Hauptschul- Frust

Wer sich seine Sorgen und Nöte mit dem Referendariat von der Seele reden will, ist hier richtig. Vielleicht gibt es ja jemanden, der einen guten Rat hat.
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karink532

Beitrag von karink532 »

Die Motivation, sich jeden Tag mit Schülern auseinander zu setzen, die eigentlich nichts lernen wollen, zu tätlichen Angriffen neigen und eigentlich nur zur Schule kommen, um da den Vormittag pöbelnd zu verbringen, ist sicherlich sehr lobenswert. Aber ich denke nach wie vor, dass man diesen Willen nicht von jedem Lehrer erwarten kann.

ES gibt einfach große Unterschiede zwischen Gym, REalschule und Hauptschule. Es ist was ganz anderes an einem Gymnasium zu unterrichten als an einer Hauptschule. Und die Tatsache, dass nicht jeder an einer Hauptschule unterrichten will, halte ich nicht für feige, sondern für wohlüberlegt.

Die Tatsache, dass viele keinen Ausbildungsplatz bekommen, liegt sicherlich an deren Bewerbungsverhalten. Von unseren jetzigen Abgängern- 47- haben ganze 3 eine Lehrstelle bekommen. Zwei davon im Betrieb, in dem der Vater des einen Jungen arbeitet, sonst hätten die auch nichts bekommen, mit dem Zeugnis hätte die sicher keiner genommen. Soweit ich weiß, haben aber auch sehr viele erst gar keine Bewerbung abgeschickt, besonders die Mädels.

Ich habe in meiner 7. Klasse vor kurzem Bewerbungstraining gemacht, weil die ja zu Anfang des achten Schuljahrs ins Praktikum gehen. DAs war ein nahezu hoffnungsloses Unterfangen. 3 SChüler haben das gar nicht mitgemacht, weil sie Rapper oder Schrotthändler werden wollen und dafür ihrer Meinung nach keinen Abschluss brauchen. Die Eltern wurden über diese Öußerung informiert mit der Bitte, auch zu Hause nochmal über Ausbildungsrealität zu sprechen- was ist passiert? NICHTS. Da sehe ich schon das erste Problem, dass wir bei sehr vielen Hauptschülern auf keinerlei Unterstützung im Elternhaus setzen können. Und wenn wir diese Kids nur von 8-13 h haben und die nachmittags wieder ihrem Schicksal überlassen müssen, sehe ich keine große Perspektive. Wir haben mehrere Stunden auf die Bewerbungsmappe verwendet. Was kam dabei raus? In JEDER Bewerbung waren noch massenhaft Rechtschreibfehler, die unmöglichsten Formulieren (wurde vorher alles 10 x besprochen), die Sauberkeit war bei einigen unter aller Sau- und wir haben uns dann schon im Kollegium gefragt, woran das liegt. Lag das an mir, an meinem Unterricht, an den Kindern, am Elternhaus...? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Aber irgendwo ist meinem Tun ja auch eine Grenze gesetzt. Wir können das nicht alles noch 20 x sagen, irgendwann muss ich auch einfach erwarten können, dass 7klässer eine ganz simple, fehlerfreie Bewerbung anfertigen können.

Ich glaube auch, dass bei sehr vielen Elternhäusern ganz massiver Druck gemacht werden müsste. Aber wie könnte der aussehen? Klar wäre es sicherlich sinnvoll, Sozialleistungen zu kürzen, aber es ist wohl nicht durchsetzbar, erzieherisches Fehlverhalten durch Abstriche bei Hartz IV zu bestrafen.

Fränzy
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Beitrag von Fränzy »

