ganz mies läuft hast du ein paar harte wochen und gehst dann zur akademikerberatung. wenn's gut läuft hast du nachher eine fertige ausbildung und evtl. auch einen job im schönsten beruf der welt.

Christin90
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Re: Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Beitrag von Christin90 »

Hallo liebe Emaille,

ich denke, was du beschreibst kennen viele von uns. Mein Freund nennt es immer liebevoll die sogenannte "Torschusspanik". Jetzt wo es drauf ankommt, stellt man sich tausende Fragen. Ist es wirklich das Richtige? Werde ich das seelisch schaffen? Werde ich Spaß an diesem Beruf haben? Und das mein ganzes Leben lang, so wie ich es mir vorgestellt habe?
Ich selbst hatte genau diese Gedanken beispielsweise auch beim bzw. nachm Abi. Man soll sich auf einmal entscheiden, was studiert wird. In diesen Moment wechselt man seinen Wunsch gefühlte Millionen mal. Und auch jetzt (ich gehe auch im Februar ins Ref) macht man sich Gedanken, ob das alles so klappen wird.
Meiner Meinung nach ist das alles ganz normal. Du hast im Prinzip dein ganzes Leben lang (Grundschule, Sek 1 + 2, Studium) auf das Ziel des "Lehrerseins" hingearbeitet und jetzt soll die letzte Treppenstufe erreicht sein?
Gehe doch mal wirklich in dich und überlege, warum du überhaupt Lehrer werden wolltest. Was war der erste Anreiz, der dich dazu gebracht hat?
Oder wie hast du dich in den Praktika gefühlt?
Wenn ich Zweifel hatte, kam eh bald immer ein Praktika....und in diesen war ich mir immer zu 100% sicher, warum ich genau diesen einen Weg eingeschlagen habe. Und glaube mir...ich bin mal mit einem Lehrer aneinander geraten, was mich ziemlich fertig gemacht hat. Aber da muss man drüber stehen...von Fehlern lernt man und es macht einen auch stärker.

Wegen deiner Frage, ob man im Ref keine Freizeit mehr haben wird etc..
Da kann dir wohl keiner eine eindeutige Antwort drauf geben. Person A findet alles normal und hat Freizeit, Person B findet es schon stressiger und Person C spielt mit dem Gedanken abzubbrechen. Es hängt auch so viel von deinem Seminarort, deinen Fächern etc. ab. Natürlich auch, wie du selbst eingestellt bist. Musst du alles bis in die Kleinste Minute perfekt organisieren, am Besten schon mehrere Stunden vorbereiten und sozusagen vorarbeiten. Oder du machst alles auf den letzten Drücker immer am Tag davor. So viele Faktoren die deine Freizeit und das allgemeine Emfpinden beeinflussen.
Wichtig ist meiner Meinung nach hierbei (und das habe ich in einem anderen Beitrag gelesen), sich selbst zu kleinen Pausen zu zwingen, in der man nur Zeit für sich hat. Eine Stunde in die Badewanne, im Buch lesen oder joggen gehen. Gönne deinem Körper Zeit zum runterkommen.
Und letztendlich: Auch wenn die Zeit im Referendariat stressig wird (und das wird sie wohl mehr als im Studium)...es sind nur andertalb Jahre. Also heißt es: Zähne zusammenbeißen. Du schaffst das schon irgendwie!

Was ich dir mit auf den Weg geben würde:
Versuch dir nicht so viele Gedanken zu machen. Ich weiß das ist schwer...ich bin selbst so ein Mensch, der über alles (wirklich über alles) nachdenkt, es analysiert etc. Du sagst ja selbst, dass du es sowieso versuchen möchtest. Schau doch erstmal, was auf dich zukommt und lass sich überraschen.

Illi-Noize
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Re: Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Beitrag von Illi-Noize »

Emaille hat geschrieben: Ich habe Angst davor, im Ref keine Freizeit mehr zu haben. Man hört ja alle Horrorgeschichten über Überbelastung, jeden Tag bis spätabends am Schreibtisch sitzen müssen... ist das wirklich so?
Ich behaupte immer: Du hast immer so viel Freizeit wie Du Dir selber nimmst. Ich hatte im Ref nicht weniger Freizeit als im Studium zuvor.