Hallo,

ich unterrichte momentan in einer BVJ Klasse. Ist ein Sammelbecken für ehemalige Haupt- und Förderschüler sowie Schulabbrecher. Mir gehts schon manchmal auch so, dass ich es nicht recht kapiere, warum die Schüler "sehenden Auges" in den Abgrund rennen- sich daneben benehmen, ihre Hefte nicht dabei haben, keine Hausaufgaben machen, nicht ins Praktikum gehen, verbal austicken. Trotzdem darf man, finde ich, nicht vergessen, dass die Schüler meist echt viel Mist erlebt haben und in der sozialen Struktur eine Stellung einnehmen, die verhindert, dass sie das erreichen, was gesamtgesellschaftlich erwartet wird. Nämlich, dass man Erfolg hat, eine gute Bildung bekommt, einen Ausbildungsplatz im Wunschberuf. Bei uns gibt es offene Gesellschaft und Chancengleichheit nur auf dem Papier. Schon die Grundschulempfehlung ist massives Unrecht, so "vererbt" sich das Bildungsniveau beispielsweise, Kinder aus bildungsfernen Haushalten bekommen kaum eine Empfehlung fürs Gymnasium. Die zweite Hürde ist der Sprung in Ausbildung. Hier sind wieder die gleichen Jugendlichen benachteiligt. Hauptschüler bekommen nur schwer eine Lehrstelle. Bei meinen Schülern merke ich immer wieder, dass die gesellschaftlichen Erwartungen, die für alle Milieus gleich gelten, und nicht erreichbar sind zu massiven Frustrationserlebnissen führt. Wenn nun viele Jugendliche in der gleichen Lage sind, und das geschieht durch unsere Selektion leider, dann können sich unter ihnen Werte und Normen etablieren, die eine bewusste Ablehnung der üblichen Werte darstellen. Für außenstehende kann der Sinn mitunter nicht nachzuvoll ziehen sein, aber die Kids müssen sich einfach Statuskriterien schaffen, nach denen sie zu leben im Stand sind. Sonst wird der Frust zu groß. Zudem gibt es den Kids auch Sicherheit, wenn sie einen Rahmen haben in dem sie sich sicher bewegen können.

Gruß, Franzi

Phil
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Beitrag von Phil »

Frag mich auch schon lange, wie das Hauptschul-Problem gelöst werden kann. Irgendwie hab ich das Gefühl, dass alle Anstrengungen im Sande verlaufen. Kann jetzt zwar nur von Bayern sprechen, aber hier hat die Einführung der M-Klassen nicht etwa die HS aufgewertet, sondern den Quali und natürlich den normalen HS-Abschluss noch weiter abgewertet.
Was ich allerdings nicht verstehe, warum man für das Verhalten gewisser Schüler auch noch Verständnis haben sollte. Die Möglichkeiten für Lehrer/Schulleitung solche Chaoten dauerhaft zu entfernen sind da noch immer viel zu begrenzt und eine Besserung scheint da noch immer nicht in Sicht. Aber irgendwann wird es wohl auch der Letzte kapieren, dass Deutschland mit seiner lächerlichen pseudosozialen Schiene gegen die Wand fährt. Ich würde nicht-kooperativen Eltern die Gelder massivst kürzen, bzw. die Kinder gleich aus diesen Verhältnissen rausnehmen. Unser Staat kann es sich nicht mehr leisten, Jahr für Jahr ein wachsendes Heer an nicht ausbildungsfähigen Jugendlichen heranzuzüchten. Die Wirtschaft bedankt sich mit Ausbildungsstop.
Und das mit dem Elternhaus als Entschuldigung lasse ich nicht gelten, v.a. nicht in unserer Zeit. Auch wenn es immer wieder abgestritten wird, sind die Möglichkeiten - auch für Hauptschüler - sich entsprechend zu qualifizieren mehr als ausreichend. Man muss es eben nur wollen. Mein Vater saß vor 50 Jahren noch in einer Landschule mit 3 weiteren Jahrgängen im Raum, und aus diesen Schülern ist ausnahmslos was geworden, weil eben die finanziellen Mittel begrenzt waren und jeder schon frühzeitig erkannt hat, dass der einzige Weg um aus diesem Leben auszubrechen eine bestmögliche berufliche Qualifizierung ist. Aber solange solche Individuen brav von der Allgemeinheit durchgefüttert werden, ist wohl nicht an Änderungen zu denken. Und denjenigen, die als Lehrkraft quasi den großen Arm zum ausheulen um die Kids legen, weil sie ja für alles nichts können und eigentlich ja das System so böse ist, würde ich mal gerne in den Arsch treten. Weil das ist leider auch ein springender Punkt, dass viele, gerade von den angehenden Lehrkräften, wohl eine ähnliche Einstellung vertreten wie die Schüler. Dies wird die Problematik nur noch verschlimmern. War jetzt an 4 Schulen, dort, wo absolut klar war, wie die Spielregeln sind, herrschte trotz hin und wieder pädagogisch bedenklicher Maßnahmen das beste Klima und die Abschlüsse der Masse können sich durchaus sehen lassen. Wo ich jetzt bin ist genau das Gegnteil der Fall. "Sozialer" und "verständnisvoller" Umgang mit dem Ergebnis, dass sich die Anzeigen der Anwohner häufen und kein ortskundiger Mensch sich in einen öffentlichen Bus traut, der zum Unterrichtsende verkehrt.

Fränzy
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Beitrag von Fränzy »

Lieber Phil,

nein, unser Staat kann es nicht wirklich nicht leisten ausbildungsunfähige Menschen heranzuzüchten. Deine weiteren Ausführungen möchte ich so nicht stehen lassen. Ich bin entschieden dagegen, dass man Eltern Gelder streichen oder ihnen die Kinder entziehen sollte. Druck erzeugt doch nur Gegendruck! Das sind nur auf den ersten Blick effektive Maßnahmen. Ich bin eher dafür ambulante Hilfen der Kinder- und Jugendhilfe auszubauen, sowohl Erziehungshilfen, wie auch Angebote der Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit. Zudem wäre es notwendig, dass sich Schulen öffnen und verstärkt mit sozialen Einrichtungen im Gemeinwesen kooperieren. Eine andere Möglichkeit ist auch noch der Ausbau der Ganztagsschule. Es ist vollkommen klar, dass dringend etwas getan werden muss. Ich finde es aber ziemlich daneben, wenn du Kollegen vorwirfst, dass sie eine "lächerlich pseudosoziale Schiene" fahren und du ihnen gerne in den Hintern treten würdest. Also echt, ist das dein Stil? Glaube mir, ich brauche keinen Tritt in den Hintern. Ich mache meinen Job gut, den Unterricht, die Hausbesuche. Da lernt man in einer Stadt mit einem hohen Ausländer-/ Aussiedleranteil einfach Schattenseiten des Lebens kennen. Das sind teilweise so katastrophale Verhältnisse, dass die Jugendlichen es einfach alleine nicht schaffen. Da musst du schon auch Klartext mit den Schülern reden, keine Frage, da gehts nicht darum "den Arm um sie zu legen". Aber trotzdem muss man da mit Verständnis und Herz dabei sein, sonst bringt es nichts. Mir macht diese Arbeit sehr viel Spaß, was mich aber echt frustriert, ist dass jede Partei, die an der Diskussion beteiligt ist, immer anderen den schwarzen Peter zuschieben möchte. Einmal ist die Schule schuld, das System oder die Lehrer, dann die Familie, dann die Gesellschaft, die Sozialarbeit usw. Gehts nicht eher darum, das Problem gemeinsam anzugehen? Und nachsehen, was jede Partei beitragen kann, als gleichberechtigte Partner, und nicht den Eltern was aufdrücken?
Du hast recht, dass Hauptschüler viel Möglichkeit haben, sich zu qualifizieren- theoretisch. Sind also selbst schuld, wenn sie es nicht gebacken bekommen, theoretisch. 15% unserer Schüler lernen nicht richtig lesen, die sitzen dann bei mir im Unterricht. Die sind alle aus sozial schwachem Milieu. Die sind nicht zwangsläufig weniger intelligent. Das ist verschenktes Potenzial und da muss was passieren.

Franzi

Knochenhund
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Beitrag von Knochenhund »

Ich kann gar nicht verstehen, wie man auf ner Haupschule freiwillig unterrichten will.
Auf nem Gymnasium ists schon schwer genug mit den Schüler(innen)!

Lili
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Beitrag von Lili »

Die Angst vor der Arbeitslosigkeit hat uns doch inzwischen alle! Selbst Forenmitglieder hier, die ein Abitur und ein 1. Stex haben, meinen doch sie müssen unbedingt das 2. auch noch machen, weil sie sonst nie wieder auf einen grünen Zweig kommen.
Im Moment gibt es einfach nicht genügend Jobs. Irgendjemand MUSS leer ausgehen. Vl. sind wir in ein paar Jahren so weit, dass man sich auch einen Realschulabschluss schenken kann...