Vielleicht mal direkt eine Regel zum Zeisparen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Paretoprinzip
Das Paretoprinzip, benannt nach Vilfredo Pareto (1848–1923), auch Pareto-Effekt, 80-zu-20-Regel, besagt, dass 80 % der Ergebnisse in 20 % der Gesamtzeit eines Projekts erreicht werden. Die verbleibenden 20 % der Ergebnisse benötigen 80 % der Gesamtzeit und verursachen die meiste Arbeit.
Wenn man das befolgt, dann hat man - so meine Behauptung und eigene Erfahrung - mehr als genug Freizeit. Ist man ein Perfektionist und bastelt stundenlang an einem Arbeitsblatt rum, das eigentlich schon völlig ok ist ... dann geht halt viel Zeit drauf.

kecks
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Re: Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Beitrag von kecks »

...naja, ich kenne niemandem, bei dem das wie bei illi war, wirklich keinen. wenn man einen schnitt haben will, der einem einstellungschancen in den allermeisten fächern erhält (zumindest aktuell und wohl auch in den nächsten jahren), dann ist es mit "ich lass das jetzt so" nicht getan. mag ja damals anders gewesen und du ein sehr entspannter zeitgenosse sein. das ref *ist* superstressig. wir wurden an tag 1 mit "genießen sie ihr letztes freies wochenende" begrüßt (bayern gym, sehr nette seminarschule, sehr gute betreuung, keine inkorrekten vorkomnisse irgendeiner art). und das war wahr, für alle, 1er-leute wie "ich mogel mich so durch mit minimalaufwand". allerdings keine mathe/physik-kräfte am start. eine insgesamt gute zeit war's trotzdem.

donaldinho
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Re: Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Beitrag von donaldinho »

Vollkommen unsinnig, dich jetzt verrückt zu machen!

Ersten hängt der Stress im Ref hauptsächlich vom Vorbereitungsaufwand ab. Kannst Glück haben und jede Stunde doppelt oder dreifach halten - kannst aber auch Pech haben und jede Stunde nur einmal halten. Letzteres war bei mir der Fall und dennoch habe ich es noch geschafft, nem Nebenjob nachzugehen. Zeitaufwand fürs Ref waren da nur um die 50 die Woche, hätte also sicher auch mal einen Tag frei haben können wenn die "Entlohnung" nicht unter meinem persönlichen Existenzminimum gelegen hätte.

Und seien wir mal ehrlich: in welchem Job arbeitet man heutzutage nicht 50 bis 60 Stunden pro Woche? Da haben wir Lehrer es ja noch gut, da durch die Ferien ein gewisser Ausgleich geschaffen wird.

Kenne auch genug Arbeitnehmer in der freien Wirtschaft, die kommen auf 70 bis 80 Stunden und können dennoch von 2000 Netto maximal Nachts träumen - verschleißen sich für das dekadente Wohlergehen einer kleinen Oberschicht, welche den Rachen nicht voll genug bekommt. Und das wird in den nächsten Jahren sicher noch drastischere Züge annehmen.


Fazit: Mach dir keinen Kopf und freu dich lieber über deine Berufswahl. Viel "angenehmer" als im ÖD wirst du kaum großartig Geld verdienen können. (Wobei ich nicht behaupten wöllte, dass der Job des Lehrers 'einfach' im eigentlichen Sinne ist. In der freien Wirtschaft herrschen aber oftmals deutlich schlimmere Arbeitsbedingungen.)

ma22rk
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Registriert: 08.12.2011, 13:04:39

Re: Halb am verzweifeln - Angst vorm Ref

Beitrag von ma22rk »

80% zu 20% Prinzip wird den Schüler in kleinster Weise gerecht, sorry! Die verdienen 100%! Wenn Kollegen mit dem Prinzip durchkommen, sind das oft die, die eben unvollständige oder fehlerhafte Unterlagen haben und über die die Schüler vor einem lästern.

Man stelle sich vor, der Häuslebauer macht 80% der Arbeit und lässt die ausbleibenden 20%, weil er eben kein Perfektionist ist… ist ei etwas plattes Beispiel, aber gut…

Und, nein, ich kenne auch keinen, wirklich keinen, der freizeitmäßig so gut wegkam im Ref wie im Studium...

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