Ich finde das schon sehr krass, wie sich das in den letzten Jahren geändert hat. Als ich die Wahl hatte Gym, Rea, Hauptschule, da war die HS noch ne ernsthafte Alternative. Wenn jemand einen handwerklichen Beruf wollte, ging er auf die HS.
So ist das heute nicht mehr. Schon in der GS ist der Druck unwahrscheinlich groß, bloß nicht auf die HS zu kommen.
Ich gebe in einem Nachhilfeinstitut 4.-Klässlern Nachhilfe. Bei so gut wie allen geht es um den Übertritt. Geschätzte 3/4 der Kinder sind ausländischer Herkunft, bei denen die Eltern nicht wirklich bei den Hausaufgaben helfen können. Alle ausländischenn Kinder, die ich hatte, haben ihr Ziel (REA bzw. GYM) geschafft.
Es gibt aber bestimmt genügend Eltern, die die finanziellen Mittel nicht haben. Diesen Kindern wär mit einer Hausaufgabenbetreuung seeeehr geholfen. Um die Kinder tut es mir unwahrschienlich Leid!

TommySmith
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Registriert: 13.03.2006, 18:53:10

Beitrag von TommySmith »

Es gab Momente, in denen ich Unterricht als "Zuschauer" in Hauptschulklassen ( 5-9 ) erlebt habe und mir danach vollkommen klar geworden ist, wieso sich viele schwierige SchülerInnen so verhalten, wie sie sich verhalten.

Oft ist das schlechte Verhalten vieler SchülerInnen einfach nur Reaktion auf Aktion. Das bieten einer Perspektive bringt diesen SchülerInnen wenig bis nichts, da ihnen womöglich der Weitblick und das Wissen bzw. das Interesse um die Konsequenzen fehlt. Erkläre einem Extrem-Schüler, dass er sich heute anstrengen muss, damit er in 3 Jahren die Chance auf einen Beruf ( = Arbeit ) hat :lol: .

Die einzige Chance, diese SchülerInnen wieder für die Schule zu gewinnen, ist "guter Unterricht".

Was "guter Unterricht" genau ist ? Keine Ahnung. Aber es geht darum, diese SchülerInnen hier und jetzt zu motivieren, zu packen, zu begeistern ... ihnen zu zeigen, wieso es sich genau heute morgen gelohnt hat, um halb sieben aufzustehen und nun hier zu sitzen. Könnte man einem Schüler oder eine Schülerin diese Frage eigentlich wirklich jeden Morgen vernünftig beantworten ? 100%ig nicht, oder ? :wink:
Da sind wir bei der Effektivität von Unterricht angelangt, was im Prinzip ein anderes Thema wäre, aber ich ziehe hier gerne immer folgenden Vergleich an Land :

Ich stelle mir vor, was Menschen lernen können ? Michael B. hat innerhalb von 3 Jahren den schwarzen Gurt im Judo erreicht - nun ist er Judomeister. Melanie F. hat sich in 6 Wochen selbst das Jonglieren beigebracht. Heute jongliert sie bereits mit 4 Bällen gleichzeitig. Günther S. übte und übte. Heute - nach 5 Monaten - läuft er auf den Händen 1000 Meter am Stück. Vor einem Jahr war Uwe immer müde und schlapp - heute, nach intensivem Training, läuft er pro Woche einen Marathon, usw...

Der Mensch ( und wirklich jeder Mensch ) ist eine unglaubliche Lernmaschine. Lernt er eine bestimmte Sache nicht, so gab es für ihn auch keinen sichtlichen Grund, diese zu lernen ( und sich dafür anzustrengen ). Und ich denke an dieser Stelle dann immer daran, dass ich selbst nach über 5 Jahren Latein keinen einzigen Satz mehr zusammenbringen würde ( geschweige denn, je zusammengebracht hätte ).
Das Lustige daran : Ich bin der Meinung, dass man selbst in einer Klasse mit 14 SchülerInnen, von denen "nur" 2-3 SchülerInnen "auffällig" sind, diesen "gute Unterricht" bereits nicht mehr über einen längeren Zeitraum ( wenn überhaupt ) aufrecht erhalten kann.

Und dann denken wir mal an Klassen, in denen sich 28 SchülerInnen befinden ... keine Chance, da etwas zu verbessern.

Tommy

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